Bad Berleburg. Das Physiotherapeuten-Paar Anna und Jörg Dickel erklärt welche Folgen Stress hat, wie man sie lindern kann und warum Physio ein toller Beruf ist.
Wenn es zwickt, der Rücken schmerzt oder Kopf brummt ist Stress häufig die Ursache. Wie die gestiegene Belastung Menschen krank werden lässt und was jeder dagegen tun kann, darüber haben wir mit Anna und Jörg Dickel gesprochen. Die Physiotherapeuten betreiben seit 15 Jahren das Gesundheitszentrum Dickel in Bad Berleburg und bieten ganz unterschiedliche Behandlungen für körperlichen Beschwerden und mentale Belastungen an.
Viele wollen ein klar definiertes Arbeitsleben, geregelte Arbeits- und Urlaubszeiten. Sie haben sich vor 15 Jahren selbstständig gemacht. War das die richtige Entscheidung?
Anna Dickel: Ja!
Jörg Dickel: Definitiv.
Anna Dickel: Als wir uns selbstständig gemacht haben, war ich 25. Ich habe zuvor in einer psychosomatischen Klinik gearbeitet und wusste, dass ich da keine Perspektive hatte. Und zu dieser Zeit gab es keinen Therapeutenmangel, eher einen Überschuss. Die logische Konsequenz war der Schritt in die Selbstständigkeit.
Jörg Dickel: Ich habe zu der Zeit noch in der Odebornklinik gearbeitet und mir war klar, dass ich Anna dabei unterstützte. Ich glaube es war auch ein tiefer Wunsch in uns beiden, unser eigenes Ding zu machen, um ein Stück weit aus dem System herauszukommen oder es doch zumindest so zu gestalten, wie wir es für uns und unsere Patienten sinnvoll erachteten. Wir wollten es für unsere Patienten einfach optimal gestalten.
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Sie sind mit der Praxis in 15 Jahren von 200 Quadratmetern auf 750 gewachsen. Ist der Bedarf an Behandlung so viel größer geworden?
Anna Dickel: Es sind mehrere Faktoren. Natürlich ist der Bedarf größer, weil auch viel mehr gesundheitliche Probleme auftreten aufgrund von mehr Stress und mehr Belastung. Aber die Patienten werden auch jünger. Probleme treten viel eher auf. Und unser Angebot hat sich erweitert. Wir haben mit Physiotherapie und einer kleinen medizinischen Fitness angefangen. Wir haben dann nach drei Jahren gemerkt, dass unsere Kapazitäten schon überstiegen waren und mussten erweitern. Damals kam uns zugute, dass die Post das Gebäude verlassen hat. Dann ist das Team gewachsen
Jörg Dickel: Wir haben mit Anna und einer Kollegin und zwei Rezeptionistinnen angefangen. Ich war nur ein paar Stunden hier. Und in den letzten 15 Jahren hat sich ein großartigem Team entwickelt von mittlerweile sieben Therapeuten, einem Sportwissenschaftler und drei Rezeptionskräften.
Physiotherapie ist nah am Menschen, aber die Behandlungen sind zeitlich und in der Vergütung klar reglementiert. Es gibt Therapeuten, die das System als falsch und ausschließlich auf Wirtschaftlichkeit getrimmt kritisieren. Wie stehen Sie dazu?
Anna Dickel: Diese Vorgaben gibt es nur bei den gesetzlichen Krankenkassen. Gewisse Vorgaben muss es geben, aber das ist nur ein Teil unserer Arbeit. Für uns ist wichtig, dass wir die Patienten betreuen können und wir geben ihnen von vornherein die Möglichkeit, zu schauen, was gibt es für Wege, um schnellstmöglich gesund zu werden. Zum Beispiel durch Training, zusätzliche Therapiezeit, zusätzliche Therapieangebote. Was die gesetzlichen Krankenkassen uns geben, ist eine Grundversorgung, nur ein Teil vom großen Ganzen.
Sie sprechen von Eigenverantwortlichkeit der Patienten…
Anna Dickel: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir als Therapeuten geben immer 100 Prozent in unserer Arbeit, aber das sind nur 50 Prozent des Erfolges. Wenn der Patient nichts dazu tut, kommen wir nicht weiter. Das ist, was sie mit Eigenverantwortung angesprochen haben. Das Gesundheitsbewusstsein ist wichtig und verändert sich auch immer mehr. Viel merken, sie müssen etwas für sich tun, um ihre Arbeitskraft zu erhalten , ihr soziales Leben leben zu können. Bei vielen bestimmt der Schmerz das Leben. Es geht darum, mit dem Schmerz umgehen zu lernen und gerade auch mit Schmerzen wieder in Bewegung kommt.
Viele kommen erst zu Ihnen, wenn sie merken, dass sie selbst nicht mehr klarkommen. Das kann auch ein Punkt sein, an dem es zu spät ist, …
Anna Dickel: Genau. Wir haben auch einen vorbeugenden Bereich. Die richtige Zeit, etwas für sich zu tun, ist die Zeit, in der es einem gut geht.
Jörg Dickel: Es ist aber auch menschlich, erst dann zu kommen, wenn einem etwas weh tut.
Anna Dickel: Dann erst wird einem ja auch bewusst, dass etwas nicht stimmt.
