Essen. Gründer-Sohn Theo Albrecht verlässt die Geschäftsführung von Aldi Nord. Was das für den Discounter bedeutet und was über das Phantom bekannt ist.

Beim Essener Discounter Aldi Nord geht eine Ära zu Ende: Mit Theo Albrecht junior, dem Sohn der Gründer-Legende mit gleichem Namen, zieht sich das letzte Familienmitglied aus der operativen Führung des Unternehmens zurück – erstmals in der 110-jährigen Geschichte des einstigen Krämerladens. Albrecht wechselt in den neu geschaffenen Aufsichtsrat von Aldi Nord, der den seit 1. Oktober völlig neu aufgestellten Konzern überwachen soll. Für die knapp 92.000 Beschäftigten, aber auch Kundinnen und Kunden soll sich nichts ändern.

Erfolgreiche Familienunternehmen umgibt häufig ein Schleier des Geheimnisvollen. Theo Albrecht junior hat dieses Prinzip perfektioniert und gilt als die personifizierte Verschwiegenheit. In seinen – geschätzten – 73 Lebensjahren ist es ihm gelungen, dass nur ein unscharfes Foto an die Öffentlichkeit gelangte, geschweige denn Informationen über sein Leben oder seine Hobbys. Verbrieft ist nur, dass Albrecht in einer Villa in Essen-Bredeney lebt und so sparsam tickt wie sein im Jahr 2010 gestorbener Vater.

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In der Kantine der nagelneuen Unternehmenszentrale in Essen-Kray kann man die Uhr danach stellen, dass der Chef zum Mittagessen aufkreuzt und sich immer an denselben Tisch setzt. Dass der architektonisch beeindruckende Aldi-Campus gleich gegenüber dem Stammhaus gebaut wurde, gilt im übrigen als das Verdienst von Theo Albrecht junior. Pläne, in ansprechenderen Gegenden als dem dortigen Gewerbegebiet oder gar außerhalb von Essen zu investieren, erteilte er früh eine Absage.

Theo Albrecht – die personifizierte Verschwiegenheit

Die völlige Abkapselung von der Öffentlichkeit dürfte einen ernsten Hintergrund haben: Die spektakuläre Entführung seines Vaters Theo Albrecht, der auf Fahrer und Personenschützer verzichtete und im November 1971 nach Verlassen seines Büros, das damals noch in Herten war, beim Einstieg ins Auto Kidnappern in die Hände fiel. Nach 17 Tagen kam der Patriarch wieder frei. Das Lösegeld in Höhe von sieben Millionen Mark hatte Ruhrbischof Franz Hengsbach übergeben.

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Von seiner Linie der Verschwiegenheit wich Sohn Theo Albrecht junior nur einmal ab, als er im Frühsommer 2016 dem „Handelsblatt“ offenbar aus schierer Verzweiflung ein Interview – selbstredend ohne Foto – gab. Auf dem Höhepunkt des Erbstreits mit Babette Albrecht, der Witwe seines 2012 gestorbenen Bruders Berthold, sah der Milliardär offenbar keinen anderen Weg mehr, als öffentlich zu unterstreichen, dass die Zukunft des Unternehmens gefährdet sei.

Machtkampf um das Erbe beendet

Albrecht muss es ein Grauen gewesen sein, dass sich seine Schwägerin feiernd bei Partys und im Karneval zeigte und im Publikum der Fernsehsendung „Let’s dance“ gesichtet wurde. „Die – teilweise peinlichen – Auftritte meiner Schwägerin in der Öffentlichkeit und auch die zahlreichen, von ihr geführten Prozesse sind eine Belastung für unser Unternehmen“, sagte Albrecht damals. „Mein Bruder würde sich im Grabe rumdrehen, wenn er wüsste, was hier abläuft.“

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Aus einem jahrelangen und zum Teil schmutzigen Rechtsstreit um den Einfluss der drei Stiftungen Markus, Lukas und Jakobus, in denen das milliardenschwere Kapital der beiden Stämme der Aldi-Eigentümer geparkt ist, ging Theo Albrecht schließlich als Gewinner hervor. Am Ende schlossen die bislang heillos zerstrittenen Familienzweige Frieden und einigten sich auf eine völlig neue, moderne Unternehmensstruktur. Die bisherige hatte Anfang der 70er Jahre der Essener Rechtsanwalt Emil Huber gezimmert. Die graue Eminenz Huber war im vergangenen Jahr als Generalbevollmächtigter und Vertrauter Albrechts aus der Firma ausgeschieden.

Neue Rechtsform für Aldi Nord

Mit etlichen Jahren Verspätung folgt Aldi Nord nun dem Vorbild der Mülheimer Schwester Aldi Süd und krempelt das Organigramm um. Auch Beate Heister und Karl Albrecht junior, die Erben von Karl Albrecht, haben ihre Milliarden in Stiftungen angelegt. Das Zusammenspiel zwischen Familie und Unternehmen funktioniert bei Aldi Süd seit jeher geräuschlos.

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Nun ist auch der mächtige Verwaltungsrat, der die operativen Geschäfte bei Aldi Nord führte, Geschichte. Sein Vorsitzender Theo Albrecht junior wechselt in den Aufsichtsrat der neu geschaffenen Holding und soll dort einfaches Mitglied, aber auch Ehrenvorsitzender werden. Das Kontrollgremium wird paritätisch von seinem Familienstamm und dem Babette Albrechts und deren Drillingen besetzt.

Theo Albrecht wird Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats

Wie groß der Aufsichtsrat sein wird, ist unbekannt. Fest steht nur, dass er sich noch im Oktober konstituieren soll, bekannt sind bisher zwei Namen: Theo Albrecht junior und Lars Kolks, der Aufsichtsratschef werden soll. Kolks kommt wie sein Vorgänger Emil Huber als Generalbevollmächtigter bei Aldi Nord von der renommierten Essener Anwaltskanzlei Schmidt/von der Osten & Huber. Wie es heißt, soll kein Vertreter aus dem Management im Aufsichtsrat sitzen, um Gesellschafter und Unternehmen klar voneinander zu trennen.

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An die Stelle des Verwaltungsrats ist nun die Aldi Nord Holding GmbH & Co. KG getreten. Sie wird vom Vorstandsvorsitzenden Torsten Hufnagel geführt, der bislang schon den inoffiziellen Titel „Chef von Aldi Nord“ trug. Im Aldi-Sprech fungierte Hufnagel als „Gesamtverantwortlicher der Unternehmensgruppe“. Dem dreiköpfigen Vorstand gehört überdies der ehemalige Deutschland-Chef Nicolas de Lope an. Der Posten des Finanzchefs ist noch vakant.

Unterhalb der Holding soll es bei den Auslandsgesellschaften, den Beteiligungen und der Einkaufsgesellschaft bleiben. Neu ist die Gesellschaft für den Heimatmarkt, die unter Aldi Nord Deutschland GmbH & Co. KG firmiert. Sie soll Felix Rottmann als Vorstandsvorsitzender führen. An seiner Seite hat er Markus Dicker, Sarah Cordes und Oktawian Torchala.

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Auch wenn sich die beiden Schwesterunternehmen nun auch in der Rechtsform angeglichen haben, gibt es einen Unterschied: Aldi Süd steuert das Imperium mit seinen weltweit rund 155.000 Mitarbeitenden nicht nur aus Mülheim, sondern zusätzlich aus Salzburg, wo die beiden Chefs der Holding, Thomas Ziegler und Tom Daunt sitzen. Bei Aldi Nord hat man sich auf Essen als alleiniges Machtzentrum verständigt.