Essen. Mitarbeitende sind mental erschöpft, Wut und Erschöpfung wachsen. Ein Essener Start-up hat die Betroffenen befragt - mit einem klaren Ziel.
- Psychische Belastungen am Arbeitsplatz nehmen zu. Das Essener Unternehmen Spexa hat bundesweit über 10.000 Menschen in 30 Betrieben anonym befragt.
- Viele Arbeitnehmer haben das Gefühl, nicht mehr mitzukommen.
- Unzufriedenheit und hohe Fluktuation schaden den Unternehmen.
In den Unternehmen steigen die Krankenstände. Aber auch die mentale Erschöpfung der Beschäftigten nimmt nach Einschätzung des Essener Start-ups Spexa zu und führe zu Enttäuschung und gar Wut.
Mit seinen anonymen Interviews blickt das Team von Spexa tief in die Seelen der Beschäftigten. Rund ein Jahr nach dem Start hat das junge Unternehmen bundesweit 10.000 Datensätze in 30 Unternehmen gesammelt und ausgewertet. „Die zahlreichen Krisen, Arbeitsverdichtung und die Transformation, in der sich viele Unternehmen befinden, führen zu einer enormen Belastung“, sagt Marc Sommer. „Es ändert sich gerade unheimlich viel für die Menschen. Sie haben den Eindruck, nicht mehr mitzukommen.“ Wolfgang Köning, der Spexa gemeinsam mit Sommer gegründet hat, wählt ein drastisches Bild: „Wir beobachten eine Schockstarre bei den Unternehmern. Die Menschen verlassen die Betriebe, es kommt zu Ausfällen und Fehlzeiten.“
Aus den Befragungen wissen die beiden Geschäftsführer, dass Fluktuation als Folge des Arbeitskräftemangels aktuell viele Unternehmen belastet. „Da ist ein Riesenschmerz, wogegen die Personalchefs mit viel Aufwand versuchen, neue Mitarbeitende einzustellen“, schildert Köning. Weil die Führungskräfte und Personlabteilungen häufig mit der Suche nach neuen Leuten befasst seien, fehlten auf der anderen Seite Zeit, Instrumente und Personal, um sich ausreichend um die Stammbelegschaft zu kümmern. Köning: „Das erzeugt Stress, Wut und Enttäuschung.“
Dabei bleibe es aber häufig nicht. Spexa beobachtet, dass hohe Unzufriedenheit die Beschäftigten Arbeitskraft koste und sich negativ auf die Produktivität der Unternehmen auswirke. Statt sich krank schreiben zu lassen und zu Hause zu bleiben, schleppten sich die Beschäftigten zunehmend zur Arbeit. Dieser „Präsentismus“ führe aber zu einem sechsmal höheren Produktivitätsverlust für das Unternehmen als Fernbleiben es tut. Das Essener Start-up hat dazu Zahlen ermittelt: Bei Fehlzeiten verliere die Firma im Schnitt 230 Euro pro Mitarbeitendem und Monat. Kommen sie angeschlagen zur Arbeit und sind nicht voll leistungsfähig, betrage das Minus 1415 Euro.
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„Wesentliche Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit sind Stress, Erschöpfung, Wut, Müdigkeit, Hörsturz und Burnout. Das drückt sich physisch in Schulter- und Nackenschmerzen aus“, meint Sommer. Um dagegen zu steuern reiche es nicht aus, die Mitarbeitenden zur Physiotherapie zu schicken. Denn: „Die Ursachen sind mentale.“ Die psychische Belastung der Beschäftigten wachse. „Sie wollen mitgenommen werden. Aber einen Obstkorb ins Büro zu stellen und Rabattkarten für Fitnessstudios zu verteilen, reicht nicht mehr aus“, sagt der Mitgründer. „Damit schiebt das Unternehmen nur die Verantwortung auf die Mitarbeitenden, selbst etwas für ihre Gesundheit zu tun.“
Spexa-Gründer Sommer: Umdenken in Betrieb ist Chefsache
Mit mental angeschlagenen Beschäftigten habe die gesamte Wirtschaft zu tun. „Überbelastung gibt es quer durch die Branchen. Weil Leute fehlen und Stellen nicht besetzt sind, müssen die anderen zwangsläufig mehr arbeiten“, so Sommer. Auch wenn Spexa aus Neutralitätsgründen bewusst keine Dienstleistungen anbietet, die Firmen aus der mentalen Depression führen könnten, haben die beiden Geschäftsführer dennoch ein Gefühl für mögliche Lösungen. „Am Ende ist es Chefsache, ein Umdenken in der Unternehmenskultur zu erreichen. Nur die Marge und Personalkosten im Blick zu haben, sind alte Reflexe, die zu kurz greifen“, erklärt Sommer.
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Sein Kollege Könings wird noch konkreter: „Die Menschen haben Sorgen und Ängste. Gesundheit ist nicht nur das Ausbleiben von Krankheit, sondern auch mentales und soziales Wohlbefinden. Allein schon durch eine Umfrage wie unsere fühlen sich die Beschäftigten wertgeschätzt.“ Letztlich helfe vor allem eines: „Wir brauchen wieder mehr Kitt in den Unternehmen.“
>>> Stationen bei Bertelsmann, Karstadt und Hessnatur
Der Mülheimer Marc Sommer ist ausgebildeter Dirigent, arbeitete für den Medienkonzern Bertelsmann und leitete über Jahre den Bertelsmann Buchclub. Bis Juni 2009 gehörte Sommer dem Vorstand des damaligen Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor an. Von 2012 bis 2021 war der 61-Jährige geschäftsführender Gesellschafter der nachhaltigen Modekette Hessnatur.
Gemeinsam mit Wolfgang Köning, einem Experten für betriebliches Gesundheitsmanagement, gründete Sommer in Essen das Start-up Spexa. Köning hat in dem Bereich Erfahrungen bei Bayer, Siemens und Bosch gesammelt.
Zu den Investoren von Spexa gehören die RAG-Stiftung und der Essener Startup-Accelarator Bryck. „Wir haben gerade die zweite Finanzierungsrunde unter anderem mit unseren Investoren Bryck und RAG-Stiftung erfolgreich abgeschlossen. Das ist ein tolles Signal für unser junges Unternehmen“, sagt Sommer.