Wittgenstein. Der Bund möchte die Neupatienten-Regelung abschaffen. In Wittgenstein weisen einige ausgelastete Hausärzte bereits Menschen ab.

Für Wittgensteinerinnen und Wittgensteiner könnte die Suche nach einem Haus- oder auch Facharzt demnächst schwieriger werden, denn: Die Bundesregierung plant, die sogenannte Neupatienten-Regelung zu kippen. Die bringt den Medizinern bislang einen finanziellen Anreiz ein, sich um neue Patienten zu kümmern – auch wenn das mit Mehrarbeit verbunden ist, um das Arzt-Patienten-Verhältnis herzustellen. Manche Praxen im Altkreis sind aber auch schon jetzt ausgelastet. Und ein Mediziner aus Olpe will jetzt heimische Bundestagsabgeordnete für das Thema sensibilisieren.

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Er arbeite oft bis zu zwölf Stunden am Tag, berichtet etwa der Feudinger Allgemeinmediziner Safwat Metwaly (69) im Gespräch mit unserer Redaktion. Und da habe er in der letzten Zeit auch schon potenzielle Neupatienten abgewiesen – etwa nach der Schließung der Praxis seiner Kollegin Dr. Dorina Popa. „Wenn ich erschöpft bin, kann ich meine Leistung nicht erbringen“, sagt Metwaly – „zum Nachteil der Patienten“. Dennoch wäre aus seiner Sicht der Wegfall der Regelung ein Horror – und für manche Hausarzt-Praxen könne das sogar wirtschaftlich problematisch werden. Metwaly selbst möchte seine ganze Kraft in den Praxis-Betrieb legen.

Erfolg oder Flop?

Der Erndtebrücker Allgemeinmediziner Dr. Oliver Haas würde es gut finden, wenn die Regelung weiterlaufen würde. Davon profitieren nach seiner Meinung aber eher Ärzte in Ballungsgebieten, wo es in den Praxen eine sehr hohe Fluktuation bei den Patienten gebe. „Bei uns sind die eher treu“, sagt Haas, sei die Zahl der Neupatienten in seiner Praxis „doch eher gering“. Das würde sich aber schnell ändern, räumt er ein, „wenn eine andere Praxis in der Umgebung schließen würde“.

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Finanzierungslücke in der Krankenversicherung

Nach Angaben aus dem Wahlkreisbüro der heimischen SPD-Abgeordneten Luiza Licina-Bode wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV Finanzstabilisierungsgesetz – GKV FinStG) am 27. Juli im Bundeskabinett beschlossen. Der Bundesrat, die Kammer der Länder, werde den Entwurf am 16. September erstmals beraten, erst danach werde er dem Bundestag zugeleitet. Hier werde dann erst einmal diskutiert.

Licina-Bodes Büro verweist aber auch auf eine „Finanzierungslücke“ der GKV, die Beitragszahler nicht alleine würden decken können.

Im Grunde seien die Auswirkungen der Neupatienten-Regelung, die seit etwa drei Jahren gilt, noch gar nicht wissenschaftlich bewertet, sagt Bertram Roessiger, kaufmännischer Leiter beim „Ärzte der Region“-Netz Hinterland/Wittgenstein (ADR) mit rund 40 angeschlossenen Arzt-Praxen: „Ist das nun ein Erfolg oder ein Flop? „Tatsache ist“, so Roessiger: „Wir werden immer weniger Hausärzte haben, die Patienten müssen den Arzt wechseln.“ Und der neue Arzt bekomme dann vielleicht einen Patienten mit einer ganzen Reihe von Krankheiten, die es aufzuarbeiten gelte. Diese Aufgabe sei mit der Neupatienten-Regelung „ein bisschen attraktiver“ geworden. Und ausgerechnet jetzt, in der allgemeinen Krise, wolle die Bundesregierung gerade hier bei den Ärzten den Rotstift ansetzen, bedauert Roessiger. Er geht allerdings nicht davon aus, dass dies bei den Ärzten im ADR zu Aufnahmestopps führe – sie würden ihre Patienten nie im Stich lassen, ist er überzeugt.

Mediziner schreibt Politiker an

Der Olper Allgemeinmediziner Dr. med. Martin Junker, Bezirksstellenleiter der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KV WL) in Südwestfalen, hat unterdessen an heimische Bundestagsabgeordnete geschrieben und sie gebeten, dafür zu sorgen, „dass die angedachte Aufhebung der Neupatienten-Regelung im zur Abstimmung stehenden Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes im Bundestag keine Mehrheit findet“. Der Frust und die Wut in den Praxen über die Entwicklung sei doch spürbar gewachsen, stellt Junker auf Anfrage unserer Redaktion fest. Reaktionen der Politiker hat Junker bislang noch nicht vorliegen.

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