Essen/Duisburg. Nach dem Eklat im Aufsichtsrat ist die Unruhe bei Thyssenkrupp groß. Ein hochrangiger Arbeitnehmervertreter sieht eine „Zeitenwende“ im Konzern.

Der Eklat im Thyssenkrupp-Aufsichtsrat angesichts eines bevorstehenden Vorstandsumbaus belastet nach Einschätzung eines führenden Arbeitnehmervertreters die Verhandlungen mit dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky zum Verkauf der Stahlsparte. Detlef Wetzel, der frühere IG Metall-Chef, der jetzt bei der Stahlsparte Thyssenkrupp Steel stellvertretender Aufsichtsvorsitzender ist, kritisiert offen Vorstandschef Miguel López und Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm. „Ich habe nach diesem Vorgehen von Russwurm und López kein Vertrauen mehr in den Verkaufsprozess für den Stahl“, sagt Wetzel im Gespräch mit unserer Redaktion.

Wetzel sieht eine „Zeitenwende für Thyssenkrupp“. Es sei „deutlich geworden, dass der Vorstand nicht mehr daran interessiert ist, bei wichtigen Entscheidungen Kompromiss-Lösungen zu finden“, so Wetzel. Das sei mit Blick auf mögliche Entscheidungen zu Thyssenkrupp Steel bedenklich, fügt er hinzu. „Wir müssen davon ausgehen, dass der Vorstand beim Stahl im Zweifel auch gegen die Interessen der Beschäftigten entscheidet.“

Es sei bei der Aufsichtsratssitzung um mehr als Vorstandspersonalien gegangen, urteilt Wetzel: „Ein Prinzip ist etabliert worden.“ Auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die den Umbau bei Thyssenkrupp Steel mit rund zwei Milliarden Euro unterstützen wollen, sollten dies beachten, mahnt Wetzel. „Es muss ein Alarmzeichen für die Bundes- und die Landesregierung sein, dass der Vorstand von Thyssenkrupp augenscheinlich keinen Wert mehr auf Kompromisse legt.“

Tüngler: „Was bei Thyssenkrupp gefehlt hat, war starke Führung“

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), lobt hingegen, dass Vorstandschef López nach mehr Einfluss im Konzern strebt. „Was bei Thyssenkrupp gefehlt hat, war starke Führung. Thyssenkrupp sollte glücklich sein, dass endlich jemand bereit ist, die Verantwortung auch zu übernehmen“, sagt Tüngler im Gespräch mit unserer Redaktion. „López ist gekommen, um etwas zu verändern. Das ist ein guter Ansatz.“

Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López: Durch einen Vorstandsumbau zieht er heftige Kritik von Arbeitnehmervertretern auf sich.
Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López: Durch einen Vorstandsumbau zieht er heftige Kritik von Arbeitnehmervertretern auf sich. © dpa | Rolf Vennenbernd

Rückendeckung bekommen López und Aufsichtsratschef Russwurm auch von der Essener Krupp-Stiftung. „Die Stiftung begrüßt die Erweiterung des Vorstands“, erklärt die Großaktionärin des Konzerns, die auf dem Gelände der Villa Hügel in Essen residiert. In der neuen Aufstellung könne das „sich gut ergänzende Gremium optimal mit dem herausfordernden Umfeld umgehen“, betont die Stiftung, die von der früheren Dortmunder Uni-Rektorin Ursula Gather geführt wird.

Zum ersten Mal in der Geschichte von Thyssenkrupp wurden nach Angaben der IG Metall Vorstände trotz der geschlossenen Ablehnung der Arbeitnehmerseite bestellt. Damit baut Thyssenkrupp den Vorstand um, es kommen zusätzliche neue Vorstandsmitglieder. Der Aufsichtsrat des Essener Industriekonzerns habe die Neubestellung von Volkmar Dinstuhl, Ilse Henne und Jens Schulte zu Vorstandsmitgliedern beschlossen, teilte Thyssenkrupp nach der Sitzung des Kontrollgremiums mit. Damit werde der Vorstand künftig fünf – und nicht wie bisher drei – Mitglieder haben.

IG Metall: „Die Maske ist heute gefallen“

Die IG Metall tobt angesichts der Entscheidung gegen ihren Willen. „Mit der heutigen Bestellung von zwei zusätzlichen Vorstandsmitgliedern gegen die Stimmen der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG findet ein Kulturbruch in der Mitbestimmung statt“, heißt es in einer Mitteilung der Arbeitnehmervertreter. „Die Maske ist heute gefallen“, so die IG Metall weiter. „Diese Zäsur wird Spuren hinterlassen und dem bislang ausgewogenen und konstruktiven Dialog im Aufsichtsrat dauerhaft Schaden zufügen.“

Detlef Wetzel, stellvertretender Aufsichtsvorsitzender von Thyssenkrupp Steel, sagt: „Ich habe nach diesem Vorgehen von Russwurm und López kein Vertrauen mehr in den Verkaufsprozess für den Stahl.“
Detlef Wetzel, stellvertretender Aufsichtsvorsitzender von Thyssenkrupp Steel, sagt: „Ich habe nach diesem Vorgehen von Russwurm und López kein Vertrauen mehr in den Verkaufsprozess für den Stahl.“ © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Es sind einflussreiche IG Metaller im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp vertreten, darunter Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der Gewerkschaft, und Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol. Beide stellten sich gegen die Pläne von Aufsichtsratschef und BDI-Präsident Russwurm.

Thyssenkrupp-Vorstand zeigt sich offen für Kretinsky

Bei der Bilanzpressekonferenz hatte das Thyssenkrupp-Management offen für ein mögliches Stahl-Bündnis mit dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky geworben. Vorstandschef López sprach ausführlich darüber, warum er es als sinnvoll erachte, eine Partnerschaft mit Kretinskys Energiekonzern EPH einzugehen. López bestätigte, dass Thyssenkrupp mit EPH ein Gemeinschaftsunternehmen anstrebe, bei dem beide Partner jeweils zur Hälfte beteiligt sein sollen. „50-50 ist das Modell“, sagte López.

Für die IG Metall steht viel auf dem Spiel. Bei einem möglichen Einstieg des tschechischen Milliardärs geht es um mehrere große Werke in NRW, darunter Europas größter Stahlstandort Duisburg. Ein Forderungs- und Fragenkatalog der Gewerkschaft liegt auf dem Tisch. Zu klären ist aus Sicht der IG Metall unter anderem, ob der Konzern nach einer Übernahme durch Kretinsky seinen Sitz weiterhin in Deutschland haben werde und Thyssenkrupp langfristig beteiligt bleibe. Die IG Metall fordert zudem eine mehrjährige Sicherung von Standorten, Anlagen und der Beschäftigung.

Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm drückte zwei neue Vorstände gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter durch.
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm drückte zwei neue Vorstände gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter durch. © dpa | Hannes P Albert

Neben dem Thyssenkrupp-Stahlstandort Duisburg mit vier Hochöfen hat die IG Metall auch das benachbarte Unternehmen Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Blick, das weitere zwei Hochöfen betreibt. Thyssenkrupp ist mit 50 Prozent an HKM beteiligt, hinzu kommen der niedersächsische Stahlkonzern Salzgitter und der französische Rohrhersteller Vallourec als Anteilseigner. Bei HKM laufen – ähnlich wie bei Thyssenkrupp – Vorbereitungen für den Bau einer Direktreduktionsanlage für die Grünstahl-Produktion.

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