Raumland. Kitas in Wittgenstein am Limit: Um ungewisse Finanzierung und Fachkräfteproblem zu besprechen, trafen sich Politiker mit Praktikern.
Die Kitas in ganz Deutschland stehen vor immensen Problemen. Um in den Dialog zu kommen und die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Thema Kita-Finanzierung und Fachkräftemangel im Bereich der frühkindlichen Bildung zu beleuchten, lud die Partei Bündnis90/die Grünen nun ins Rumelingene Haus in Raumland zu einer Podiumsdiskussion ein.
KiBiz zu kompliziert
Dass das Thema gesellschaftlich von sehr großem Interesse ist, wurde schon vor Beginn der Diskussion deutlich: Nahezu alle Plätze waren besetzt, Autos standen bis an die Straße. Auf dem Podium begrüßte Moderator Detlev Schnell Birte Freudenberg vom Familienzentrum Blauland, das in eigener Trägerschaft ist, Anika Autschbach vom AWO-Kreisverband Siegen-Wittgenstein und Felix Dornhöfer vom Paritätischen Wohlfahrtverband als Kitaträgervertreter. Von Seiten der Politik waren Bundestagsabgeordnete Laura Kraft (Grüne), Landtagsabgeordnete Eileen Woestmann (Grüne) und Meike Menn, Sprecherin der grünen Kreistagsfraktion, anwesend. In der einleitenden Diskussionsphase zwischen den Podiumsgästen wurde schnell deutlich, dass auch die Vertreterinnen der Politik nicht mit dem aktuellen Kita-Finanzierungssystem zufrieden sind: „Das neue Kinderbildungsgesetz (KiBiz) ist eines der kompliziertesten Gesetze in NRW“, sagte Landespolitikerin Woestmann direkt zu Beginn. Das KiBiz habe zwar einige Dynamisierungen finanzieller Mittel erreicht, das Problem liege aber darin, dass das Haushaltsjahr und das Kitajahr zeitlich nicht übereinstimmen. So komme es dazu, dass Gelder erst im Nachhinein bezahlt werden, während die Kitaträger laufende Ausgaben haben.
Davon wusste Birte Freudenberg aus ihrem praktischen Arbeitsalltag zu berichten: „Die nicht auskömmliche Finanzierung betrifft uns seit einem Jahr, wegen der tariflichen Erhöhung“, erklärte die Kitaleiterin. Aus diesem Grund habe ihr Kita-Team auch an Demonstrationen teilgenommen. „Wie sollen wir das Personal bezahlen, wenn das Geld nicht da ist?“, fragte sie. Selbst wenn die eingeplanten Gelder verspätet kommen, sei die Pauschale nicht ausreichend. Dem stimmte auch Anika Autschbach von der AWO uneingeschränkt zu. Ein großes Problem der Finanzierung, insbesondere für Kitas in ländlichen Regionen, sei die Zumessung des Geldes anhand des KiBiz: 90 Prozent dienen den Personalkosten, nur 10 Prozent sind für Sachkosten eingeplant. Außerdem sei der Rückstand der Endabrechnung problematisch, gerade seien die Ämter erst beim Jahr 2019/2020. „Die Planungsgarantie ist einfach nicht vorhanden“, sagte Autschbach. „Die Kinder sind unsere Zukunft, wir müssen in sie finanzieren!“ Der Vertreter der Paritätischen Wohlfahrt Felix Dornhöfer konnte sich mit seinen Sorgen den anderen Kita-Trägern nur anschließen, blickte aber hoffnungsvoll in die Runde: „Ich bin guter Dinge, dass solche Formate zur Lösung beitragen können.“
Falsche Prioritätensetzung in der Politik
Im Laufe der Diskussion wurde klar: Weder auf Bundes- noch auf Landesebene stehen den Bildungsministerien die notwendigen finanziellen Mittel im aktuellen Haushalt zur Verfügung. „Wir brauchen in diesem Land eine ganz andere Prioritätensetzung“, appellierte Laura Kraft. Der Fokus müsse viel mehr auf den Bereich Bildung gelegt werden, es fange zwar bei der frühkindlichen Bildung an, müsse dann aber auch „konzeptionell“ weitergehen. „Wir müssen Bildung als investives Mittel begreifen, da braucht man nicht geizig sein!“, sagte die Bildungspolitikerin. Mit dieser Aussage stieß Kraft auf Zustimmung, bot aber keine konkrete Lösung für die Finanzierungslücke. Aus dem Publikum kam Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann daraufhin mit einem expliziteren Ansatz zu Wort: „Man könnte einen Fonds reingeben, um die Kostenlücke zu überbrücken“, schlug er vor. Ein solcher Fonds könnte das durch gestiegene Kosten und Abrechnungsrückstand ausgelöste Defizit kurzfristig ausgleichen. Das sei allerdings nicht Aufgabe der Kommunen: „Wir machen hauptsächlich Vernetzungsarbeit“, erklärte Fuhrmann den Einflussbereich der Kommunen.
