Wittgenstein. Ist das heimische Gesundheitswesen noch wirtschaftlich? Physiotherapeuten, Ärzte und Apotheken aus Wittgenstein schlagen Alarm.
„Es ist Zeit zu handeln. Wir sind am Ende unserer Kräfte.“ Das sagt die Erndtebrücker Physiotherapeutin Nina Völkel-Böhl zur Lage „in unserem Gesundheitssystem“ und nennt zehn „Hauptprobleme“ der gesamten Gesundheitsbranche, die am Ende auch Patientinnen und Patienten betreffen – und wünscht sich hier deutliche Verbesserungen. Insbesondere in Richtung Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen gehen ihre Forderungen. Und damit steht Nina Völkel-Böhl, Betreiberin des Gesundheitszentrums Erndtebrück, durchaus nicht allein: Auch Ärzte und Apotheker in Wittgenstein klagen über die Situation.
Nullrunde in Zeiten der Inflation
Die Verhandlungen etwa des Verbandes Physikalische Therapie (VPT) als Vereinigung für die physiotherapeutischen Berufe mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-SV) träten schon seit Jahren auf der Stelle, kritisiert Völkel-Böhl. Vor allem bei der Vergütung. Wenn sie nicht endlich steige, seien „wirtschaftliches Arbeiten und adäquate Bezahlung der Mitarbeiter nicht mehr möglich“, so Völkel-Böhl.
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Aber was passiere in den Verhandlungen? „Zu Zeiten der Inflation bieten die Kassen derzeit eine Nullrunde oder maximal in einigen Sparten, wie etwa die der Heilmittel-Erbringer, zwei Prozent Vergütungserhöhung an“ – und das bei einer derzeitigen Inflation bei über zehn Prozent. Zu den Heilmittel-Erbringern gehören Physiotherapeuten, Masseure, Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapeuten (Logopäden), Ergotherapeuten, medizinische Fußpfleger (Podologen) und Ernährungstherapeuten.
Realer Einkommensverlust
„Es interessiert die Krankenkassen nicht, wie ich morgen meine Mitarbeiter bezahle“, sagt Völkel-Böhl. Und allzu oft wanderten Physiotherapeuten ihrerseits gleich ganz in andere Berufe ab. Auch das erzeuge eklatanten Fachkräfte-Mangel – unter anderem mit der Folge, dass in vielen Praxen Patienten deutlich länger auf Termine warten müssten. Zugleich setzt Nina Völkel-Böhl auf ihre Patienten – etwa mit einer Unterschriften-Aktion zur Unterstützung der eigenen Forderungen. „Die Patienten müssen dahinterstehen“, sagt die Physiotherapeutin – „dann sind wir stark aufgestellt, um Druck auf die Krankenkassen auszuüben“.
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Nur zwei Prozent mehr bei den Vergütungen, und das auch nur auf Druck eines Schiedsgerichts – das erlebten ebenso die Ärzte-Vertreter in den Budget-Verhandlungen mit der kassenärztlichen Bundesvereinigung, berichtet Bertram Roessiger, kaufmännischer Leiter beim „Ärzte der Region“-Netz Hinterland/Wittgenstein (ADR) mit rund 40 angeschlossenen Arzt-Praxen. Leider funktionierten Ärzte-Streiks vor diesem Hintergrund oft nur teilweise, bedauert Roessiger, weil die Mediziner sagten: Wir können nicht einfach unsere Praxis zumachen und die Patienten im Stich lassen. Zwar sei die Gesamt-Vergütung in den Verhandlungen immer wieder gesteigert worden, so Roessiger weiter, doch hätten die Ärzte „in der vergangenen zehn Jahren einen realen Einkommensverlust hingenommen“. Derzeit gehe es den Krankenkassen auch nicht so gut, weshalb sie in allen Bereichen versuchten, auf Kosten der Leistungserbringer im Gesundheitswesen Geld zu sparen. Das könne auch in Hausarzt-Praxen dazu führen, dass medizinische Leistungen heruntergefahren werden und Patienten längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssten.
Mehr Zwangsrabatt für die Krankenkassen
Und in den Apotheken? „Wir mussten jetzt einen erhöhten Abschlag auf verschreibungspflichtige Medikamente in Kauf nehmen“, sagt etwa Andrea Wohlert, Betreiberin der Center-Apotheke in Bad Laasphe und der Arkaden-Apotheke in Erndtebrück – also den Gesetzlichen Krankenkassen mehr Rabatt pro Medikament einräumen, nämlich 2 Euro statt 1,77 Euro. Und auf der anderen Seite stünden nach einer Tarif-Erhöhung Anfang 2022 höhere Personalkosten. Wo also noch sparen, um wirtschaftlich arbeiten zu können? Hier hat Wohlert die Beleuchtung in ihren beiden Apotheken auf LED umgestellt – und ein Lieferfahrzeug auf Hybrid-Antrieb.
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