Bad Laasphe/Siegen. . Prozess-Auftakt gegen den 64-Jährigen vor der 1. großen Strafkammer des Siegener Landgerichts. Ein Tatort: das Haus der Schwester in Bad Laasphe.

„Wir sehen uns“, sagt die Schwester des Angeklagten – und deutet mit den gespreizten Finger auf seine Augen. Verteidiger Dirk Löber beschwert sich bei dµer 1. großen Strafkammer des Siegener Landgerichts über die für ihn offensichtliche Bedrohung seines Mandanten, dem die Staatsanwaltschaft sexuellen Missbrauch zweier Töchter eben dieser Schwester vorwirft.

Die Emotionen

In einem solchen innerfamiliären Verfahren seien starke Emotionen wohl nicht zu vermeiden, erklärt die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach. Bedrohungen aber gingen natürlich gar nicht, fügt sie hinzu. Was auf dem Flur geschehe, falle allerdings nicht in ihr Hausrecht, geht sie auf Hinweise ein, dass es auch dort zu Drohungen und Beleidigungen gegen Mandant und Anwalt gekommen sei. Was eine weitere Nichte des Angeklagten allerdings lauthals bestreitet – und sich dafür eine Warnung der Kammer einhandelt, beim nächsten Ausruf den Saal verlassen zu müssen.

Die Anklage

Die Szene beschließt mehr oder weniger den öffentlichen Teil des ersten Verhandlungstages, an dem außer der Anklage-Verlesung objektiv nicht viel geschehen ist. Danach soll der Angeklagte, ein 64-jähriger Schauspieler, die beiden zur Tatzeit minderjährigen Nichten mehrfach sexuell belästigt und missbraucht haben – im Haus seiner Schwester in Bad Laasphe und in seinem Wohnmobil, das oft monatelang auf dem Grundstück geparkt war, wenn der Mann seine Eltern und Geschwister besuchte. Eine Tat soll in einem Urlaub auf der griechischen Ferieninsel Rhodos geschehen sein.

Der Befangenheitsantrag

Aus Sicht der Verteidigung und auch der Kammer sind einige Tatvorwürfe bereits verjährt. Die Anklage wurde danach auch nur eingeschränkt zugelassen, mehr als 20 Fälle daraus gestrichen. Dass die Staatsanwältin dennoch alles verliest, nimmt Anwalt Löber zum Anlass, einen Befangenheitsantrag gegen die beiden Schöffen zu stellen. Diese seien im Gegensatz zu den Berufsrichtern nicht in der Lage, die nicht mehr relevanten Vorfälle aus dem Gedächtnis zu streichen. Darüber soll bis zum nächsten Verhandlungstag am 23. Mai entschieden werden. Die für diesen Dienstag geplanten Zeugen werden bis dahin entlassen.

Die Unterbrechungen

Auch vorher hat es schon eine Antragsflut gegeben, da der Anwalt einen Adhäsionsantrag der Nebenklage nicht bekommen haben soll und diverse Unterlagen noch einsehen wollte. Weiter hielt er die Anklageschrift für zu unbestimmt und versuchte mehrfach, das Verfahren zu einem schnellen Ende zu bringen. Was zu zahlreichen Unterbrechungen führte – und von der Kammer jeweils abschlägig beschieden wurde.

Die Mutter erzählt

In den vielen Pausen nutzt die Mutter der beiden Mädchen, heute 22 und 30, die Gelegenheit, ihre Geschichte einer Schulklasse zu erzählen, die den Prozess besucht, alles Mädchen. „Das könnten alles meine Töchter sein“, sagt die Frau, sieht in ihnen potenzielle Verbrechensopfer und möchte sie warnen, möchte zugleich das Verfahren vor allem nutzen, „das Schweigen zu durchbrechen, das überall immer noch viel zu groß ist“. Die Öffentlichkeit müsse informiert werden, betont sie. Sie ist von dem überzeugt, was ihre Töchter offenbaren – und auch davon, dass ihr Bruder nicht nur in Bad Laasphe aktiv gewesen ist. Vielleicht seien auch ihre anderen Töchter betroffen und hätten die Erlebnisse nur verdrängt. „Schauspieler Du nur weiter“, ruft sie dem Angeklagten auf dem Flur nach und macht sich selbst große Vorwürfe, in all den Jahren nichts bemerkt zu haben.

So geht es weiter

Die Mädchen, sie selbst und weitere Verwandte sollen am 23. Mai gehört werden, nach der Einlassung des Angeklagten. Ob die Öffentlichkeit dabei ausgeschlossen wird, steht – wie vieles andere in diesem Verfahren – noch nicht fest.