Wittgenstein. Brüssel grenzt den Einsatz chemischer Keulen auf den Feldern weiter ein. Welche Folgen das für heimische Bauern hat, erklärt Kreislandwirt Menn.
Auf die Landwirte kommen neue Auflagen der EU zu – diesmal zum Einsatz von Pflanzenschutz-Mitteln auf den Feldern, der nun noch weiter reduziert werden soll. Das betrifft vor allem Bauern im Kreis Soest, aber auch einige in Wittgenstein. Und: In sogenannten Natura-2000-Gebieten sollen solche Mittel künftig gar nicht mehr zur Anwendung kommen. Dazu gehören auch Gebiete gemäß der FFH- und Vogelschutzrichtlinie, etwa rund um Saßmannshausen. „Chemische Pestizide dürfen nur als letztes Mittel eingesetzt werden“, so die EU-Kommission.
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en, dass betroffene Betriebe Ertragseinbußen von zumindest einem Drittel haben, weil auf ihren Feldern weniger Getreide wächst“, sagt Kreislandwirt Lothar Menn aus Erndtebrück. Sicher: Unkraut-Bekämpfung sei „zum Teil auch anders zu machen“, etwa mechanisch. Das aber wiederum bedeute, „dass gerade in Vogelschutzgebieten die Bodenbrüter und deren Nester kaputtgemacht werden“, so Menn weiter. Es sei also „kontraproduktiv für den Vogelschutz“.
Getreide wird kaum noch angebaut
Allerdings sei das Pflanzenschutz-Thema für die Landwirtschaft in Wittgenstein und auch im Siegerland eher weniger ein Problem, räumt Menn ein, weil in der Region kaum noch Weizen oder Mais angebaut werde – und dann auch höchstens noch „für Futterzwecke“, also zur Ernährung von Nutztieren. Ein sehr großer Teil seien Grünland-Flächen wie Wiese oder Weide.
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Auch Michael Düben vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) Siegen-Wittgenstein sieht den Pflanzenschutz in Wittgenstein aktuell nicht kritisch. Im Auge hat er aber sogenannte Turbo-Gräser, die einige Landwirte auf ihren Grünland-Flächen als Futter anbauten. Auf diesen „Industriegras-Plantagen“ sei die Artenvielfalt der Pflanzen und Insekten sehr reduziert. „Da wachsen noch nicht einmal Löwenzähne“, so Düben.
NABU hat eher Turbogras im Blick
Beitrag gegen den Hunger in der Welt
Um angesichts ausbleibender Getreide-Lieferungen aus der Ukraine einen Beitrag gegen den Hunger in der Welt zu leisten, könnten Landwirte auf bislang unbewirtschafteten Flächen bundesweit rund 600.000 Tonnen Getreide ernten, so Kreislandwirt Lothar Menn. Man müsse sie nur lassen.
Stattdessen sei es „nicht mehr zu ertragen, wie man mit uns umgeht“, kritisiert er auch mit Blick auf den Pflanzenschutz. Menn wirft die Frage auf, ob man sich das bei dem Hunger auf der Welt noch leisten kann.
Im Übrigen spritze kein Landwirt auch nur „ein Gramm mehr als nötig“, weiß Menn – „denn das Zeug ist verdammt teuer“. Die Pflanzenschutz-Mittel aber komplett zu verbieten, sei auch unsinnig, findet der Kreislandwirt. Und die Alternativen für einen Ackerbauern? „Aufhören“, sagt Menn ganz spontan. Zwar werde kein Landwirt allein vom Arbeiten reich, aber: „Wir müssen noch so viel verdienen, dass wir unsere Familien ernähren können.“ Im Kreis Soest lägen viele Landwirte mit Flächen in den Natura-2000-Gebieten. „Die wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll“, weiß Menn. Derzeit versucht der Ermdtebrücker, von der Landwirtschaftskammer konkrete Zahlen zu bekommen, bei welchen Ernte-Umfängen die Umsätze überhaupt noch wirtschaftlich darstellbar sind. Denn heimische Landwirte mit Produkten aus dem Ackerbau seinen oft international nicht mehr konkurrenzfähig.
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Von den Verbänden geforderte finanzielle Hilfen des Bundes oder des Landes NRW, um in der Landwirtschaft in neue, digitale Technologien zu investieren, hält Menn für völlig unzureichend – zumal das Geld vor dem Hintergrund des laufenden Ukraine-Krieges „überhaupt nicht da“ sei.
Heimische Bio-Bauern sind nicht betroffen
Aber wie stehen die heimischen Landwirte zu den neuen Maßnahmen der EU? Während der Nachfrage bei den Betrieben in Wittgenstein entsteht der Eindruck, dass auf den Feldern im Altkreis gar keine Pflanzenschutz-Mittel eingesetzt werden. Viele Landwirte besitzen zwar große Grünflächen, bewirtschaften diese aber nicht.
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Der Fokus der lokalen Betriebe liegt auf der Viehzucht von Hühnern, Schweinen oder Rindern. Landwirtschaftsmeister Hans-Werner Böhl aus Balde baut Bio-Mais an, damit ist er einer der wenigen im Altkreis. Sein Betrieb ist ein Biohof – und um als dieser zu gelten, müssen bestimmte Auflagen erfüllt werden. Dazu zählt auch das Verbot der Verwendung von Pflanzenschutzmittel jeglicher Art. Deshalb sei er auch nicht auf den neuesten Stand, was die aktuellen Vorgaben der EU betrifft: „Ich habe damit nichts am Hut.“ Eine Reduzierung sei bei ihm nicht möglich, da er als Biobetrieb gar keine Mittel zum Pflanzenschutz auf seinem Ackern im Einsatz habe. Generell sind in Wittgenstein die Mehrzahl der Betriebe Biohöfe, unabhängig von der landwirtschaftlichen Ausrichtung.
Klimawandel macht Mais erst richtig möglich
„Der Ackerbau spielt bei uns mittlerweile generell eine eher untergeordnete Rolle, da wir hier überwiegend Grünland haben“, berichtet Böhl. Gemischte landwirtschaftliche Betriebe wie früher gebe es in dieser Form gar nicht mehr in der Region. Erst dadurch, dass sich das Klima verändere, sei es in den letzten 20 Jahren in Wittgenstein machbar geworden, Mais in größerer Form anzubauen. Früher wäre das noch sehr schwierig gewesen, so Böhl. Aber die Erderwärmung mache es möglich, Bio-Mais in einer guten Qualität regional zu ernten.
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„Hier und da sieht man jetzt immer mal wieder ein bisschen Mais auf den Feldern im Altkreis“, freut sich Böhl. Das sei aus landwirtschaftlicher Sicht ausnahmsweise eine positive Entwicklung, verursacht durch den Klimawandel. So wie bei allem gebe es eben auch dabei eben Vor- und Nachteile, findet Böhl – wenngleich die katastrophalen Nachteile bei diesem Phänomen leider überwögen.