Gera /Bad Laasphe. Ein Mann der 2010 eine Bad Laasphger Schülerin (13) missbraucht hat, steht jetzt in Gera erneut vor Gericht. Diesmal wegen Vergewaltigung.
Der Prozess vor dem Landgericht Gera gegen einen heute 35-jährigen Mann wegen schweren sexuellen Missbrauchs und mehreren Vergewaltigung schlägt Wellen bis in die private Realschule Schloss Wittgenstein in Bad Laasphe. Hintergrund sind die Angaben aus der Anklageschrift.
Geschichte startete mit einer verbotenen Liebesbeziehung eines Erwachsenen zu einer damals 13-jährigen Schülerin in Bad Laasphe im Jahr 2010. Es folgte eine spektakuläre Flucht des Paares durch Europa, die in Thüringen endete. Das Amtsgericht Bad Berleburg hatte damals auch ein erstes Urteil gesprochen. Am Landgericht Gera hat jetzt ein erneuter Prozess wegen schweren sexuellen Missbrauchs und darüber hinaus auch wegen mehreren Vergewaltigungen und einer Leistungserschleichung während einer Haftzeit begonnen.
Die Staatsanwaltschaft Gera legt dem Mann aktuell zur Last, über eine Partnerbörse vor zehn Jahren ein 13-jähriges Mädchen kennengelernt und eine Liebesbeziehung aufgebaut zu haben. Ende Juli 2010 sei er mit ihr aus Nordrhein-Westfalen nach Thüringen geflüchtet und habe bereits im Zug mit ihr Geschlechtsverkehr vollzogen. Weiteren intimen Verkehr soll es hinter einem Pferdestall und auf der Toilette der Privaten Realschule auf Schloss Wittgenstein in Bad Laasphe gegeben haben.
Realschule kritisiert Details der Anklageschrift
„Viele unserer Lehrer können sich noch an den Fall erinnern“, berichtet die heutige Schulleiterin Melanie Dietrich und stellt zugleich klar: „Der Mann war nie auf dem Schulgelände oder im Gebäude“. Dietrich ist seit 2000 an der Schule und hat die Vorfällen selbst miterlebt. Sie erinnert sich aber, dass die Eltern der 13-Jährigen zusammen mit einem Fernsehteam des Privatsenders RTL auf das Schulgelände gekommen waren, weil der 23-jährige und die 13-Jährige gemeinsam wegen ihrer verbotenen Beziehung zwei Wochen lang auf der Flucht waren.
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Klare juristische Vorgabe
Das ist Gegenstand des Prozesses: Selbst wenn er einvernehmlich erfolgt, ist Geschlechtsverkehr mit unter 14-Jährigen strafbar – als schwerer sexueller Missbrauch mit der Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Insgesamt listet Staatsanwalt Werner neun Fälle auf. Darüber hinaus sei es zu 32 Fällen der Vergewaltigung gekommen, als das Mädchen schon älter als 14 Jahre war. Teilweise sei einvernehmlicher Verkehr in abgelehnte Praktiken übergangenen. Die Tatorte befanden sich zum Teil im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, aber auch im Raum Kassel. Teils seien gefährliche Werkzeuge zum Einsatz gekommen, so die Staatsanwaltschaft. In einem weiteren Fall soll der Angeklagte die Freundin des Mädchens vergewaltigt haben.
Angeklagter verweist auf „Einvernehmlichkeit“
Zudem soll der Angeklagte während eines Haftaufenthaltes gut 5000 Euro vom Jobcenter erschlichen haben, indem er sich nicht vom Hartz-IV-Bezug abgemeldet hatte. Der Angeklagte bestreitet den Betrug des Jobcenters, erklärt Verteidiger Christian Lukas. Und der sexuelle Kontakt sei mit beiden Frauen ausnahmslos einvernehmlich gewesen. Die Taten, als das Mädchen noch unter 14 Jahre alt war, seien bereits durch ein früheres Urteil des Amtsgerichtes Bad Berleburg abgeurteilt worden.
Die nun erfolgte Anklage geht auf eine Anzeige der Frau, die ein gemeinsames Kind mit dem Angeklagten hat, aus dem Jahr 2017 zurück. Das Gericht will viele Zeugen anhören und hat 23 weitere Verhandlungstage angesetzt. Laut dem Vorsitzenden Richter Uwe Tonndorf kommt die Verhängung von Sicherungsverwahrung in Betracht.
Rückblende 2010
Am 7. Oktober 2010 waren der Angeklagte (damals 23) und das Mädchen durchgebrannt. Die Eltern der damals Minderjährigen aus dem benachbarten, hessischen Wiesenbach hatten die Polizei eingeschaltet. Mehr als zwei Wochen war das Paar wie vom Erdboden verschluckt. Wie beide später angaben, hätten sie sich in Frankreich und der Schweiz aufgehalten und dort gezeltet. Von der großangelegten Suchaktion und der öffentlichen Diskussion über das missbräuchliche Verhältnis des 23-Jährigen zu einer 13-Jährigen, fühlte sich vor allem die 13-Jährige offenbar sehr verletzt. Das Mädchen schrieb an die Bildzeitung in Frankfurt. In dem Brief soll sie erklärt haben, dass die seit vier Monaten andauernde Beziehung zu dem jungen Mann ursprünglich von ihren Eltern geduldet, später aber aus unverständlichen Gründen abgelehnt worden sei. Die Bildzeitung zitiert das Mädchen damals mit den Worten: „Ich will einfach nur mit [ihm] glücklich werden und nicht mein Leben von meinen Eltern kaputt gemacht bekommen. Mir geht es im Moment besser als sonst...“
Das Schreiben brachte die Ermittler auf die Fährte der Flüchtigen. Der Brief ließ sich zurückverfolgen. Schnell war klar, in welchem Postleitzahlenbereich er abgeschickt worden war: Im thüringischen Saalfeld, dem Wohnort der Mutter des 23-Jährigen.
