Wittgenstein. Mediziner der Region gehen jetzt auf die Barrikaden. Wie weit ihre Kritik und ihre Forderungen an die Politik gehen, zeigt sich in einer Umfrage.
Die niedergelassenen Ärzte der Regionen Wittgenstein und Hinterland sehen die ambulante Versorgung für ihre Patientinnen und Patienten gefährdet – und gehen deshalb auf die Barrikaden. Der geschäftsführende Netzrat des seit 16 Jahren bestehenden Praxisnetzes „Ärzte der Region Hinterland/Wittgenstein“ (ADR) hat seine 41 Mitglieder befragt – und fast alle von ihnen erklären, dass sich ihre wirtschaftliche Situation derzeit sehr schnell weiter verschlechtere. Hier sei jetzt die Politik gefordert.
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„Fakt ist, dass die ambulante Versorgung – das Rückgrat einer patientennahen, kostengünstigen und erfolgreichen Versorgung – durch den Sparkurs der Politik und der Krankenkassen immer mehr gefährdet wird“, warnen die ADR-Ärzte. „Die Politik muss Mittel finden, damit die Niederlassung im ambulanten Bereich für junge Ärztinnen und Ärzte und Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeiter wieder attraktiv wird. Dazu gehören adäquate Vergütung, Bürokratieabbau und Wertschätzung“, so die Mediziner in einer Stellungnahme. Sie fordern unter anderem, „dass unser Praxis-Personal dem stationären Personal gleichgestellt wird und die zukünftigen Budgeterhöhungen sich an den aktuellen Inflationsraten orientieren“.
Mehr Patienten, aber immer weniger Ärzte
„Die Arbeitsbelastungen von Ärztinnen, Ärzten und Praxisteams sind durch Corona, den aktuellen Infektionsstand und immer mehr Bürokratie nach wie vor sehr hoch“, beschreibt das ADR-Netz die aktuelle Situation in den Arztpraxen. „Verschärfend kommt dazu, dass die Patientenzahlen steigen und sich auf immer weniger Ärzte verteilen. Von diesen Medizinern sind viele bereits an der Ruhestandsgrenze und Nachfolger kaum in Sicht.“
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In den vergangenen drei Jahren seien „die praxisspezifischen Kostensteigerungen, insbesondere für Personal-, Raum- und Energiekosten, Heil- und Hilfsmittel und Versicherungen um mehr als 14 Prozent gestiegen“, wird das ADR-Netz konkret. Und da sei die Kostenexplosion seit Mitte 2022, belegt durch die Inflationsrate von bis zu zehn Prozent, noch gar nicht eingerechnet. Dem gegenüber stehe „eine zugestandene Erlös-Steigerung von 1,275 Prozent in 2022 und zwei Prozent für 2023“.
Kritik: Keine Anerkennung für Arztpraxen
Stattdessen würden von den Praxen „längere Arbeitszeiten durch Samstagsarbeit zur Stützung der Notfallaufnahmen verlangt“, bemängeln die heimischen Mediziner. „Zur Kostenreduzierung wurde empfohlen, die Heizungen zu drosseln, wobei vermutlich selbst ein Bundesgesundheitsminister nicht bei 17 bis 18 Grad untersucht werden möchte“. Außerdem sei es „als Selbstverständlichkeit betrachtet“ worden, „dass die Arztpraxen einen Großteil der Pandemie-Maßnahmen zusätzlich zur normalen medizinischen Versorgung beigesteuert haben“.
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Leider gebe es im Gegensatz zum Krankenhaus-Personal „keine finanzielle Anerkennung oder Unterstützung für die Arztpraxen“, bedauert das ADR-Netz. Corona-Prämien hätten fast alle Praxis-Inhaber ihren Mitarbeitern aus eigener Tasche bezahlt. Und diese fehlende Wertschätzung führe dazu, „dass 45 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „aufgrund der Arbeitsbelastungen über einen Berufswechsel nachdenken oder gar diesen Beruf nicht weiter empfehlen“.
Proteste derzeit deutschlandweit
Die Mediziner im ADR schließen sich mit ihrer Kritik der Ärzteschaft überall in Deutschland an, die aktuell wegen der offensichtlichen Benachteiligung der ambulanten Patientenversorgung durch die Politik protestiert. Initiiert werden die Proteste von den Kassenärztlichen Vereinigungen und ärztlichen Berufsverbänden.