Erndtebrück. Die Physiotherapeutin Kathrin Afflerbach unterscheidet nicht zwischen Kassen- und Privatpatient. Warum, das erklärt sie in unserem Interview.
Physiotherapie auf Rezept? Nicht bei der Erndtebrücker Therapeutin Kathrin Afflerbach. Im Interview erklärt sie, warum grundsätzlich jeder zu ihr kommen kann, ohne vorher beim Hausarzt gewesen zu sein. Und warum die Behandlungen bei ihr effektiver seien als etwa in größeren Praxen.
Sie haben bisher im Bad Berleburger Gesundheitszentrum Dickel gearbeitet. Warum jetzt der Neuanfang in Erndtebrück?
Kathrin Afflerbach: Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste Grund ist meine Familie und meine zwei Kinder. Ich habe zuletzt zwei Tage á fünf Stunden in der Woche in Berleburg gearbeitet. Das klingt erstmal nicht viel. Hinzu kommt aber die Fahrzeit und die Organisation der Kinder. Jede berufstätige Mutter legt einen Spagat zwischen Beruf und Familie hin, der nicht einfach ist. Seit einem Jahr leite ich in Erndtebrück etwa drei bis vier Rückbildungskurse pro Woche inklusive Kurs-Organisation. Ich wollte flexiblere Arbeitszeiten, die besser in unsere Lebenssituation passen.
Ein weiterer Grund ist das Kassen-System. Eine Behandlung in 20 Minuten inklusive Dokumentation, Terminplanung oder -verschiebung ist für mich nicht mehr zufriedenstellend. Häufig kann man den Patienten nicht mehr gerecht werden, schaut ständig auf die Uhr, würgt sie ab, weil der nächste bereits auf seine Behandlung wartet. Ich hatte zunehmend das Gefühl, meinen Ansprüchen an eine ganzheitliche Behandlung, nicht mehr gerecht zu werden. Hinzu kommen die schlechten Vergütungssätze und die schlechte Bezahlung der Therapeuten.
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Sie haben sich zur sektoralen Heilpraktikerin fortgebildet – was bedeutet das für Sie, aber auch für die Patienten?
Durch den sektoralen Heilpraktiker darf ich Patienten ohne Rezept behandeln. Jeder hat also die Möglichkeit, zu mir zu kommen, ohne vorher beim Arzt vorstellig zu werden. Ich darf alle Behandlungstechniken anwenden, die ich während der Ausbildung und meiner Weiterbildungen als Physiotherapeut gelernt habe.
Verstehe ich Sie richtig: Der Patient bei Ihnen ist in jedem Fall Selbstzahler? Oder hat er Möglichkeiten, sich die Behandlungskosten erstatten zu lassen?
Ja, genau. Mein Angebot richtet sich an Selbstzahler und Privatpatienten. Es gibt aber private Zusatzversicherungen auch für Kassen-Patienten, die Heilpraktiker-Leistungen und auch die von sektoralen Heilpraktikern zum Teil oder ganz erstatten.
Warum lehnen Sie den typischen Kassen-Patienten ab? Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht? Kann man sich so etwas überhaupt leisten, um eine Physio-Praxis wie Ihre wirtschaftlich zu betreiben?
Steckbrief: Kathrin Afflerbach
Kathrin Afflerbach (30) wird in Siegen geboren und wächst in Erndtebrück auf. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter, zwei und fünf Jahre alt.
Nach dem Abitur am Städtischen Gymnasium Bad Laasphe geht sie für ein Jahr als Au-pair in die USA. Es folgen die Ausbildung zur Physiotherapeutin und ein Studium an der Fernuni Hamburg zum Bachelor of Science, Bereich Healthcare Studies.
Die 30-Jährige macht gerne Sport und trainiert außerdem im Erndtebrücker Karnevalsverein (EKV) das Männerballett.
Kontakt: Kathrin Afflerbach, Privatpraxis für Physiotherapie, Erndtebrück, Dr. Meißner-Weg 3, 0171/5019 440, E-Mail: kathrin@physio-afflerbach.com, Internet: www.physio-afflerbach.de
Ich lehne Kassen-Patienten nicht ab. Ganz im Gegenteil sogar. Ich unterscheide nicht zwischen Privat- oder Kassen-Patienten. Bei mir werden alle gleich behandelt. Bei mir stehen der Patient und seine Herausforderung im Vordergrund -- und nicht die Zeit oder Anzahl der Behandlungseinheiten. Ich nehme mir schon bei der ersten Behandlung die Zeit, meine Patienten und ihre Beschwerden kennenzulernen und zu ergründen. Denn nur so kann ich eine effektive Behandlung planen. Das Ganze natürlich in Absprache mit den Patienten. Es ist einfach wesentlich effektiver, 30, 40 oder 60 Minuten zu behandeln, individuell vereinbart. Der Behandlungserfolg tritt schneller ein und ist wesentlich größer. Es werden also mitunter weniger Termine benötigt – und die Patienten sind in kürzerer Zeit an ihrem Behandlungsziel angelangt.
