Essen. Zwei Aktionärsgruppen fordern Aufspaltung der Brenntag. Vorstand des Essener Chemiehändlers ist dagegen. Kampfabstimmung bei Hauptversammlung.
Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen gelten gemeinhin als langweilige Pflichtveranstaltungen. Beim Essener Dax-Konzern Brenntag könnte es am 15. Juni jedoch spannend werden. Beobachter erwarten einen „Showdown“ und eine „Schicksalswahl“ rund um den künftigen Aufsichtsratsvorsitzenden, die eine Zerschlagung des Chemikalienhändlers zur Folge haben könnte.
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Bei der Brenntag lief zuletzt alles wie geschmiert. Der mit großem Abstand weltgrößte Chemikalienhändler stieg im vergangenen Jahr ins Oberhaus der börsennotierten Unternehmen, den Dax 40, auf. Seit seinem Amtsantritt im Januar 2020 baut der Vorstandsvorsitzende Christian Kohlpaintner das 148 Jahre alte Traditionsunternehmen konsequent um, schloss Standorte, baute Stellen ab, wechselte Top-Manager aus und legte Rekordergebnisse vor: So stieg der Aktienkurs jährlich im Schnitt um 15 Prozent, die Marktkapitalisierung legte über vier Milliarden Euro zu, das operative Ergebnis (Ebitda) ging um 80 Prozent in die Höhe und erreichte zuletzt 1,81 Milliarden Euro.
Investoren Prime und Engine contra Brenntag-Vorstand
Den aktivistischen Investoren Primestone und Engine, die gerade einmal zwei und ein Prozent der Aktien des Essener Unternehmens halten, reicht all das offenbar nicht aus. Sie fordern eine Aufspaltung der Brenntag in eine Firma für das Massengeschäft und eine Firma für das lukrative Geschäft mit Spezialchemie, um die Rendite in die Höhe zu treiben. Zudem wollen sie verhindern, dass der vom Brenntag-Vorstand favorisierte Richard Ridinger den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt und damit die Nachfolge von Doreen Nowotne antritt, die auch Chefaufseherin des Duisburger Familienunternehmens Haniel ist.
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Mit zwei Briefen versuchen Primestone und Engine, die anderen Anteilsanleger auf ihre Seite zu ziehen. Den Kurswechsel bei der Brenntag sollen Joanna Dziubak und Geoff Wild beschleunigen. Die ehemalige Investment-Bankerin und den früheren Chemiemanager schicken die beiden aktivistischen Investoren in eine Kampfkandidatur um zwei neu zu besetzende Sitze im Aufsichtsrat des Chemiedistributeurs. Der Brenntag-Vorstand dagegen empfiehlt die Wahl der Digitalexpertin Suja Chandrasekaran und Richard Ridinger, der bis 2019 das schweizerische Pharma- und Chemieunternehmen Lonza Group geleitet hatte.
Um Dampf vom Kessel zu nehmen, brachte Engine Capital Anfang der Woche eine Verschiebung der Hauptversammlung ins Spiel, um den Weg für eine Erweiterung des Aufsichtsrats um zwei Sitze freizumachen. Das lehnt das Management jedoch ab. „Brenntag SE hält an seiner Hauptversammlung am 15. Juni 2023 fest, da eine Verschiebung der Hauptversammlung nicht im Interesse aller Anteilseigner wäre“, sagte ein Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion. Die jährliche Zusammenkunft müsse „aus rechtlichen Gründen“ bis zum 30. Juni, also sechs Monate nach Beendigung des Geschäftsjahres, abgehalten werden. „Eine Verschiebung würde zudem die Auszahlung der Dividende verzögern und wäre deswegen nachteilig für die Aktionäre“, so der Sprecher.
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Wie viele Stimmen die Rebellen am Donnerstag nächster Woche hinter sich vereinigen können, ist ungewiss. Bislang hat sich öffentlich nur der einflussreiche US-Stimmrechtsberater ISS auf die Seite von Primestone und Engine geschlagen. Die Brenntag befindet sich weitgehend im Streubesitz. Die größten Anteilseigner wie Black Rock, Flossbach von Storch oder Kühne Holding halten Aktien deutlich unter der Zehn-Prozent-Marke.
Brenntag-Chef Kohlpaintner gegen Aufspaltung des Konzerns
Wenige Tage vor der mit Spannung erwarteten Hauptversammlung glühen deshalb die Drähte. „Brenntag führt zahlreiche Gespräche mit unseren Gesellschaftern. Unter den Aktionären ist eine sehr breite Unterstützung zu spüren“, sagt der Sprecher auf Anfrage. Vorstandschef Kohlpaintner geht also davon aus, dass er für seine Strategie Rückendeckung erhält. Dem Vernehmen nach will er die beiden Unternehmensbereiche Essentials, also das Massengeschäft, das rund 55 Prozent zum Brenntag-Umsatz beiträgt, und Essentials mit den rendite- und wachstumsträchtigen Spezialchemikalien (41 Prozent) zunächst unter einem Dach belassen. Die Zerschlagung der Brenntag wäre damit abgewendet. Intern soll Kohlpaintner davor gewarnt haben, dass eine Aufspaltung des Konzerns zwar kurzfristig die Umsatzrendite in die Höhe treiben könnte. Der Vorstandschef setze aber auf eine nachhaltige und langfristige Entwicklung des Konzerns.
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Zu Kohlpaintners Aufsichtsratskandidaten und Strategie bekennen sich inzwischen öffentlich eine Reihe von Aktionären. „Wir sind irritiert und besorgt über das Verhalten der beiden aktivistischen Investoren, nachdem das Management der Brenntag SE bereits vor einiger Zeit einen Strategieprozess in die Wege geleitet hat, an dessen Ende auch eine Aufspaltung des Konzerns stehen kann“, erklärt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Das Management habe die Situation längst selbst erkannt und Veränderungen herbeigeführt. Die Wahl der zwei von den aktivistischen Investoren vorgeschlagenen Aufsichtsratskandidaten, meint Tüngler, gefährde „die bisher nachhaltig erfolgreiche Entwicklung der Gesellschaft“ und schaffe bewusst Unruhe im Management.
Großaktionär Kühne stützt den Brenntag-Vorstand
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Auch die Schweizer Holding des Logistik-Unternehmers und vermeintlich reichsten Deutschen Michael Kühne (Kühne + Nagel, Hapag Lloyd), die sechs Prozent an der Brenntag hält, schlägt sich auf die Seite von Konzernchef Kohlpaintner. Wie sich die anderen größeren Aktionäre wie Blackrock, Capital Group, Flossbach von Storch und andere verhalten werden, ist jedoch ungewiss.