Bad Berleburg. Das in Dänemark etablierte Ensemble spielt zur Musikfestwoche in Bad Berleburg auf und hält ihm mit Liedern der 20er bis 40er den Spiegel vor.
Erschreckend, wie wenig die Menschheit gelernt hat in den vergangenen 100 Jahren. Mit zweijähriger Verspätung hielt das Kopenhagener Figura-Ensemble im Bad Berleburger Bürgerhaus dem Publikum der internationalen Musikfestwoche den Spiegel vor. „Kabaret“ hieß das Programm des mehrfach preisgekrönten Ensembles mit einer Fülle kritischer, zugespitzter und politischer Lieder aus den 1920 bis 1940er Jahren.
Mit spitzer Feder und Wut haben seinerzeit Autoren wie Bertolt Brecht, Anton Schnack, Erich Kästner u.a. die Situation ihrer Zeit aufgespießt und Hanns Eisler, Kurt Weill, Friedrich Hollaender und viele andere haben sie in Musik gesetzt. Musik, die es versteht, die Texte weiter zu verstärken und für das Publikum seinerzeit zu illustrieren. Also keine Comedy und schon gar kein Klamauk, sondern die ursprüngliche Form des politischen Kabaretts.
Das etablierte Ensemble hat in Dänemark einen großen Namen
Das Figura-Ensemble nutzt bei seinen Interpretationen eine mögliche bis übliche Combobesetzung mit Klarinetten, Saxofon und Flöte (Anna Klett und Peter Fuglsang, der ein fulminantes Klezmer-Solo zu einem Lied von Friedrich Hollaender beitrug), Bass und Banjo (Jesper Egelund), Akkordeon (Andreas Borregård), Percussion mit Glockenspiel und singender Säge (Frans Hansen) und natürlich Gesang und Moderation: die fantastische Helene Gjerris.
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Ein Ensemble, das in unterschiedlichen Besetzungen bereits ungefähr 25 Jahre existiert und in Dänemark einen großen Namen hat. Mit seinen Produktionen betritt es immer wieder musikalisches Neuland und ist oft Grenzgänger zwischen den Genres bis hin zum Musiktheater mit Kindern. Ein Ensemble, das sich blind versteht, virtuos miteinander musiziert und eine wirkliche Einheit bildet. Helene Gjerris, die Mezzosopranistin mit einer fulminanten Tiefe interpretiert mit sparsamer Geste die Lieder eindrucksvoll, fast ausschließlich mit den Möglichkeiten ihrer Stimme.
Von gezupften Bass und singender Säge begleitet
Dabei braucht sie keinen Vergleich zu scheuen, auch gerade nicht bei Liedern, die man von Marlene Dietrich oder später Hildegard Knef im Ohr hat wie „Ich hab noch einen Koffer in Berlin“ oder Friedrich Hollaenders „ich weiß nicht zu wem ich gehöre“, puristisch begleitet von gezupftem Bass und singender Säge.
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Und natürlich hatte das dänische Ensemble auch die Brücke zwischen Deutschland und Dänemark im Programm mit Titeln aus der 1936 entstandenen dänischen Fassung von Brechts Theaterstück „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ für die Hanns Eisler zwei Leider schrieb, bei denen der bekannte dänische Komponist Otto Mortensen die Sängerin Lulu Ziegler begleitete. Beide kamen im weiteren Programm wieder vor. Mortensen mit einem weiteren Lied über Berlin und Erich Kästners „Feine Leute, 1.200 Meter hoch“, Ziegler als Interpretin von „Der letzte Tourist“ von Henrik Blichmann.
Zentraler Platz für Lieder von Hanns Eisler mit Texten von Brecht
Einen zentralen Platz im Programm bekamen vier Lieder von Hanns Eisler mit Texten von Brecht, die sich mit Nationalsozialismus und Krieg auseinandersetzten. Im „Lied vom Weib des Nazisoldaten“ bekommt sie wunderschöne Dinge aus europäischen Hauptstädten und aus Russland den Witwenschleier. Im „Lied einer deutschen Mutter“ klagt sie: „ich gab dir das braune Hemd. Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, hätt ich mich lieber erhängt. Es war dein Totenhemd“.
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Ebenso verstörend die „Kinderlieder“, die eher nichts für Kinder sind, sondern eher von der Situation der Kinder der 20er und 30er Jahre singen. Nein, man kann sich an einem solchen Abend nicht zurücklehnen und genießen. Schon gar nicht, wenn man die autokratischen und diktatorischen Herrscher in Europa und der Welt sieht und was sie anrichten, wenn plötzlich in unserem „friedlichen“ Europa ein Land brutal überfallen wird und der Krieg wieder von unserer Haustüre steht. Ein Krieg, der uns alle betrifft. Und dann überlegt man, dass dieses beeindruckende Konzert eigentlich vor zwei Jahren stattfinden sollte…