Girkhausen/St. Gertraudi. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort – Matthias und Manuela Marburger retteten ein Menschenleben. Dabei spielten sich dramatische Szenen ab.
„Helft’s, helft’s, helft’s, da liegt der Josef!“ Peter Neubauer, Bergbauer aus den österreichischen Alpen aus Reith im Alpbachtal war schier verzweifelt am Abend des 12. September 2021. Sein guter Freund und Bekannter Josef Niederbacher lag leblos neben seinem Auto in den Bergen, seine Ehefrau Maria saß im Wagen und konnte die Situation nicht fassen.
Auf den Hilfe suchenden Peter Neubauer wurden zwei Menschen aufmerksam, die mit ihrem Engagement und Können gemeinsam mit vielen anderen Menschen, die noch hinzukamen, keine Sekunde zögerten und sofort geholfen haben. „Nur dadurch, dass Peter auf sich aufmerksam gemacht hat, haben wir überhaupt verstanden, dass dort etwas passiert ist“, erinnern sich Matthias Marburger und seine Frau Manuela aus Girkhausen, die zu dieser Zeit Urlaub in den österreichischen Bergen machten.
„Wir haben den Mann aus der Böschung auf den Weg gezogen. Er lag mit dem Kopf in den Blumen am Wegesrand. Auf dem Weg haben wir sofort mit der Reanimation begonnen“, erinnert sich Manuela Marburger-Stahl. Manuela, Krankenschwester in der Odebornklinik, übernahm die Herzdruckmassage, ihr Mann Matthias, Feuerwehrmann im Ehrenamt, führte die Beatmung durch.
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„Zum Glück hatten wir unseren Erste-Hilfe-Rucksack dabei, in dem wir auch einen Beatmungsbeutel haben“, erinnert sich Matthias Marburger an den Abend. Eigentlich waren er und seine Frau auf dem Weg zur Zirmalpe, in den dortigen Gasthof. „Wir sind schon oft hier im Urlaub gewesen und man kennt sich mittlerweile gut. Wir waren auf der Alpe zum Abendessen verabredet an unserem letzten Urlaubstag“, erklären die beiden.
Am Auto zusammengebrochen
Nur deshalb waren beide überhaupt die schmale Anliegerstraße hoch über der Ortschaft gefahren. „Josef gießt schon seit Ewigkeiten mit seiner Ehefrau gemeinsam im Herrgottswinkel die Blumen. Jeden Abend. Tag für Tag“, berichtet Matthias Marburger. Das Gießen sei schon abgeschlossen gewesen und die beiden Senioren wollten wieder zu ihrem Hof fahren, auf dem sie 45 Milchkühe und Hühner versorgen. Gerade erst waren sie vom ersten Hochzeitstag ihrer Enkelin zurückgekommen. Doch dann brach Josef plötzlich neben seinem Auto zusammen – und gab keine Lebenszeichen mehr von sich.
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Noch während das Ehepaar aus Girkhausen die Reanimation eingeleitet und um das Leben von Josef zu kämpfen begonnen hatte, telefonierte Peter Neubauer mit der Leitstelle in Innsbruck. „Dann gab er mir das Telefon“, erinnert Matthias sich. Der Disponent hatte noch Fragen zum Notfall. „Er sagte uns, dass er bis jetzt nur einen Krankenwagen zum Einsatz alarmiert habe“, erinnern beide sich. Matthias Marburger erklärte dem Disponenten den Ernst der Lage.
Aufgrund der abgelegenen Örtlichkeit bat er um die Entsendung eines Rettungshubschraubers. Dabei ist der Ersthelfer voll des Lobes für die gute Arbeit der Leitstelle: „Er war sowas von freundlich und hilfsbereit. Er fragte auch, ob wir noch die Feuerwehr zur Tragehilfe oder Unterstützung brauchen, aber das ging so“, berichtet Matthias.
Noch währenddessen kamen weitere Passanten hinzu: „Das war ein niederländischer Tourist und ein junger Polizeibeamter, der privat unterwegs war“. Der Tourist habe sofort bei der Reanimation unterstützt und der Polizist habe den Verkehr geregelt, den Wagen mit Peter Neubauers kleiner Tochter nach Hause gefahren. Zur selben Zeit erhielt „Heli 3“ von der SHS-Flugrettung in Kufstein seinen Einsatzbefehl und nahm Kurs ins Alpbachtal. Am Krankenhaus in Schwaz starteten parallel RTW und Notarzt, eine Polizeistreife machte sich ebenfalls auf den Weg.
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Minuten später landete der Hubschrauber in unmittelbarer Nähe der Notfallstelle, RTW und Notarzt trafen ebenso ein. „Macht’s weiter so!“, lautete die kurze Anweisung der Besatzungen. Die Mediziner legten unterdessen Venenzugänge an, hielten Defibrillationspaddels an und zogen Medikamente auf, eine künstliche Beatmung wurde eingeleitet.
Frau vom Geschehen abgelenkt
Schließlich übernahmen die Rettungskräfte den weiteren Einsatz. „Der Hof von Josef war nicht weit weg. Die Familie konnte sehen, dass auf der schmalen Straße etwas los war und Josefs Kinder und Enkel waren schnell vor Ort. Um die haben wir uns dann gekümmert“, berichtet Manuela Marburger-Stahl. Sie hatte sich bei Josefs Frau Maria ins Auto gesetzt und die Frau von den dramatischen Szenen abgelenkt. Zwei Mal musste Josef Niederbacher defibrilliert werden. Minuten später Erleichterung: „Er hat einen Rhythmus. Er ist wieder da!“, so der Ausruf der Notärztin vor Ort. Gemeinsam trugen sie Josef zum Hubschrauber, der in der Wiese stand und ihn nun in eine Klinik nach Innsbruck flog.
