Bad Laasphe. Jesse Hess aus New York ist auf Spurensuche in Bad Laasphe: „Es ist sehr emotional, in der Heimat meiner Vorfahren zu sein.“
Rainer Becker und Jesse Hess beugen sich über zwei Zettel, auf einem stehen Namen und Daten, auf dem anderen ist ein Plan des jüdischen Friedhofs in Bad Laasphe. Die Namen gehören zu Vorfahren von Jesse Hess. Der Amerikaner ist in die Lahnstadt gereist, um mehr über seine Familiengeschichte zu erfahren. Rainer Becker vom Freundeskreis für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hilft ihm dabei, die Puzzlestücke seiner Vergangenheit zusammenzusetzen.
Der 28-jährige Amerikaner ist zum ersten Mal in Deutschland zu Gast. Er lebt in Brooklyn, einem Stadtteil von New York. Sein Großvater Fritz Hess ist im Alter von sechs Jahren, Anfang 1938, mit seinen Eltern Herman und Rosa Hess und seinen Geschwistern nach Amerika geflohen. Für die jüdische Familie ging es mit der SS Manhattan von Hamburg nach New York.
Amerikaner Jesse Hess stellt eine Verbindung zur Familiengeschichte her
Für Jesse Hess ist der Besuch in der alten Heimatstadt „eine Verbindung zur Familiengeschichte, die sonst so weit weg war.“ Nach dem Tod seines Großvaters in 2019 fand der Enkel die Archive, mitsamt dem Kontakt zu Rainer Becker und Bildern von Reisen nach Bad Laasphe. Großvater Fritz Hess besuchte seine Heimat 2011. „Das hat mein Interesse an meinen Vorfahren geweckt“, sagt der Amerikaner.
Jetzt ist er seit wenigen Tagen in Deutschland, zuerst in Berlin und jetzt in Bad Laasphe. „Es ist sehr emotional, in der Heimat meiner Vorfahren zu sein. Es ist eine sehr schöne Stadt“, sagt Jesse Hess. „Das Gefühl ist schwer in Worte zu fassen. Meine Familie hat hier sehr lange gelebt und musste plötzlich abreisen. Das ist das Zuhause meines Großvaters, Onkels, Tante und Cousins.“
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„Surreale Erfahrung“ - Jesse Hess besichtigt Orte in Bad Laasphe an denen sein Großvater früher lebte
Das Haus, in dem Fritz Hess geboren wurde und die ersten Jahre seiner Kindheit verbrachte, steht im Steinweg 15. Jesse Hess besuchte das Haus und durfte sogar einen Blick hineinwerfen. „Ich konnte aus dem Fenster in Richtung des Hauses seines Onkels sehen“, sagt Hess. Dieser lebte damals in der Wallstraße 9. Das kleine Gässchen Richtung Kirche beeindruckte Jesse Hess – genauso wie die Stolpersteine. „Ich las die Namen von Menschen, die mein Großvater damals kannte.“ Eine „surreale Erfahrung“, wie der Amerikaner sagt.
Die alte Synagoge steht auch auf dem Besichtigungsprogramm: „Hier hätten mein Großvater und seine Cousins ihre Bar Mizwa haben sollen.“ Diese fand nicht statt, weil die Familie vorher flüchtete. „Ich fühle mich mehr mit der Geschichte verbunden. Ein ganz neues Gefühl, die Geschichte bewahren zu wollen, wie zum Beispiel die Synagoge“, so Hess. Rainer Becker zeigt dem Amerikaner ein Bild der Synagoge, wie sie vor 1938 aussah. „Es sah bestimmt wunderschön aus, wenn das Licht durch die bunten Glasfenster fiel“, sagt Jesse Hess. „Hoffentlich sieht es hier irgendwann wieder genau so aus.“
Amerikaner Jesse Hess überlegt nach Deutschland zu ziehen
Der Amerikaner spielt mit dem Gedanken nach Deutschland zu ziehen, um sein Masterstudium in Berlin zu absolvieren. Er hat einen Abschluss in Filmographie und würde entweder gerne weiter Film studieren oder tiefer in das Archiv- und Bibliothekswesen eintauchen. Ein paar Tage hat er bereits in Berlin verbracht. „Da ist eine Verbindung zwischen New York und Berlin“, sagt Hess. Kontakt zu einem Filmemacher hatte er bereits im Vorfeld und konnte so schnell weitere Kontakte in der Hauptstadt knüpfen. „Die Leute in Deutschland sind sehr nett und hilfsbereit“, sagt Hess. „Ich bin vor allem von Rainers Freundlichkeit und Hingabe für das Projekt der Synagoge gerührt.“
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Jesse Hess kam am Vorabend des jüdischen Neujahrs in Deutschland an und ist bleibt über den höchsten jüdischen Feiertag – Jom Kippur, dem Versöhnungstag. „Versöhnung hat immer etwas mit in sich gehen und zu einem selbst zurückkehren zu tun. In gewisser Weise bin ich zurückgekehrt,“ sagt Hess. Nach seinem Großvater hat niemand aus der Familie mehr die Heimat besucht. „Viele zögern, wenn es darum geht, nach Deutschland zurückzukehren. Nicht nur meine Familie, sondern viele Juden“, so der 28-Jährige.
Gräber von Vorfahren auf dem jüdischen Friedhof in Bad Laasphe besucht
Auf dem jüdischen Friedhof geht Jesse Hess mit Rainer Becker dann wortwörtlich auf die Suche nach seinen Vorfahren. Rainer Becker hat die Daten der Familie Hess recherchiert, der Friedhofsplan hilft die Gräber zu finden. Dann stehen sie vor dem ersten Grabstein, die Inschrift ist noch zu lesen. Regine Hess, geborene Kahn, lebte von 1809 bis 1903 und verstarb mit 94 Jahren. Jesse Hess ist erstaunt über das hohe Alter und dass sich seine Familie über so viele Generationen zurückverfolgen lässt.
Insgesamt zwei Wochen ist der Amerikaner in Deutschland und auf den Spuren seiner jüdischen Vorfahren unterwegs. Sein Fazit bisher: „Die Wichtigkeit von Geschichte generell ist mir bewusst geworden. Und wie wichtig es ist, sie zu bewahren.“