Wittgenstein. In NRW mehren sich die Stimmen, die von Vorteilen für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sprechen: Wir haben in Wittgenstein nachgeschaut.
Werden ukrainische Flüchtlinge gegenüber Geflüchteten aus nicht-europäischen Ländern bevorzugt? Aus einigen NRW-Landkreisen werden aktuell immer wieder Stimmen laut, die genau das behaupten. In Wittgenstein dagegen weist man solche Vorwürfe klar zurück.
82,4 Millionen Menschen waren Ende 2020 wegen Konflikten, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen weltweit auf der Flucht. „Hinter jeder solcher Zahlen steht ein Mensch, der aus seiner Heimat vertrieben wurde und ein Schicksal von Flucht, Entwurzelung und Leid“, schreibt UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi auf der Homepage der UN-Flüchtlingskommission. Aus der Ukraine sind laut UNO-Flüchtlingshilfe seit Kriegsbeginn bereits 4,7 Millionen Menschen geflohen.
Die Agentur für Arbeit
Doch was sagt die Agentur für Arbeit in Siegen zu den Vorwürfen, man bevorzuge geflüchtete Menschen aus der Ukraine gegenüber anderen Geflüchteten? „Ich möchte klar hervorheben, dass wir keine Gruppe bevorzugt behandeln“, schreibt Nina Appel, Pressesprecherin der Arbeitsagentur, auf Nachfrage. „Wir handeln nach den bundesweiten Beschlüssen.“ Alle regionalen Akteure im Kreis Siegen-Wittgenstein, so Appel weiter, hätten von der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 gelernt. Nun könne man auf diese Erfahrungen zurückgreifen und deutlich schneller auf die Situation reagieren.
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Die Bundesagentur für Arbeit helfe allen Menschen in Deutschland und orientiere sich dabei an der Gesetzgebung. Dies gelte natürlich auch für den Standort Bad Berleburg. „Wichtig für unsere Arbeit ist in erster Linie, dass die Menschen arbeiten dürfen“, erklärt Appel. Bei den Geflüchteten aus der Ukraine seien die Kommunen aktuell bereits befugt, Aufenthaltserlaubnisse auszustellen, die mit Beschäftigungsverhältnissen verknüpft sind. Daher dürften die Mitarbeiter der Agentur diese Menschen dann auch bei der Suche nach Arbeit und Ausbildung unterstützen.
Die Stadt Bad Berleburg
Und was sagt beispielsweise die Stadt Bad Berleburg zum Sachverhalt? „Generell gilt für die Stadt Bad Berleburg, dass unsere Kolleginnen aus dem Bereich Integration mit den bei uns Schutzsuchenden aller Nationen in engem Austausch sind, die Menschen nahezu ausnahmslos sehr liebenswert sind und versuchen, sich schnell in die Stadtgesellschaft zu integrieren. Es wäre aus unserer Sicht wünschenswert, wenn wir den Geflüchteten schneller freie Plätze in Integrations-, Alphabetisierungskurse oder auch Deutsch-Sprachkursen anbieten könnten“, sagt Regina Linde, Fachbereichsleiterin Bürgerdienste. Die unterschiedlichen Leistungen für die Geflüchteten ergeben sich laut Linde aus ihrem Aufenthaltsstatus und seien von der Kommune entsprechend zu beachten und umzusetzen.
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Allerdings gebe es auch vor der Ankunft der Ukrainer bereits Unterschiede bei der „Gewährung von Leistungen oder dem Zugang zum Arbeitsmarkt etc. – und zwar einmal für Menschen mit anerkanntem Asyl oder subsidiären Schutz oder für Menschen mit abgelehntem Asylantrag“. Insofern sei es für die Mitarbeiter im Bereich Integration nichts Neues, mit unterschiedlichen Vorgaben leben und umgehen zu müssen.