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„Josefs Tochter wollte jedem von uns 100 Euro geben an der Einsatzstelle, das haben wir natürlich abgelehnt. Aber die Telefonnummern, Namen und Adressen wollten sie von uns haben“, berichtet Manuela. Über eine Stunde verspätet kamen Manuela und Matthias schließlich in der Alm zum Abendessen an. „Wir sahen aus – total durchgeschwitzt, die Klamotten dreckig, völlig fertig. Die anderen Gäste haben uns ganz entgeistert angeschaut“, erinnern sich beide an den Empfang in der Alm.
Die Wirtin sei gekommen und habe gefragt: „Jesses! Wo bleibt’s ihr denn und wie schaut’s ihr aus?“. Als die beiden der Wirtin erzählten, was geschehen war, reagierte sie prompt: „Hier habt’s erst einmal ein Schnaps! Und jetzt kriegt’s ihr euer Essen“. Bereits am nächsten Tag erhielten die Marburgers Nachricht von Josefs Familie: Das Wachwerden aus der Narkose, das Verlassen der Intensivstation, den Gang in Josefs geliebten Kuhstall, sämtliche Kontrolltermine beim Arzt, Familienfeierlichkeiten – alles bekamen Marburgers fortan mitgeteilt. „Das Band, was da entstanden ist, ist sehr, sehr stabil“, freut sich Matthias Marburger.
Vor wenigen Tagen waren die beiden erneut im Alpbachtal. „Josefs Familie wollte gerne ein Mittagessen mit uns essen“, berichten sie. Was für ein Zusammentreffen dies werden würde, hatten die beiden aber nicht für möglich gehalten. An einem Sonntagmittag um halb zwölf sollten sie im Café Zillertal sein. „Da waren Josef und seine Frau, die Geschwister, Kinder und Schwiegerkinder, Enkel, Urenkel, Freund Peter Neubauer – einfach eine riesen Familienzusammenkunft“, sind die beiden gerührt. Ihre Augen strahlen.
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„Josef hat uns so fest gedrückt und wir alle hatten Tränen in den Augen“, beschreiben die Marburgers ihre Eindrücke. „Am Herrgottswinkel war mein Weg mit 86 Jahren zu Ende“, resümierte Josef Niederbacher. „Da hatten wir aber was dagegen“, kam es Matthias wie aus der Pistole geschossen entgegen. „Ihr wart’s und seit’s meine Schutzengel.“ Josef wünschte sich von beiden, dass er sie noch in seinen Stall einladen darf: „Josef hat uns seine Tiere gezeigt, allen voran Zuchtbulle Peter, der sehr aufgebracht war, und tobte, als wir als Fremde im Stall waren. Dann hat der Josef den schweren Bullen über den Kopf gestreichelt und gesagt: ,Peter, dess san zwoa Guade, und jetzt is a Ruah’. Das Tier war sofort still“, ist Matthias beeindruckt.
Auch hier wurde beiden noch einmal deutlich, wie herzlich Familie Niederbacher ist: „Obwohl alle mit der Stallarbeit beschäftigt waren, haben sie uns Familienfotos von Hochzeiten oder anderen Familienfeiern gezeigt. Dazu war trotz Stall immer Zeit zwischendurch“, sind beide stolz. Auch ein drittes Mal sollten sie
sich in diesem Urlaub begegnen: „Manuela hatte in diesen Tagen Geburtstag und bei einem Fest im Dorf, der so genannten Strawanzer-Nacht, kam die gesamte Familie von Josef, um Manuela persönlich zu gratulieren. Sie bekam dann ein Edelweiß von der Familie geschenkt“, freut er sich. Bei der anschließenden Verabschiedung nach Hause habe Josef sehr geweint: „Passt’s gut aufeinander auf und hoffentlich sehen wir uns nächstes Jahr wieder“. „Da haben wir auch ganz schön einen verdrückt“, erinnern sich Matthias und Manuela noch gut.
Die Marburgers hatten noch ein weiteres Ziel: Die beiden sind in ihrer Freizeit ehrenamtlich Botschafter der Deutschen Teddystiftung, die Rettungsdienste mit Teddys für das Trösten von Kindern versorgt. Sie besuchten den in Kufstein stationierten Hubschrauber „Heli 3“, der bei Josefs Reanimation im Einsatz war, um den Besatzungen Teddys für Kindernotfälle zur Verfügung zu stellen.
„Die Besatzung war super glücklich“, freuen sie sich. An den Einsatz im Alpbachtal konnten sich die Kräfte noch gut erinnern, vom Ausgang hatten sie allerdings nichts gehört. Umso glücklicher waren sie, dass Josef Niederbacher wieder ganz gesund geworden ist – dank der Hilfe vieler engagierter Menschen, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren und ihr Handwerk verstehen.
Josef Niederbacher ist übrigens nicht nur wieder ganz gesund geworden – auch sein erstes Urenkelchen wurde mittlerweile geboren und heißt: Matthias.