Bad Berleburg. Kranke Angehörige versorgen und nebenbei arbeiten? Das Bad Berleburger Unternehmen Regupol hat mit Lea Sittler jetzt eine Beraterin, die hilft.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Thema, dass sich gerade massiv verändert. Die Deutsche Gesellschaft steht vor einem großen Problem, weil es künftig weniger um die Versorgung von Babys, die Erziehung von Kindern und das Thema Elternzeit geht. Es geht um die Pflege von Angehörigen. Das Statistische Bundesamt hat im Jahr 2021 rund fünf Millionen Pflegebedürftige gezählt. Bis 2035 werden es 5,6 und 2055 6,8 Millionen Menschen sein. Viele Berufstätige stehen vor der Frage, wie bringe ich Pflege von kranken Angehörigen mit meinem Job unter einen Hut? Und nicht wenige zerbrechen daran.
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Eine Antwort auf dieses Problem sind betriebliche Pflegeguides wie Lea Sittler aus Bad Berleburg. Die junge Frau redet nicht wie eine Blinde von der Farbe. Sie kennt die Sorgen und Nöte von Pflegenden Angehörigen aus eigener Erfahrung. „Ende 2022 bin ich mit meiner Schwester spontan in die Situation gekommen, meinen Vater zu pflegen“, berichtet die 21-Jährige.
Die Situation traf die Familien wie ein Hammerschlag, als der Vater krank wurde und lange ins Krankenhaus musste. Neben Beruf und Fortbildung war sie jetzt mit ihrer Schwester für den Vater verantwortlich. Selbstzweifel nagten an der jungen Frau: „Bin ich dazu überhaupt in der Lage?“ Die Schwestern teilen sich die Aufgaben. Lea macht den Papierkram und lernt dabei sehr viel über das System und dessen Hürden. Arztbesuche, Gespräche mit Krankenkassen, Anträge für Rehabilitation, der Kampf gegen abgelehnte Anträge, Pflegegrade, Gutachten, die Suche nach Unterstützungsmöglichkeiten, Pflegediensten, 24-Stunden-Betreuung… all das kennt die angehende Personalfachkauffrau jetzt aus dem Effeff.
Hohe Belastung
Die Belastung für die Schwestern war hoch. Aber Lea Sittler hat mit ihrem Arbeitgeber, dem Bad Berleburger Unternehmen Regupol, über ihre Situation gesprochen und viel Rückhalt erfahren. „Mein Abteilungsleiter hat mir später einen Flyer gegeben und gefragt, ob ich nicht die Ausbildung zum betrieblichen Pflegeguide machen will?“ Und Lea Sittler hat zugestimmt. Sie will ihre Erfahrungen weitergeben, Kollegen helfen. „Mir ist es zum Beispiel wichtig, dass Betroffene einen Ansprechpartner haben, der nicht wechselt und dass alles, was wir besprechen, vertraulich bleibt. Niemand muss Angst haben, zu sprechen. Die Situation ist schon belastend genug.“
Sittler absolvierte eine zweieinhalb Tage dauernde Zusatzausbildung bei der AOK NordWest. Damit kann sie ihre eigenen Erfahrungen noch besser in die Beratungsgespräche einbringen. Angst vor schwierigen Gesprächen hat sie nicht, die Ausbildung zum Pflegeguide bereitet darauf vor und in der Personalabteilung ist sie es gewohnt, mit Kollegen über schwierige Themen zu sprechen. Auch ihr noch junges Alter ist kein Problem: „Wenn man sagt, ich habe das auch durch, dann sieht man, wie sich der Blick verändert.“ Es sind diese Gespräche, die bereits sehr viel verändern. „Ich fülle ja nicht die Anträge aus, sondern gebe Hilfestellung und einen ersten Überblick aller auf die Situation abgestimmten Möglichkeiten. Eine Pflegeberatung in dem Sinne, wie man es bei einer offiziellen Pflegeberatung bekommt, gebe ich nicht. Ich arbeite mit den Personen eher eine Checkliste aus und leite sie an die entsprechenden Behörden/Kassen weiter. Ob sie meine Vorschläge dann umsetzen, liegt ganz an ihnen“, beschreibt die Pflegeguide ihren neuen „Nebenjob“ im Unternehmen. Über die Ausbildung kennt sie viele Ansatzmöglichkeiten und kann aus dem „Betrieblicher Pflegekoffer“ stets die aktuellen Unterstützungsmöglichkeiten nennen.
Freistellung für Pflege
Neben den finanziellen Möglichkeiten aus der Pflegeversicherung, die direkt beim pflegebedürftigen Angehörigen greifen, sind aber auch die Möglichkeiten für den Mitarbeiter interessant: „Sie können beispielsweise im akuten Fall zehn Tage von der Arbeit freigestellt werden, um die Pflege zu regeln. Oder sie können Pflegezeit in Anspruch nehmen, hier gibt es verschiedene Varianten, die auf die jeweilige Situation abgestimmt werden können. Für diese Zeit erhält man jedoch keinen Lohn und auch keine Lohnersatzleistungen“, erläutert Lea Sittler. Und sie kann auch bei dem Problem helfen, wo kommt dann das Geld her? „Für die Pflegezeiten können sie ein zinsloses Darlehn aufnehmen, dass sie später zurückzahlen“, weiß die junge Frau auch auf diese Frage eine Antwort.
Sicher, jeder Fall ist anders. Aber für die Pflegeguides ist es wichtig Hilfe anzubieten: „Es ist eine große Belastung, Arbeit und Pflege unter einen Hut zu bringen“, weiß auch Elke Sondermann-Becker. Die Pressesprecherin von Regupol war auch schon in der Situation Angehörige zu pflegen und kennt auch das Spannungsfeld zwischen den eigenen Erwartungen und denen die Pflegebedürftige oder das soziale Umfeld stellen. „Wenn es das damals schon gegeben hätte, wäre ich ganz sicher auch zu Lea Sittler gegangen.“
Und auch die Arbeitgeber haben etwas davon: Menschen, die sich zwischen Arbeit und der Pflege aufreiben, können entweder ihren Job oder die Pflegesituation nicht meistern und werden nicht selten selbst krank. Das Regupol jetzt als eines der ersten Unternehmen in Siegen-Wittgenstein seinen Mitarbeitern Unterstützung durch betrieblichen Pflegeguide anbieten kann, findet Elke Sondermann-Becker nur folgerichtig: „Wir sind ja ein Familienunternehmen.“