Bad Berleburg. Inflation, Krieg, Digitalisierung, Energiekrise verunsichern. So führen Christian Kocherscheidt und Angelika Wetzstein EJOT durch die Krise.

Die Welt verändert sich immer schneller und kaum gibt es noch Momente, in denen nicht die eine oder andere Krise – oder auch gleich mehrere – die Menschen fordern und verunsichern. Digitale Transformation, Pandemie, Inflation, Krieg und Energiekrise sind dabei nur die vorherrschenden Themen der vergangenen zwei Jahre – wie führt man in dieser Zeit überhaupt erfolgreich ein Unternehmen und nimmt den Mitarbeitern die Angst? Das beantworten Inhaber und geschäftsführender Gesellschafter der EJOT-Gruppe Christian Kocherscheidt und Holding-Geschäftsführerin Angelika Wetzstein.

Zuerst wollen wir zurück blicken: Seit wann sind Sie in einer Führungsposition und wie sind Sie zu dieser Position gekommen?

Christian Kocherscheidt: Das muss so um 1990 gewesen sein. Aufgrund einer Veränderung in der Leitung der damaligen EJOT-Verbindungstechnik wurde ich dort zum weiteren Geschäftsführer berufen. Das geschah natürlich auch, weil ich der Sohn des Inhabers bin und mit meinem Studium der Betriebswirtschaftslehre und ersten Schritten im Unternehmen eine Art Grundausbildung hatte. Eine spezielle Schulung hat es seinerzeit nicht gegeben; es war „learning by doing“.

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Angelika Wetzstein: Seit 2009 bin ich in unterschiedlichen Führungspositionen tätig. Tatsächlich habe ich schon 1,5 Jahre zuvor als Referentin in der Abteilung gearbeitet. Da es um die Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat für einen Konzern ging, lag es nahe, eine von Betriebsräten und Gewerkschaft akzeptierte Gesprächspartnerin zu wählen, denn Verhandlung ist Vertrauenssache und Vertrauen braucht Zeit. In meiner ersten Führungsposition habe ich viel gelernt: Führung braucht Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter, Klarheit und Entscheidungsfreudigkeit, wohin es gehen soll und zu guter Letzt kritische Selbstreflektion: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen – umso wichtiger, die eigene Kommunikation und das Verhalten kritisch zu reflektieren und daraus zu lernen. Das Schöne an einer Führungsaufgabe ist, sich ganz bewusst auch mit sich selbst beschäftigen zu dürfen bzw. aus meiner Sicht zu müssen.

Wie hat sich die Führungsarbeit seitdem verändert? Haben Sie sich und ihren Führungsstil anpassen müssen?

Kocherscheidt: Seitdem sind jetzt 30 Jahre vergangen und natürlich führt das zu Veränderungen. In der Zeit habe ich viel dazu gelernt – von Erfolgen, aber auch von den Misserfolgen. Meine Rolle als Geschäftsführer hat sich geändert, die Kultur im Unternehmen hat sich verändert, wir sind offener und transparenter für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geworden und damit verändert sich die Führungsaufgabe. Hinzu kommt die starke Internationalisierung unserer Gruppe. Das bringt zusätzliche Kulturen ins Spiel. Wir sind dezentral, diversifiziert und heute in einer Matrixstruktur. Das sind deutliche Veränderungen zu 1990.

Wetzstein: Aus meiner Sicht war Führung früher eindimensionaler und hierarchischer gestaltet. Heute ist es den jungen Generationen wichtig, mitgestalten zu können. Ich finde das richtig, denn meine Mitarbeiter kennen die Schwachstellen von Prozessen, mit denen sie täglich zu tun haben, viel besser als ich. Führung heißt nicht, sein eigener bester Mitarbeiter zu sein, sondern die Mitarbeiter zu „erkennen“, d.h. ihre Stärke zu fördern, Richtung und Unterstützung zu geben und mögliche Hindernisse wie z.B. Kapazität, Kosten, Stakeholdermanagement für das Team zu lösen.

Was macht in Ihren Augen erfolgreiche Unternehmens/-Personalführung aus?

Kocherscheidt: Ich weiß nicht, ob es dafür ein Backrezept gibt. Jedes Unternehmen, jede Behörde und Organisation hat ihre spezifische Situation. Da wirken unterschiedliche Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Kultur oder gar Wettbewerber hinein. Hinzu kommt gerade bei Unternehmen die finanzielle Ausstattung. Da muss man heute den Weg finden, wie möglichst die ganze Mannschaft die Aufgabenstellung versteht, den Weg gemeinsam entwickeln und dann auch gemeinsam loszumarschieren. Während man früher mit einer Ansage Themen, Richtungen und häufig auch Details vorgab, handelt es sich heute mehr um die grobe Richtung. Die Ausarbeitung erfolgt dann von denen, die tiefer in der Materie stecken. In der Führung müssen wir da eher auf Chancen und Risiken schauen und ob die Richtung weiterhin stimmt.

