Essen. Kanzler Scholz beim Energiekonzern RWE in Essen: Es herrscht Partystimmung trotz internationaler Krisen. Die Botschaft von Scholz: Pioniergeist.
Der Kanzler wählt den langen Weg durch den Saal – mitten durch die Reihen der RWE-Mitarbeiter. Der Moderator Amiaz Habtu, bekannt aus der TV-Show „Die Höhle der Löwen“, begrüßt den deutschen Regierungschef wie einen Showstar – und die rund 5000 Beschäftigten des Essener Energiekonzerns machen mit. Es ist Partystimmung in Messehalle 6. Insgesamt sollen etwa 10.000 Mitarbeiter auf dem Gelände sein. „Hello Essen“, ruft Olaf Scholz, zunächst auf Englisch, weil die Belegschaft aus unterschiedlichen Ländern angereist ist, in denen RWE aktiv ist. Niederländer sind gekommen, Briten und US-Amerikaner, um den 125. Firmengeburtstag zu feiern.
Auch RWE-Chef Markus Krebber, der vor Scholz auf der Bühne steht, spricht nahezu ausschließlich Englisch. Das Rednerpult, das für ihn aufgebaut ist, wirkt winzig angesichts der riesigen Halle, in der später der Rockstar Robbie Williams exklusiv für die Beschäftigten spielen soll. Sein Team habe ihn zwar auf die Situation vorbereitet, sagt der Manager, aber jetzt sei er doch überwältigt. Dann beschwört er den permanenten Wandel des Konzerns, der – jahrzehntelang durch Kohle und Kernkraft geprägt – nun ein neues Kapitel aufschlagen will als Erzeuger erneuerbarer Energien.
Am 25. April 1898 wurde in Essen die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk AG als lokales Stadtwerk gegründet. 125 Jahre später sieht sich RWE nicht nur als Deutschlands größter Stromerzeuger, sondern auch als Konzern mit globalen Ambitionen. Konzernchef Krebber dreht ein großes Rad. Mit der Übernahme des US-Versorgers Con Edison geht der Revierkonzern in den Vereinigten Staaten auf Wachstumskurs – auch mit Geld, das ein Staatsfonds aus Katar mitgebracht hat, der neue Großaktionär von RWE. Das Unternehmen habe sich „wieder und wieder verändert“, sagt Krebber auf der Geburtstagsbühne.
Ein paar wenige Pfiffe beim Thema Atomausstieg
Bundeskanzler Scholz wird von der RWE-Belegschaft mit viel Applaus begrüßt und begleitet. Nur einmal ertönen ein paar Pfiffe in der Partyhalle, als Scholz den Atomausstieg erwähnt. Auch RWE gehört zu den Konzernen, die ihre Anlagen abgeschaltet haben. Der Kanzler hebt derweil hervor, welche Rolle RWE in der Energiekrise gespielt hat, als Deutschland plötzlich ohne russisches Erdgas auskommen musste. Es habe – anders als zwischenzeitlich befürchtet – keine Energieknappheit gegeben. Nun, da wieder ein Winter vor der Tür steht, seien die Gasspeicher zu über 95 Prozent gefüllt.
„Nur die Energiewende macht uns unabhängiger“, sagt Scholz. Es gehe in dieser Hinsicht zwar voran in Deutschland, aber noch zu langsam. „Gerade die aktuellen internationalen Krisen zeigen uns doch, dass wir beim Umbau unseres Energiesystems in Richtung Erneuerbare Tempo machen müssen.“ Als Scholz das sagt, brandet Applaus auf. Gerade bei RWE sind mit Windenergie, Photovoltaik und Wasserstoff große Hoffnungen verbunden. „RWE lebt diese Transformation wie kaum ein anderes Unternehmen“, urteilt Scholz.
Ein Satz von Scholz erinnert an Merkels „Ja, wir schaffen das“
„Wir haben uns vorgenommen: 2030 werden in Deutschland 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbarer Energie produziert“, so Scholz. „Dafür müssen wir 45 Fußballplätze Photovoltaik-Anlagen bauen – pro Tag.“ Und vier bis fünf neue Windräder seien nötig – ebenfalls täglich. „Das ist ehrgeizig.“ Deshalb sei ein „Vorrang der Erneuerbaren“ gesetzlich verankert. „Ergebnis: Wir holen auf, und zwar gewaltig.“ Schon heute liege Deutschland „bei 30 Fußballplätzen Photovoltaik pro Tag“ – und im vorigen Monat seien bundesweit sechs neue Windräder täglich genehmigt worden. Das zeige: „Wir können das hinkriegen.“ Es ist ein Satz, der an Angela Merkels legendären Ausspruch „Ja, wir schaffen das“ erinnert.
Scholz will Pioniergeist verbreiten. „Die erste industrielle Revolution – die hat RWE entscheidend mitgeprägt“, sagt er. „Das war das Zeitalter von Kohle, Gas und Erdöl. Heute stehen wir an der Schwelle zur zweiten industriellen Revolution. Und ich bin zuversichtlich: Auch diese nächste große Transformation kann und wird RWE entscheidend prägen.“ Den Erfolg dieser Transformation könne „nicht die Bundesregierung anordnen“, auch nicht die EU. „Wir können nur den Rahmen setzen.“ Den RWE-Beschäftigten ruft Scholz zu: „Sie sind es, die die Transformation gestalten. Sie sind es, die den Bürgerinnen und Bürgern ein warmes Zuhause geben.“
Teil der RWE-Regie: Fragen von Beschäftigten an den Kanzler
Auch ein paar Fragen von RWE-Beschäftigten an den Bundeskanzler sieht die Bühnenregie vor. Es sind meist nur harmlose Stichworte für Scholz. Zum Beispiel: Was ihm persönlich Energie gebe? Und: Ob er schonmal einen Windpark auf hoher See besucht habe? Schmunzeln im Saal ruft immerhin die Frage hervor, auf welche Teamleistung in seiner Koalition er „besonders stolz“ sei. „Ich bedanke mich für diese weitreichende Frage“, antwortet Scholz, dessen Ampel-Koalition zuletzt arg zerstritten erschien. Dann antwortet Scholz noch schnell staatstragend – und macht die Bühne frei für Robbie Williams.
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