Childara/Kalaikhum. Die Radfahrerin aus Bad Laasphe fährt in Tadschikistan die Süd-Route des Pamir Highway. Dabei erlebt sie Panik und grenzenlose Hilfsbereitschaft.
Als Lisa Achatzi auf der nördlichen Route des berühmten Pamir Highway an ihre Grenzen stößt und in dem Dorf Childara bei einer Familie unterkommt, stehen Körper und Fahrrad erst einmal still. Nach einer Nacht im Warmen und mit viel Stärkung Dank familiärer Rundumversorgung kann sie wieder nach vorne blicken. Als sie mit Gastgeber Musty über ihre weiteren Pläne spricht, merkt die Laaspherin wieder einmal: „Die Freundlichkeit der Tadschiken hört nicht auf!“ Besonders dort, wo die Menschen in einfachen Verhältnissen und mit minimalen Mitteln leben, wird geteilt und geholfen, wo es nur geht.
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Das merkt Achatzi auch, als sie am anderen Morgen in einem Sammeltaxi zurück in Richtung Duschanbe sitzt, der Fahrer eine Cola und eine andere Mitreisende Brot spendieren. Kleine Dinge, die viel Zwischenmenschlichkeit bewirken und eine lange Fahrt kurz erscheinen lassen. Für die 170 Kilometer bezahlt Achatzi den Normalpreis von 25 Euro. Kurz vor der Hauptstadt steigt sie an jener schicksalhaften Kreuzung aus, an der sie sich für die gefährliche, nördliche und gegen die südliche, komfortablere Route entschied. Als das Sammeltaxi in den Hitzewellen des Horizonts verschwindet und Achatzi Sack und Pack an ihr Fahrrad montiert, läuft es ihr plötzlich kalt den Rücken herunter: Der Schlafsack ist noch im Taxi!
Der Heilige Gral
Panisch ruft sie einen befreundeten Kontakt von Musty an und bettelt mit zittriger Stimme um Hilfe. „Ich melde mich gleich“, lautet die Antwort ohne Versprechen. „Minuten vergingen, die sich wie Stunden anfühlten. Meine Knie waren weich wie Butter. Einige Tadschiken beobachteten mich und fragten sich wohl, was mit dieser komischen Westlerin los ist“, wird Achatzi hinterher schildern. Ihre Panik ist verständlich.
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Per Fahrrad auf Spendentour
Nach ihrer Radreise durch Südamerika sitzt die Bad Laaspherin Lisa Achatzi erneut im Sattel.
Diesmal geht es unter anderem durch die Türkei, Tadschikistan und Kasachstan. Dabei fährt die 34-Jährige Spendengelder für die Non-Profit-Organisation „Samos Volunteers“ ein.
Wer sie dabei unterstützen möchte, kann das über ihren Reiseblog www.wheelsoffortune.org oder im Fotofachgeschäft Achatzi in Bad Laasphe tun, wo eine Spendenbox steht. Zwei Mal im Monat berichtet unsere Zeitung von ihrer Tour.
Für eine radreisende Einzelperson ist ein Schlafsack in diesen Regionen der Welt und den ständig wechselnden Wetterverhältnissen wie der Heilige Gral – ganz zu schweigen von den Möglichkeiten eines adäquaten Ersatzes. Doch dann fährt plötzlich ein Taxi mit zwei grinsenden jungen Männern vor, die ihr den so wichtigen Schlafsack aus dem Fenster reichen. Achatzi kann ihr Glück kaum fassen und fragt natürlich, wieviel Geld sie ihnen schuldet. Doch wie in Tadschikistan offenbar als Geste weit verbreitet, winken die Menschen nur ab und wünschen alles erdenklich Gute.
Weiter nach Süden
„Ab jetzt genieße ich endlich wieder das Radfahren“, schreibt Achatzi, während sie bei 36 Grad in Richtung Nurek Reservoir aufbricht. Hier sieht die Welt anders aus als auf den Straßen der nördlichen Route, die eher Trampelpfaden glichen. Das hat auch mit der Region im Allgemeinen, allen voran mit dem Nurek-Staudamm, zu tun. Bis heute ist er mit 300 Metern der höchste Staudamm der Erde und gilt aufgrund seiner Bauweise als Meisterwerk, da man aufgrund erhöhter Erdbebengefahr kein Beton verwendete.
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Ständig halten Autofahrer an, um Achatzi Wasser zu schenken. Pausiert sie an Tankstellen, machen Angestellte das Gleiche. „Als ich abends im Zelt liege, bin ich froh, dass ich mich für die Südroute entschieden habe und nun endlich in den Bergen sein werde“, resümiert Achatzi nach Tagen zwischen Kapitulation, Selbstzweifel und verloren geglaubten Schlafsäcken.
Ab ins Wohnzimmer
Eigentlich würde es nicht überraschen, wenn Achatzi irgendwann einmal nach Kolumbien auswandert. In keinem anderen Land der Welt mutieren Radsportler so sehr zu sogenannten Bergflöhen. Wenn bei der Tour de France Kolumbianer wie Egan Bernal oder Nairo Quintana in den Alpen oder Pyrenäen die Wände hochklettern, sprechen Moderatoren gerne davon, dass sie in ihre „natürliche Umgebung“ zurückkehren. Exakt so ist es bei Achatzi. Man hat immer das Gefühl, dass die Berge ihr Wohnzimmer sind und sobald sie dort einkehrt, wirkt sie stärker, aber auch ruhiger. Und die Berge kommen auf dem Pamir Highway. Bis nach Kalaikhum, ein Ort nicht größer als Erndtebrück, fährt sie 270 Kilometer durch massive Natur, die in Masse und Schönheit nicht maximaler sein könnte.
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Und das alles, während sich die Spendenbox im Laaspher Fotogeschäft ihrer Eltern weiter füllt. Bürgerinnen und Bürger sorgten vor Ort bislang für 264,95 Euro. Geld, das der Non-Profit-Organisation „Samos Volunteers“ bei ihrer Arbeit helfen wird und für das Achatzi „unglaublich dankbar“ die besten Grüße in die Heimat sendet.