Dies liegt am unterschiedlichen Aufenthaltsstatus des jeweiligen Schutzsuchenden. „In unserer Behörde behandeln wir definitiv alle bei uns Schutzsuchenden gleich, unabhängig von ihrer Nationalität. Dies trifft auch auf die unterstützenden, überwiegend ehrenamtlichen Strukturen zu wie zum Beispiel Kleiderkammer, Integration.Lernen.Leben, Café International, Evangelische Gemeinschaft oder auch auf den vom DRK betriebenen Mehrgenerationentreffpunkt.“
Kommune blickt hoffnungsvoll in die Zukunft
Auch wenn die Situation für die Kommunen derzeit schwierig sei, da man nicht absehen könne, wie viele weitere Menschen aus der Ukraine in Deutschland Schutz suchen und wie lange sie bleiben werden, blickt Regina Linde mit Hoffnung auf die Lage in Berleburg. „Auf dem privaten Wohnungsmarkt ist die Bereitschaft zurzeit sehr hoch, Wohnungen zur Unterbringung ukrainischer Geflüchteter zu vermieten“, berichtet sie. Allerdings würde die Stadt sich freuen, wenn sich dieses Engagement „noch mehr als bisher auch auf alle anderen bei uns schutzsuchenden Nationen übertragen ließe“.
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Ließe sich aus der Sicht der Stadt am derzeitigen System zur Bewältigung des Flüchtlingsaufkommens etwas verbessern? Auch darauf hat die Fachbereichsleiterin Bürgerdienste eine klare Antwort: „Den Angriff Putins auf die Ukraine konnte vermutlich niemand vorhersehen. Insofern gilt es jetzt zunächst, den ankommenden Vertriebenen zu helfen. Es hilft derzeit niemandem weiter, Verteilsysteme oder ähnliches zu kritisieren oder in Frage zu stellen.“
Der Arbeitgeber
Andreas Benkendorf von der Alten Schule in Bad Berleburg hat schon einigen geflüchteten Menschen eine Arbeit gegeben. Er würde sich wünschen, dass auch Menschen, die aus anderen Ländern geflüchtet sind, direkt eine Arbeitsgenehmigung erhalten – so wie es derzeit für Menschen aus der Ukraine der Fall ist. Benkendorf ist auch der Arbeitgeber von Robert Muradyan, dem nun möglicherweise die Abschiebung droht. „Wir kooperieren schon länger mit der Stadt Bad Berleburg. Schon damals sagte man uns, dass man immer damit rechnen muss, dass die jeweilige Person vielleicht abgeschoben wird. Das ist natürlich deprimierend für beide Seiten.“ Dass die Geflüchteten aus der Ukraine sofort eine Arbeit in Deutschland aufnehmen dürfen, findet er im Übrigen gut.
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Am 3. März hatten sich die EU-Staaten darauf geeinigt, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine schnell und unbürokratisch aufzunehmen. Sie erhalten so ohne Einzelfallprüfung einen humanitären Aufenthaltstitel. Dieser gilt zunächst ein Jahr und kann auf bis zu drei Jahre verlängert werden. Und mit einem Aufenthaltstitel ist der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Ukraine-Flüchtlinge grundsätzlich uneingeschränkt möglich. „Natürlich könnte man nun sagen: Warum die und die anderen nicht? Auf dem zweiten Blick aber wurde hier nun alles richtig gemacht. Denn die Menschen wollen für ihren Unterhalt selber sorgen.“ Nun sei es an der Zeit, so Andreas Benkendorf weiter, den nächsten Schritt zu machen, „damit dies auch den anderen geflüchteten Menschen möglich ist und sich niemand zurückgestellt fühlt. Denn so kommen die Helfer in Erklärungsnot“.
Und: „Wir brauchen die Arbeitskräfte dringend – nicht nur in der Gastronomie, sondern auch in viele anderen Bereichen.“ Noch aber sei es für viele Menschen nicht selbstverständlich, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. „Integration durch Arbeit und mit Sprachunterricht begleitet wäre der richtige Weg.“