Berghausen. In Wittgenstein ist die Bereitschaft zum Arbeitskampf größer als von der IG Metall erwartet. Gewerkschaft macht klare Ansagen an die Arbeitgeber.

Es ist laut in der Kulturhalle Berghausen. Trillerpfeifen, Ratschen und Trommel sind zu hören und Musik wird gespielt. Aber zu feiern gibt es für die gut 500 Streikenden nichts. Nur Andree Jorgella kann trotz der Gesamtsituation lächeln. Der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Siegen-Wittgenstein berichtet von einem Erfolg beim Streikaufruf. Mit 350 Personen hatte die Gewerkschaft am Monat noch gerechnet – jetzt sind es 150 mehr. „In einigen Betrieben sind doppelt so viele raus gegangen, wie angemeldet. Das sind weit mehr als wir gedacht haben.“

Schlechte Vorzeichen für Einigung

Aber Jorgella hat auch eine Vermutung, warum der Streikaufruf angekommen ist. Am Abend zuvor hatte es in Baden-Württemberg erneut keine Einigung am Verhandlungstisch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern gegeben. Das hat Signalwirkungen auch auf die nächste Tarifrunde in NRW am Donnerstag, 10. November. „Wir steuern mit Volldampf auf einen 24-Stunden-Streik zu“, sagt Jorgella im Gespräch mit unserer Redaktion. Wenn dann erneut kein verhandlungsfähiges Angebot von der Arbeitgeberseite komme und die nächste Runde in Baden-Württemberg am 17. November auch ergebnislos verlaufe, stünden die Zeichen auf Urabstimmung, macht Jorgella deutlich, der auch im Vorstand der IG Metall sitzt. Urabstimmung – das könnte unbefristeten Arbeitskampf bedeuten. „Ich bin jetzt seit 14 Jahren für die IG Metall tätig. Das letzte Mal, dass wir vor einer Urabstimmung standen, ist zehn Jahre her“, spricht auch Jorgella von einer außergewöhnlichen Situation in der Tarifauseinandersetzung.

IG Metall gesteht eigene Fehler ein

Auf die Frage, warum es nur 500 und nicht 750 Streikende in der Kulturhalle Berghausen seien wie zuletzt 2018, hat Jorgella aber eine Antwort. Bei einigen Unternehmen hatte die Gewerkschaft in der jüngeren Vergangenheit außertarifliche Einigungen durch Öffnungsklauseln erzielt, um Arbeitsplätze zu sichern. Das Erndtebrücker Eisenwerk mit seinen mehreren Hundert Beschäftigten in Erndtebrück ist ein prominentes Beispiel. Und diese Vereinbarungen lassen die Teilnahme an Streiks nicht zu. „Das werden wir in künftigen Verhandlungen anders machen. Das kommt nicht wieder vor“, gesteht auch Jorgella Fehler ein.

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Aber der Gewerkschafter ist dennoch mehr als zufrieden mit der Beteiligung an der Warnstreik-Veranstaltung und verweist auf manche Betriebe, aus denen die doppelte Anzahl der zuvor gemeldeten Mitarbeiter in den Ausstand gegangen sind. Auch Unternehmen, deren Betriebsräte gar keine Streikenden gemeldet hatten, waren auf einmal in Berghausen. Unter den Streikenden sind viele Mitarbeiter von EJOT, Heinrich-Wagner Sinto, Osterrath und Busch-Jaeger. Die EJOT-Mitarbeiter aus Bad Laasphe hatten mit ihrem Bus kurzerhand noch bei der Firma Osterrath in Saßmannshausen gehalten und die Kollegen dort mitgenommen.

Rund 500 Beschäftigte der Wittgensteiner Metallindustrie sind dem Aufruf der Gewerkschaft IG Metall zum Warnstreik am 9. November 2022 gefolgt. Mehrere Hundert versammelten zu einer Kundgebung in und um die Kulturhalle Berghausen.
Rund 500 Beschäftigte der Wittgensteiner Metallindustrie sind dem Aufruf der Gewerkschaft IG Metall zum Warnstreik am 9. November 2022 gefolgt. Mehrere Hundert versammelten zu einer Kundgebung in und um die Kulturhalle Berghausen. © WP | Lars-Peter Dickel

In und an der Kulturhalle ist das Angebot der Arbeitgeberseite – 3000 Euro, gestreckt auf 30 Monate und steuerfrei – ein Thema, dass viele mit Kopfschütteln kommentieren. Sie wollen acht Prozent mehr Lohn quer durch die Lohntabellen und sind zum Arbeitskampf bereit.

