Siegen-Wittgenstein. Burbachs Bürgermeister hinterfragt die Notwendigkeit weiterer Nationalparks in NRW. Doch die Naturschutzverbände halten mit Fakten dagegen.
In die Diskussion um einen Nationalpark im Kreis Siegen-Wittgenstein hat sich Burbachs Bürgermeister Christoph Ewers eingeschaltet. Ewers ist Vizepräsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates – und findet, „dass wir genügend Wald-Nationalparke in Deutschland haben“. Dem gegenüber steht derweil die Zahl, die die Naturschutzverbände BUND, NABU, AG Rothaargebirge und LNU kennen: „Die 16 in Deutschland bestehenden Nationalparks machen 0,6 Prozent der Landesfläche aus. Insofern werde es früher oder später weitere Schutzgebiete geben müssen“, machte in der kürzlich von den Naturschutzverbänden veranstalteten Podiumsdiskussion Dipl. Biologe Peter Schauerte deutlich.
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Diesen Wert, 0,6 Prozent, bestätigt auch das Bundesamt für Naturschutz. Dennoch sei es laut Christoph Ewers nicht zielführend, den Status eines Nationalparks „schon fast inflationär anstreben wollen“. Man müsse sich die Frage stellen, „ob zwischen Kellerwald und Eifel ein weiterer Nationalpark entstehen muss“. Dipl. Biologe Peter Schauerte argumentierte diesbezüglich, dass sich Deutschland zu mehr Artenschutz auf mindestens zwei Prozent der Landesfläche verpflichtet hat – beispielsweise durch die Unterzeichnung der Biodiversitätskonvention. Jetzt habe Siegen-Wittgenstein die große Chance, sich aktiv in den Prozess einzubringen und „sämtliche Vorteile, die durch eine Nationalparkausweisung entstehen, abzuschöpfen.“
Diese Vorteile benennt auch Ewers: Nationalparke seien wertvoller Bestandteil des nationalen Naturerbes. Sie trügen zum Artenschutz und der Biodiversität bei und lieferten wichtige Erkenntnisse für Wissenschaft und Forschung, schreibt Ewers. „Die bestehenden Nationalparke zeigen auch, dass in manchen besonders strukturschwachen Regionen wirtschaftliche Vorteile durch Regionalmarketing entstehen können.“
Doch Ewers kritisiert auch: „Wer romantisierend Stilllegung als Allheilmittel für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität fordert, verkennt die Herausforderungen, der sich die Waldbewirtschaftung durch Klimawandel und berechtigte gesellschaftliche Anforderungen zu stellen hat.“ Der Vorsitzende des Verbandes der kommunalen Waldbesitzer („Kommunalwald NRW“) argumentiert: Nur zukunftsfähige Wälder könnten nachhaltig zum Klimaschutz beitragen, die biologische Vielfalt bewahren, Erholung, Rohstoff und Energie bereitstellen. „Solche Wälder entstehen durch aktives Handeln. Nur auf Selbstheilungskräfte der Natur zu vertrauen, wäre blauäugig und verfehlt“, schreibt Ewers.
Doch was passiert eigentlich, wenn man den menschlichen Einfluss aus einem Forststück heraus nimmt und diesen sich selbst überlässt? Laut WWF (World Wide Fund For Nature) werde der Bestand eines solchen Gebietes noch die ersten 2000 Jahre von seinem Ausgangszustand geprägt sein. Erst danach könne man von einem durch den Menschen unbeeinflussten Wald sprechen. „Gleichzeitig beginnen die ersten wichtigen Prozesse sofort“, erklärt Dr. Susanne Winter, Programmleiterin Wald beim WWF Deutschland. Es bilden sich demnach Höhlen, die biologische Vielfalt wachse, Insekten und Pilze besiedeln das Totholz. „Aber man darf sich eine Urwaldwerdung nicht als lineare Entwicklung vorstellen“ so Winter.
Christoph Ewers macht sich abseits davon aber auch um die Holzwirtschaft Gedanken: Die Holznutzung, die hierzulande unter höchsten Umwelt- und Arbeitsschutzstandards erfolge, zunehmend zu untersagen „und dann das für klimaschonendes Bauen im Holzimportland Deutschland dringend benötigte Holz aus anderen Ländern unter teilweise katastrophalen Bedingungen zu produzieren, kann keine Lösung für den globalen Schutz von Klima und Natur sein“, so Burbachs Bürgermeister. In einem möglichen Nationalpark am Rothaarkamm würde sich dies auf eine Fläche von 4300 Hektar erstrecken – zum Vergleich, der Kreis hat laut dem Regionalforstamt eine Waldfläche von insgesamt rund 80.000 Hektar.
Land kümmert sich um Bereitstellung der Staatswaldflächen und Ausstattung des Parks
Ewers betont seinerseits aber auch, dass es Deutschland fast keinen Wald mehr, der nicht bereits unter einem gesetzlichen Schutz stehe: „Wir haben in Deutschland regional durch Richtlinien und Vorgaben so stark die Daumenschrauben angezogen und uns mit verpflichtenden Maßnahmen und Arbeitspaketen überreguliert, dass man sich nüchtern betrachtet, fragen muss: Wer soll das eigentlich alles umsetzen und wer soll das finanzieren?“ Auch wirft er dem NRW-Umweltministerium vor, keine nachvollziehbare Vorstellung darüber zu haben, was eigentlich geschützt werden soll.
Dem gegenüber steht die Aussage von Dr. Benedikt Scholtissek, der im Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes NRW das für die Landschaftsplanung, die Eingriffsregelung sowie die Schutzgebiete zuständige Referat leitet. Dr. Scholtissek hob auf der kürzlich stattgefundenen Veranstaltung der Naturschutzverbände hervor, dass es der Landesregierung ein wichtiges Anliegen sei, keine bestimmte Fläche vorzugeben, sondern die Regionen einzuladen, sich zunächst für einen zweiten Nationalpark zu bewerben. Die Aufgabe des Landes bestehe in der Bereitstellung der Staatswaldflächen und der finanziellen und personellen Ausstattung des Parks.
Wie eine Ausgestaltung eines solchen Parks aussehen kann, legten Claus-Andreas Lessander, Förster und Mitentwickler des Nationalparks Hunsrück-Hochwald sowie der Biologe Ralf Kubosch dar, der am Nationalpark Kellerwald-Edersee Projekt mitgewirkt hat. Claus-Andreas Lessander betonte die mittlerweile starke Identifizierung der Bevölkerung mit ihrem Park. Im Hunsrück sei es früh durch das Zusammenspiel von Land, Kommunen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gelungen, einen positiven Prozess in Gang zu bringen. So konnten Verordnungen im Konsens gestaltet werden.