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Und die Wirtschaftlichkeit?
Na ja, die Frage der Wirtschaftlichkeit hängt ja nicht nur von meiner Entscheidung ab. Meiner Meinung nach müssen die Menschen lernen, in ihre Gesundheit zu investieren. Die Krankenkassen gewährleisten keine optimale Versorgung mehr. Die Wartezeiten in den Praxen werden immer länger. Die Versorgung durch die Heilmittelerbringer ist nicht mehr gewährleistet.
Es wird immer schwieriger für die Patienten, ein Rezept zu erhalten, geschweige denn eine Folgeverordnung. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Die Krankenkassen sind nicht für mein Wohlbefinden zuständig.
Es ist eine Frage der Perspektive und deshalb eher eine Bereicherung für jeden, der Beschwerden hat und bereit ist etwas dafür zu tun.
Mein Ziel ist es, die Zeit, die ich in Berleburg gearbeitet habe, meinen Patienten zu widmen und natürlich auch das weggefallene Einkommen zu ersetzen. Und ja das ist durchaus sehr realistisch und gut kalkuliert.
Wie sind bislang die Reaktionen auf Ihr neues Angebot?
Sehr gut. Besser, als ich erwartet habe. Ich habe damit gerechnet, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis es richtig anläuft, sich herumspricht. Jedoch habe ich nach drei Wochen bereits das erreicht, wofür ich acht Wochen eingeplant habe. Mein Ziel war es, nach ein, zwei Monaten regelmäßig sechs Patienten in der Woche zu haben. Jetzt sind es schon in dieser dritten Woche sieben! Und ich habe laufend neue Anfragen von Patienten.
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Bieten Sie die breite Palette der Physiotherapie an – oder haben Sie sich irgendwie spezialisiert?
Ich biete eine physiotherapeutische Befundung und Behandlung an wie Manuelle Lymphdrainage, Manuelle Therapie, Betreuung und Behandlung von Frauen im Wochenbett und in der Rückbildungsphase. Ich bin ausgebildete Mama-Workout-Trainerin und dadurch spezialisiert darauf, Frauen in der Phase nach der Geburt zu unterstützen. Ich biete in Kooperation mit der Hebammen-Praxis „Seite an Seite“ in Erndtebrück Rückbildungskurse an. Jede Mama hat die Möglichkeit, meine Angebote in Anspruch zu nehmen – ob in einem meiner Kurse oder in einer 1:1-Betreuung.
Ergänzend zur physiotherapeutischen Tätigkeit unterstütze ich Menschen bei den Themen Energie, gutes Immunsystem, erholsamer Schlaf, Regeneration und Figur formen. Denn der Bereich Ernährung und Versorgung ist auch für das Resultat der Behandlung sehr wichtig.
Planen Sie noch weitere Physio-Angebote für die Patienten, weitere Fortbildungen für sich selbst im Interesse Ihrer Kundschaft?
Mein Ziel ist es, ein Online-Angebot zu erstellen, sodass Frauen ortsunabhängig von meinem Kursangebot profitieren können und die Frauen, die bereits mein Angebot in Anspruch nehmen, zusätzlich zu Hause unterstützt werden. Außerdem ist ein Internet-Auftritt in Arbeit mit Übungsprogrammen per Video für meine Patienten. Zurzeit habe ich noch keine weiteren Fortbildungen geplant, das kann sich jedoch sehr schnell ändern. Im Moment steht der Aufbau meiner Praxis an erster Stelle.
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Wie sehen sieben Jahre Berufserfahrung aus?
Ich habe nach meiner Ausbildung direkt im Gesundheitszentrum angefangen zu arbeiten. Dort habe ich Patienten behandelt, Kunden im Fitnessbereich betreut und nebenher Kurse geleitet. Schon während der Ausbildung habe ich Zumba-Kurse gegeben und noch eine Zeit weitergeführt, trotz meiner Festanstellung. Ich habe mich in den sieben Jahren stetig im orthopädischen Bereich fortgebildet. 2019 habe ich mein Studium im Bereich Physiotherapie abgeschlossen. Und Zuletzt meine Mama-Workout-Trainer-Lizenz erworben, um Frauen bestmöglich im Wochenbett und bei der Rückbildung zu unterstützen.
Warum arbeiten Sie am liebsten im orthopädischen Bereich?
Man kann in diesem Bereich einfach in kurzer Zeit super viel bewirken. Es gibt viele tolle Behandlungsmöglichkeiten – und der Bedarf ist in den letzten Jahren einfach exorbitant gestiegen.
Machen Sie Ihren Job allein oder im Team?
Allein. Aber ein Team schließe ich nicht aus. Abwarten.