Wittgenstein. Heimische Mediziner sollen Ambulanzen und Rettungsdienste unterstützen, die „am Limit“ arbeiteten. Doch sie lehnen ab – und geben auch Gründe an.

„Bitte prüfen Sie, Ihre Praxen auch noch nach 18 Uhr, am Samstag und Sonntag und an den Feiertagen offen zu halten.“ Mit diesen Worten hat der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, an die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte auch in Wittgenstein appelliert, in den nächsten Tagen unter anderem die Notfallambulanzen der Krankenhäuser und die Rettungsdienste zu unterstützen. Denn sie arbeiteten derzeit „am Limit“. Und: Es sei zu befürchten, dass sich die schon jetzt sehr kritische Lage über Weihnachten und Silvester weiter zuspitzen werde, so Dedy. Heimische Mediziner reagieren unterschiedlich auf diesen Appell. In der Vamed-Klinik sieht man die Hilfe der niedergelassenen Kollegen bereits gegeben.

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„Es ist eine Frechheit, wenn der Städtetag jetzt so tut, als hätten die Hausärzte noch Kapazitäten“, ärgert sich Bertram Roessiger, kaufmännischer Leiter beim „Ärzte der Region“-Netz Hinterland/Wittgenstein (ADR) mit rund 40 Arzt-Praxen, zu denen auch die seiner Frau Helga Roessiger gehört. Wenn sie bis 18 Uhr Sprechstunde habe, dann habe sie an sich erst um 19 Uhr Feierabend, weil noch zahlreiche formelle Aufgaben zu erledigen seien wie etwa vorgeschriebene Dokumentationen. „Meine Frau arbeitet ungefähr 60 Stunden in der Woche“, weiß Roes­siger. Und er könne sich nicht vorstellen, dass andere Ärzte und ihre Teams wesentlich anders arbeiteten.

Dienste bereits abgestimmt

Im Übrigen hätten die Bad Berleburger Hausarzt-Praxen ihren ärztlichen Bereitschaftsdienst bereits abgestimmt, so Roessiger weiter. Demnach seien zwischen den Jahren üblicherweise zwei Arztpraxen geöffnet und drei geschlossen. Offen sein sollen in diesem Jahr die Praxen Pieringer und Janson.

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Der Bad Berleburger Allgemeinmediziner Dr. Holger Finkernagel hätte gerne auf den Appell des Städtetages reagiert. „Aber das lässt sich in unserer Praxis so schnell nicht mehr organisieren, weil einige Kolleginnen und Kollegen im Urlaub sind.“ Andererseits bestehe das Problem der Überlastung, dass der Städtetag schildere, „ja schon sehr lange“, sagt Finkernagel – gerade an den Wochenenden, wenn die Hausärzte nicht arbeiteten und die Patienten dann in die Kliniken kämen.

Finkernagel und DRK: Eigene Appelle an die Patienten

Marcus Sting, Pressesprecher DRK-Kreisverband Siegen-Wittgenstein: „Wir beobachten mit Sorge, dass die Fahrzeuge dann nicht direkt zur Verfügung stehen für wirkliche Notfälle – und sie erst von Winterberg oder Biedenkopf kommen, es dann also länger dauert. Wir sehen das auch irgendwie als Missbrauch an.“
Marcus Sting, Pressesprecher DRK-Kreisverband Siegen-Wittgenstein: „Wir beobachten mit Sorge, dass die Fahrzeuge dann nicht direkt zur Verfügung stehen für wirkliche Notfälle – und sie erst von Winterberg oder Biedenkopf kommen, es dann also länger dauert. Wir sehen das auch irgendwie als Missbrauch an.“ © DRK

„Besser wäre ein Appell an die Patienten gewesen“, findet Finkernagel deshalb – Tenor: „Geht zu den niedergelassenen Ärzten, und zwar frühzeitig, wenn ihr was fühlt.“ Das gelte im Übrigen auch für die Kinderärzte, die „alle überfordert“ seien. Hier könnte der Appell an die Eltern erkrankter Kinder lauten, so Finkernagel: „Erinnert Euch an die alten Hausmittel.“

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Arbeiten am Limit – das kann Marcus Sting, Pressesprecher des DRK-Kreisverbandes Siegen-Wittgenstein, für den Rettungsdienst bestätigen. „Es ist so, dass wir viele Rettungseinsätze haben und sich das auch vermehrt steigert“, sagt er unserer Redaktion auf Nachfrage. Leider gehe es bei den Notrufen viel zu oft um „Bagatell-Verletzungen“, Schnupfen oder Heiserkeit. Offenbar versuchten die Anrufer, auf diese Weise schneller im Krankenhaus dran zu kommen. Sting: „Wir beobachten mit Sorge, dass die Fahrzeuge dann nicht direkt zur Verfügung stehen für wirkliche Notfälle – und sie erst von Winterberg oder Biedenkopf kommen, es dann also länger dauert. Wir sehen das auch irgendwie als Missbrauch an.“

Sting betont: Rettungsdienst funktioniert

Grundsätzlich aber stellt Marcus Sting fest: „Unser Rettungsdienst funktioniert, alle Wachen und Fahrzeuge sind besetzt.“ Sein Appell an die Wittgensteiner: Wer denke, er habe einen Notfall, habe Herzschmerzen oder es drohe ein Schlaganfall, solle immer den Rettungsdienst rufen. Für kleinere Verletzungen oder etwa ein älteres Magen-Darm-Leiden sei dann doch der Weg über die Arztpraxis oder die Ambulanz eines Krankenhauses der richtige.

Unterdessen spricht die Vamed-Klinik Bad Berleburg davon, „dass die Belegungssituation auch in unserer Klinik angespannt“ sei. „Unsere niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen sind derzeit ebenso stark belastet wie wir“, sagt Dr. Lars Pietschmann, Ärztlicher Direktor der Vamed-Klinik. Da es ihnen dennoch wichtig sei, dass ihre Patientinnen und Patienten jederzeit bestmöglich versorgt werden, hätten sie vielerorts eigeninitiativ für ihre Erreichbarkeit gesorgt oder Sprechstunden zwischen den Feiertagen eingerichtet.

Vamed-Klinik: Belegungssituation angespannt

Zugleich sei der hausärztliche Notdienst unter der Rufnummer 116 117 oder in der so genannten KV-Praxis erreichbar, so Pietschmanns Hinweis. Patienten suchten den hausärztlichen Notdienst mit Erkrankungen auf, mit denen sie normalerweise zum Hausarzt gehen würden und deren Behandlung nicht mehr bis zum nächsten Werktag warten könne. Gerade „dieses Angebot ist für uns eine sehr große Hilfe, für die wir dankbar sind“, betont der Ärztliche Direktor.

Trotz angespannter Belegungssituation sei es auch für die Klinik das wichtigste Anliegen, „unsere Patientinnen und Patienten jederzeit bestmöglich zu versorgen“, sagt Pietschmann – „und das gewährleisten wir an 365 Tagen im Jahr. Was uns an dieser Stelle bereits helfen würde, wären ein wenig Geduld und Verständnis für die derzeitige Situation.“