Im zweiten Teil der Veranstaltung konnten sich die Zuschauenden mit Wortmeldungen und Nachfragen beteiligen. Auf die Frage eines AWO-Mitarbeiters, was für Gründe überhaupt gegen mehr Geld für den Bereich Bildung sprechen könnten, meinte Laura Kraft: „Es ist die Frage, was die politischen Prioritäten sind.“ Außerdem spiegele sich ein genereller gesellschaftlicher Missstand in dem Problem wider: „Frauen werden nicht ernst genommen“, so Kraft. Die Diskussionen um Kitas werden vorrangig von Vertreterinnen geführt und würden deshalb nicht so stark wahrgenommen. Zudem sei man einfach nicht laut genug. „Leider haben wir nur Bobby-Cars, mit denen wir irgendwo auflaufen können“, nahm Eileen Woestmann auf die fehlende Stärke der Lobby Bezug. Wobei es doch eine starke Lobby geben könnte: „Eigentlich müssten die Unternehmen uns die Bude einrennen. Das ist ein sehr wirtschaftspolitisches Thema“, wandte Laura Kraft ein. Eine Mutter aus dem Publikum, die laut eigenen Angaben selbst in der Wirtschaft arbeitet, bekräftigte diese Perspektive. Wenn sich keiner um die Kinder kümmert, haben die Unternehmen und letztendlich die ganze deutsche Wirtschaft ein großes Problem. Doch laut Kraft und Woestmann, hänge das Thema Finanzierung alleinig an Finanzminister Christian Lindner und der setze eben andere Prioritäten als Bildung: „Wenn man wirklich was bewirken will, muss man Finanzminister werden“, meinte die Landtagsabgeordnete trocken.
Finanzierung sollte vor Gesetzbeschluss geklärt werden
Letztendlich, so das Fazit von Kitaleiterin Esther Dreisbach, müssen die Kommunen es ausbaden, wenn den Kitas alle Mittel ausgehen: „Kitas wird es immer geben, da bin ich mir sicher“, sagte Dreisbach. Wenn alles den Bach runtergehe, werden die Kommunen die Notversorgung der Kinder sicherstellen müssen. Denn: Eltern können wegen ihres Rechtsanspruches auf Kinderbetreuung Klage gegen die Kommune erheben. Nach diesen unheilvollen Worten war es an Bürgermeister Bernd Fuhrmann, Abschiedsworte zu finden. Er regte an, sich finanzpolitisch ein Beispiel an unseren Nachbarn in Holland zu nehmen: „Die klären dort erst die Finanzierung, bevor ein Gesetz in Kraft tritt“, erläuterte Fuhrmann. Auf diese Weise hätte es im Falle des KiBiz gar nicht zu so großen finanziellen Lücken kommen können. Trotzdem ging der Bürgermeister positiv aus der Veranstaltung: „Ich hoffe, dass das nicht die letzte Veranstaltung zu dem Thema war“, verabschiedete er sich. Zum Schluss appellierte Eileen Woestmann noch an die Bevölkerung: „Bitte fluten Sie unsere Postfächer mit dem Thema!“ Wenn man mehr Nachrichten bezüglich eines Themas bekomme, könne man als Politikerin besser auf den Finanzminister zugehen. Positive Worte zum Abschluss fand Felix Dornhöfer: „Die Lage ist ernüchternd, aber mit dem Engagement, das ich hier erlebe, bin ich frohen Mutes!“