Jörg Dickel: Wir haben von Beginn an ein Konzept geschaffen, damit nicht die Rezeptleistung allein den Weg zu mehr körperlichem Wohlbefinden bestimmt. Wir informieren auch über Therapieerweiterungen, medizinische Fitness, alles, was wir an Möglichkeiten haben, mit denen Patienten intensiv etwas für sich tun können, um auch schneller zum Erfolg zu kommen.
Das sind Selbstzahler-Leistungen, bei denen Sie beratend tätig werden?
Anna Dickel: Unsere Arbeit ist ja nicht nur die Physiotherapie. Wir haben den sektoralen Heilpraktiker, das Training, Entspannungsmöglichkeiten, Massage und vieles mehr– Einen großen Werkzeugkoffer. Menschen sind sehr individuell. Jeder braucht etwas anderes. Wir starten mit einer Bedarfsanalyse: Wo steht der Patient, wo will er hin und wie können wir ihn dabei unterstützen. Wir bieten auch Gesundheitsmentoring, um das Thema Stress aufzunehmen und Gewohnheiten zu analysieren, die vielleicht für den Schmerz verantwortlich sein könnten. Wir arbeiten eine ganzheitliche Therapie für den Kunden heraus.
Jörg Dickel: Die Frage ist auch, was ist ein Kunde bereit zu verändern, was ist er bereit, in seine Gesundheit zu investieren.
Viele Patienten kritisieren, dass man nur schwer Termine für Therapiesitzungen bekommt. Gibt es zu wenige Physiotherapeuten oder Praxen?
Jörg Dickel: Ich glaube, es ist einmal der gestiegene Bedarf. Es fängt früher an, dass Menschen Hilfe brauchen. Dadurch ist die Zahl der Menschen, die einer Behandlung bedürfen, größer geworden. Und ja, ich glaube es gibt zu wenig. Die Ausbildung war auch eine Zeit lang nicht zu bezahlen. Das hat sich ja Gott sei Dank gewandelt. Die Schulgelder sind weggefallen und dann wird sich das nivellieren.
Sie suchen weitere Physiotherapeuten für Ihre Praxis. Rückwirkend zum 1. Januar 2021 wurde das Schulgeld für die Ausbildung in Gesundheitsberufen wie der Physiotherapie abgeschafft. Was muss noch passieren, um das Berufsbild attraktiver zu machen?
Anna Dickel: Ich glaube unser Beruf ist sehr attraktiv und abwechslungsreich. Aber ich glaube auch, dass viele noch ein falsches Bild von diesem Beruf und den Möglichkeiten haben. Manche Ärzte sagen beispielsweise, dass es für Physiotherapie noch zu früh sei, obwohl wir auch im akuten Schmerzzustand helfen können. Es ist nicht im Bewusstsein aller Menschen, wo wir sie unterstützen können. Gefühlt interessieren sich aber immer mehr Menschen wieder für Therapieberufe. Wir arbeiten mit zwei Physiotherapieschulen zusammen, um den lernenden Therapeuten zu zeigen, wie wir in der Praxis arbeiten.
Die Arbeitswelt hat sich stark verändert. Es gibt viel mehr Bürojobs. Wie macht sich das bei den Beschwerden Ihren Patienten bemerkbar?
Jörg Dickel: Die enorm gestiegen Belastungen im Alltag in vielen Bereichen und den Ausgleich dazu zu schaffen ist ein Thema. Und wir dürfen uns bewusst machen, dass das ein Auslöser für körperliche Beschwerden ist.
Viele betreiben auch Sport als Ausgleich. Aber der kann auch zu körperlichen Problemen führen, weil viele ihn individuell und ohne Anleitung betreiben…
Jörg Dickel: Ob viel falsch gemacht wird, kann und mag ich nicht beurteilen. Wichtig ist, zu schauen, was für jeden einzelne individuell ansteht. Wir schauen genau, was bracht unser Kunde. Braucht er Training, braucht er eventuell eine Heilbehandlung, ein Mentoring, eine Meditation oder eine klassisch Massage.
Anna Dickel: Das Thema Stress ist so wichtig geworden, weil wir oft von einer Stresssituation in die nächste gehen und der Kopf und der Köper nicht mehr die Möglichkeit haben, zu entspannen und zur Ruhe zu kommen. Die Entspannungsphase, die nach jeder Belastung kommen sollte, bleibt oft aus und deshalb haben auch immer mehr jüngere Menschen Probleme. Stress, Angst und Sorgen sind ein großes Thema, das körperliche Beschwerden auslöst.
Jörg Dickel: Hinzu kommen noch einseitige Belastungen. Der eine sitzt den ganzen Tag am Schreibtisch, der andere geht den ganzen Tag auf den Bau und hat da extreme Belastungen. Beides ist auf Dauer nicht gut für den Körper. Es gibt keine Berufsgruppe mehr, die keinem Druck ausgesetzt ist.
Anna Dickel: Deswegen ist es wichtig, einen guten Ausgleich zu schaffen. Die Belastungen im Beruf und Alltag sind das eine, und darum ist es so wichtig, dass man etwas für Entspannung und Ausgeglichenheit tut. Wenn ich eine gute Energie und Kraft habe, fällt es auch häufig im Berufsleben und Alltag wieder leichter.
Jörg Dickel: Und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es sich auch auf den Körper niederschlägt. Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Verspannungen aber auch Herz-Kreislaufprobleme sind nur ein paar Beispiele dafür, was Stress und hohe Alltagsbelastungen in unserem Körper auslösen können. Darum haben wir den Slogan Beweg mit uns dein Leben!