Polizei umstellt Haus in Saalfeld
Die Polizei umstellte das Haus der Mutter, was sich im Nachhinein als richtig herausstellte, denn das Paar wollten sich durch einen waghalsigen Sprung aus dem Fenster dem Zugriff entziehen. Doch nach wenigen Metern wurden beide überwältigt. Der junge Mann wurde direkt in Untersuchungshaft genommen. Und für die Eltern der 13-Jährigen endete die qualvolle Ungewissheit. Sie konnten das Mädchen mit nach Hause nehmen.
Gegen den Mann wurde damals Haftbefehl wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes erlassen, er saß zunächst im Gefängnis in Gera und wurde anschließend in die Justizvollzugsanstalt in Siegen überstellt. In dem damaligen Verfahren, dass vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Bad Berleburg verhandelt wurde, waren der heute 35-Jährige bereits wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen angeklagt. Laut Anklage soll es in der Zeit vom 29. Mai bis 18. Juli in mindestens zehn Fällen zum Geschlechtsverkehr mit dem Mädchen gekommen sein. Schon damals stand eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren im Raum. Soweit kam es dann nur drei Wochen nach der Festnahme des Tatverdächtigen nicht.
Erstes Urteil aus Bad Berleburg
Die Verhandlung wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer 13-Jährigen fand zum Opferschutz unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Angeklagte räumt damals ein, in sechs Fällen Geschlechtsverkehr mit der 13-Jährigen vollzogen zu haben.
„Den Taten liegt eine Beziehung zugrunde, die Initiative ging von beiden aus. Gleichwohl handelt es sich um Straftaten“, konstatierte Staatsanwältin Sandra Ley im November 2010. So sah es am Ende auch das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Torsten Hoffmann und verurteilte den Bad Laaspher zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die unter strengen Auflagen zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zu den Auflagen gehörte damals auch, dass er bis zum wenige Wochen später stattfindenden 14. Geburtstag des Mädchens keinen Kontakt zu ihm aufnehmen durfte.
Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass dabei keine Gewalt oder Druck angewandt wurde und ging nach Abwägung der Gesamtumstände von einem minderschweren Fall aus, wobei auch eine Rolle spielte, dass Natalie nur knapp unter der Altersgrenze von 14 Jahren ist. Allerdings hat der Angeklagte gewusst, dass sexuelle Kontakte zu unter 14-Jährigen strafbar sind, auch wenn sie mit Einverständnis geschehen.
Nebenkläger zeigt kein Verständnis
„Sie hätten der Erwachsene sein müssen und sagen müssen: Es geht nicht“, formulierte Rechtsanwalt Behrendt aus Breidenbach, der Vertreter der Nebenklage, den Verhaltenskodex, der in solchen Fällen zu gelten hat. Anders als Staatsanwaltschaft und Schöffengericht zweifelte er an einer günstigen Sozialprognose für den Angeklagten, da der sich auch nach Belehrungen durch das Jugendamt und Vernehmung bei der Polizei nicht von Natalie ferngehalten habe. Auch jetzt habe die Familie die große Befürchtung, dass es weitergeht.
Romeo und Julia oder Bonnie und Clyde?
Der Verteidiger hingegen betonte, dass es sich nicht um den klassischen Fall eines sexuellen Missbrauchs handele, sondern vielmehr um eine Liebesbeziehung, die tragische Formen angenommen habe - von Romeo und Julia zu Bonny und Clyde. Bei der gestern verhängten Bewährungsstrafe sind zwei Monate einer anderen Verfehlung des Angeklagten zuzurechnen: Im Mai hatte er zwei Mal Fotos seiner damaligen Lebensgefährtin in Dessous gegen deren Willen ins Internet gestellt. Es habe Streit gegeben, sie habe sich damals nach mehrjähriger Beziehung mit einem gemeinsamen Kind von ihm getrennt, erklärte er gestern dieses Verhalten.
Gutachten einer Frauenärztin
Warum, das Urteil ebenfalls nur auf einen Minderschweren Fall bezogen ist, erläutert eine Sprecherin des Landgerichtes Siegen im September 2023 auf Nachfrage der Redaktion. Einerseits war der Mann geständig, und andererseits hatte eine Frauenärztin der 13-Jährigen eine besondere Abgeklärtheit und Reife attestiert. Sie werde keine psychischen oder physischen Schäden davontragen, hieß es. Die Initiative zum Geschlechtsverkehr sei von dem Mädchen ausgegangen. Außerdem hatten die Eltern den Treffen zugestimmt und die Mutter der 13-Jährigen die Pille verschreiben lassen.