Musikalische Einstimmung auf Forderungen

Heiko Fänger, ein Musiker aus dem Ruhrpott, bringt die Zuhörer mit Protestliedern in Stimmung und studiert die Streik-Choreografie mit seinem Publikum ein. Der Refrain enthält die wichtigste Forderung der Gewerkschaft IG Metall in diesem Tarifkonflikt: acht Prozent mehr Lohn.

Fänger ist der Einpeitscher für die Redner, die von Andree Jorgella herzlich in Berghausen begrüßt werden. Der Gewerkschafter nimmt den Streikenden auch die Sorge von Repressalien: „Euch kann niemand bestrafen. Heute ist Warnstreik! Wenn Euch Euer Arbeitgeber vermisst, dann ist das die Wertschätzung, die Ihr verdient“.

EJOT-Azubi Mik Römer spricht für die Auszubildenden

Mik Römer, 1. Vorsitzender der Auszubildendenvertretung bei EJOT, betont, wie hart die Preissteigerungen die Azubis treffen.
Mik Römer, 1. Vorsitzender der Auszubildendenvertretung bei EJOT, betont, wie hart die Preissteigerungen die Azubis treffen. © WP | Lars-Peter Dickel

Jorgella begrüßte mit Mik Römer auch einen ganz jungen Gewerkschafter auf der Bühne: Römer ist 1. Vorsitzender der Azubivertretung bei EJOT. Und Römer macht die Position der Azubis deutlich: „Die Preise klettern und die Preissteigerungen werden an Dich, Dich und mich weitergegeben. Aber die Azubis trifft die Situation am härtesten.“ Römer berichtet vom Durchschnittslohn von 1000 Euro brutto, was 800 Euro netto entspreche. Davon müssten viele Azubis inzwischen Wohnungen bezahlen, weil Ausbildungsplätze nicht immer auch am Wohnort verfügbar seien. Und in dieser Region könne auch das Auto hinzu, weil ÖPNV keine Alternative sei. Wenn dann Miete und Benzinpreise steigen, wirke sich das massiv aus: „Man muss kein Mathematiker sein, um sich auszurechnen, dass das vorne und hinten nicht reicht“, sagt Römer unter dem Applaus der Zuhörer.

DGB-Geschäftsführer fordert „vernünftiges Angebot“

Unterstützung für die IG Metall kam auch vom DGB. Dessen Geschäftsführer für Südwestfalen, Ingo Degenhardt unterstreicht, wie wichtig es sei, gemeinsam für bessere Löhne einzustehen. „Solidarität gewinnt! Das ist die Botschaft von Tarifauseinandersetzungen.“ Und Degenhardt betont auch, dass die Gewerkschaften „nicht mit dem Klingelbeutel durchs Land gehen. Ich appelliere an die Arbeitgeber: Verhandelt auf Augenhöhe und macht ein vernünftiges Angebot.“

Andree Jorgella, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Siegen-Wittgenstein, freut sich in Berghausen, dass mehr Beschäftigte streiken als erwartet.
Andree Jorgella, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Siegen-Wittgenstein, freut sich in Berghausen, dass mehr Beschäftigte streiken als erwartet. © WP | Lars-Peter Dickel

Zum Schluss schwor Andree Jorgella die Streikenden auf die gemeinsamen Ziele ein und wurde dabei auch grundsätzlich, benannte den Ukraine-Krieg und die seit drei Jahren andauernde Corona-Krise als Herausforderungen, die sich auch auf die wirtschaftliche Situation und die Tarifpolitik auswirkten. Für den Krieg fand Jorgella klare Worte: „Das muss sofort aufhören! Nicht in unserem eigenen Interesse an wirtschaftlichen Verbindungen, sondern aus menschlichem Interesse, damit das Sterben in Europa aufhört.“

IG Metall will Klagelieder Arbeitgeber nicht mehr hören

Mit Blick auf die Corona-Krise zeichnete Jorgella ein anderes Bild: Viele Unternehmen hätten volle Auftragsbücher gehabt und Rekordergebnisse erzielt. „Das Klagelied derjenigen, die dann sagen, wir wissen ja, dass es jetzt schwierig wird, lasse ich nicht gelten“, sagt er. Und fordert, dass die Mitarbeiter von den Rekordergebnissen profitieren.

Das bisherige Angebot der Arbeitgeberseite nannte Jorgella eine „Frechheit“ und rechnete vor, dass eine vierköpfige Familie in diesem Jahr mit Mehrkosten von 3500 Euro zu rechnen habe. „Und die Preise, die heute gestiegen sind, sind morgen nicht wieder unten“, bekräftigte der Gewerkschafter eine Forderung nach einem deutlichen Lohnplus. Ansonsten bleibe es dabei: „Wir steuern mit Volldampf auf eine Urabstimmung zu.“