Wetzstein: Erfolgreiche Unternehmensführung hat viel mit der Kultur zu tun: Wie flexibel und resilient sind wir? Kennen wir unsere Stärken und Schwächen? Nehmen wir Scheitern und Fehler als Herausforderung an? Sind wir klar, wohin wir gehen wollen? Als Führungskraft muss man ein Menschenfreund sein. Wer sich nicht gerne mit Menschen beschäftigt oder nicht gerne kommuniziert, ist hier fehl am Platze.

Und welche Fehler sollte man in einer Führungsposition aus Ihrer Sicht vermeiden?

Kocherscheidt: Sich mit schwachen Menschen umgeben. Das mag kurzfristig die eigene Position sichern, führt aber langfristig zum Misserfolg.

Wetzstein: Aus meiner Sicht darf man nicht von sich auf andere schließen oder glauben, man sei perfekt. Führung ist lebendig, sie muss dem Gegenüber und der Situation jeweils angepasst sein. Veränderte Rahmenbedingungen wie Krisensituationen, Digitalisierung oder junge Generationen wirken auf Führung ein – Stillstand, auch im Überdenken des eigenen Führungsverhaltens, ist hier keine Option. Besser ist es neugierig zu bleiben und sich mit den geänderten Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen.

Schauen wir auf die heutige Lage: Welche besonderen Anforderungen an Führung folgen aus der digitalen Transformation?

Kocherscheidt: Mit neuen, wenig bekannten Werkzeugen umgehen. Sich noch stärker auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen, weil das heutige Spektrum so groß ist, da man die Dinge nicht in Gänze im Detail kennen kann, sondern der Fokus auf dem „Ganzen“ liegt.

Wetzstein: In einer digitalen und mobilen Arbeitswelt sind Mitarbeiter viel stärker als bisher auf sich allein gestellt. Die Anforderungen an Selbstorganisation und Entscheidungsfreudigkeit steigen. Die Veränderungsgeschwindigkeit der Digitalisierung fordert zudem ständige Offenheit, Neues zu erlernen. Hier ist es die Aufgabe der Führungskraft, den Mitarbeitern Raum zu geben, diese Fähigkeiten auszubilden, d.h. sich zurückzunehmen und gleichzeitig Unterstützung anzubieten. Die Geschwindigkeit führt natürlich auch zu Veränderung im Kommunikationsverhalten: Wöchentliche Absprachen werden ersetzt durch kürzere und häufigere Abstimmungstermine.

Und wie gehen Sie in unstabilen Zeiten wie diesen mit den Sorgen und Ängsten von Mitarbeitern um?

Kocherscheidt: Offen kommunizieren, aufzeigen, wo Probleme liegen und wie wir damit umgehen wollen. Und wichtig bleibt, dass wir eine „Betriebskampfgruppe“ bleiben, die gemeinsam um unser Überleben in einem hoch dynamischen Markt kämpft.

Wetzstein: Meine Erfahrung zeigt, dass Mitarbeiter Klarheit und Transparenz schätzen. Wo stehen wir und was ist unser Plan in einer Krisenzeit? Ich empfehle hier eine wirklich offene Kommunikation zu verschiedenen Szenarien und zu den Maßnahmen, die ergriffen werden. Klarheit gibt Sicherheit und ermöglich eine Konzentration auf das Tagesgeschäft ohne Ablenkung – so kommt man am besten durch eine Krise. Zudem finde ich es wichtig, in solchen Zeiten jedem Mitarbeiter zusätzliche Rücksprachen anzubieten, in denen es ganz bewusst nicht um Sachthemen geht. Außerhalb von Krisenzeiten machen wir diese Rücksprachen bei EJOT sowieso zweimal im Jahr.

Haben Sie Vorbilder, an denen Sie sich in Sachen Führung orientieren bzw inspirieren lassen?

Kocherscheidt: Das bezieht sich vor allem auf das persönlich Erlebte. Ganz wichtig waren da Hermann Großberndt, mit dem ich zusammen in der Laaspher Geschäftsführung war und der die gute Mischung aus Fachwissen und menschlichem Einfühlungsvermögen hatte. Eine Inspiration, Dinge auch neu und freier zu denken, kam stets von Anja Förster, einer bekannten Wirtschaftsautorin und natürlich, last but not least, von meinem Vater.

Wetzstein: Ich bewundere Helmut Schmidt für Weitblick und Pragmatismus, für Entschlossenheit, Klarheit und Differenziertheit. In Krisenzeiten bewahrte er einen kühlen Kopf und fungierte auf ganz natürliche Weise als Vorbild.