Berlin. Kunden von Fernwärme sind ihren Versorgern ausgeliefert. Wie man sich jetzt mit einer kostenlosen Klage gegen hohe Preise wehren kann.
Die Nachzahlungsforderung traf die Fernwärme-Kunden der Stadtwerke Erkrath wie ein Schlag ins Gesicht. Nachdem ihr Versorger Eon den Arbeitspreis für die Kilowattstunde für das Jahr 2021 von jetzt auf gleich verdoppelt hatte, flatterten den Kunden satte Rechnungen ins Haus. „Für den Verbrauch im Einfamilienhaus sollten wir für das Jahr 2021 insgesamt 2100 Euro nachzahlen, obwohl bereits 3000 Euro Abschläge bezahlt waren. Das tut weh“, berichtet Werner Siepe, ein Betroffener. Und damit nicht genug: Eon erhöhte den Arbeitspreis nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs weiter. Die Einwohner müssen heute etwa viermal so viel für Fernwärme bezahlen wie noch 2020.
Mit diesem Schicksal stehen die Kunden in dem nordrhein-westfälischen Ort nicht allein da. Zahlreiche Versorger haben seit 2020 bei Fernwärme kräftig an der Preisschraube gedreht – und zwar noch bevor die Energiepreise durch den russischen Angriffskrieg 2022 explodiert sind. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sieht in den Preiserhöhungen einen klaren Rechtsverstoß – und hat nun sowohl gegen Eon als auch gegen den Versorger Hansewerk Natur Sammelklagen eingereicht. Erst vor einer Woche hatte der vzbv eine Sammelklage gegen Vodafone wegen Preiserhöhungen bei Festnetz- und Internetanschlüssen eingereicht.
Nach Einschätzung des vzbv sind die Preiserhöhungen nach 2020 bei Eon und Hansewerk Natur unwirksam, weil die Preisänderungsklauseln, nach denen Versorger Preisanpassungen vornehmen dürfen, nicht den rechtlichen Anforderungen entsprechen. „Mit den beiden Sammelklagen will der vzbv direkte Rückerstattungen für teilnehmende Verbraucherinnen und Verbraucher einklagen“, sagt Ramona Pop, Vorständin beim vzbv. „Eon und Hansewerk Natur fehlen die rechtlichen Voraussetzungen für die enormen und intransparenten Preisanstiege. Verbraucherinnen und Verbraucher dürfen nicht zu Unrecht abkassiert werden.“
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Fernwärme: Betroffene Kunden können sich Sammelklage kostenlos anschließen
Alle betroffenen Kunden können sich in Kürze der Sammelklage anschließen. Die Klagen wurden für Eon beim Oberlandesgericht Hamm und für Hansewerk beim OLG Schleswig eingereicht. In wenigen Wochen wird das Bundesamt für Justiz (BfJ) in den Verfahren ein Klageregister eröffnen, in das sich alle Betroffenen eintragen und damit der Klage anschließen können. Dies ist noch bis drei Wochen nach Ende der mündlichen Verhandlungen in dem Prozess möglich, der wohl frühestens 2024 verhandelt wird. Die Teilnahme ist kostenlos.
Konkret hat Eon beispielsweise im Versorgungsgebiet Erkrath-Hochdahl den Brutto-Arbeitspreis in Cent (ct) je Kilowattstunde (kWh) von 6,18 ct/kWh im Jahr 2020 auf 23,24 ct/kWh im Jahr 2022 erhöht, berichtet die Verbraucherzentrale. Nach Berechnung des vzbv bedeutet das bei einem Jahresverbrauch von 15.000 Kilowattstunden insgesamt 3500 Euro Mehrkosten für die Jahre 2021 und 2022 zusammen.
Hansewerk Natur hat wiederum in seinem Versorgungsgebiet im schleswig-holsteinischen Hohenlockstedt den Arbeitspreis von 4,959 ct/ kWh Ende 2020 bis ins Jahr 2023 schrittweise auf 38,039 ct/kWh erhöht, so der vzbv. Bei einem Jahresverbrauch von 15.000 kWh bedeutet dies nach vzbv-Schätzung Mehrkosten von 8550 Euro.
Die Versorger berufen sich bei den Erhöhungen auf ihre Preisänderungsklauseln. Doch diese sind undurchsichtig und umstritten. So wird offenbar der Preisanstieg unter Bezug auf einen Erdgasbörsenindex begründet, der aber nicht die tatsächlichen Beschaffungskosten widerspiegelt, zu welchem Preis die Energie für die Erzeugung der Fernwärme eingekauft wurden.
Sammelklage gegen Eon: Auch Bundeskartellamt prüft Versorger
Das Bundeskartellamt nimmt aus diesem Grund ebenfalls mehrere Versorger unter die Lupe. So hat die Bonner Behörde vor wenigen Tagen ein Verfahren gegen sechs – nicht namentlich genannte – Stadtwerke und Fernwärmeversorger wegen Verdachts auf missbräuchlich überhöhte Preissteigerungen zwischen Januar 2021 und September 2023 eröffnet. Die Unternehmen betreiben neun Fernwärmenetze in vier Bundesländern.
Das Bundeskartellamt prüft dabei, wie die Preisanpassungsklauseln konkret angewendet wurden. Im Visier sind vor allem jene Anbieter, bei denen der Verdacht besteht, dass sie ihre Kostenentwicklung an einen Gasindex geknüpft haben, obwohl sie ihre Fernwärme zum größten Teil gar nicht mit Gas erzeugt haben. Fernwärme kann nämlich auch mit Kohle, Holz, Müll, erneuerbaren Energien oder Abwärme erzeugt werden.
Fernwärmekunden stecken grundsätzlich in einer Preisfalle: Sie sind abhängig vom jeweiligen Versorger vor Ort. Ein Wechsel zur Konkurrenz ist nicht möglich, da diese nicht vorhanden ist. „Fernwärmeversorger verfügen in ihren jeweiligen Netzgebieten über eine Monopolstellung“, weiß auch Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes. Umso mehr unterliegen die Versorger einem kartellrechtlichen Missbrauchsverbot.
Sammelklage: „Fernwärmemarkt ist verbraucherunfreundlich“
Die Fernwärmepreise müssen sich laut Mundt an der Entwicklung der tatsächlichen Kosten der Versorger und der allgemeinen Preisentwicklung in der Wärmeversorgung orientieren: „Es wirft zum Beispiel Fragen auf, wenn ein Unternehmen den Fernwärmepreis an die Entwicklung des Gaspreises angepasst hat, obwohl tatsächlich auch andere günstigere Alternativen für die Wärmeerzeugung verwendet wurden.“
Die vzbv-Chefin Pop kritisiert den fehlenden Wettbewerb, keine Wahlfreiheit und die geringe Preistransparenz: „Der Fernwärmemarkt ist in Deutschland alles andere als verbraucherfreundlich.“ Auch Werner Siepe fühlt sich ausgeliefert: „Für uns besteht bei Fernwärme ein Anschluss- und Benutzungszwang. Wir sind gefangene Kunden.“ Er wird sich der Sammelklage anschließen.