Bad Berleburg. Die Wisentkuh Quelle ist getötet worden. Der Wisent-Verein berichtet von aggressivem Verhalten. Der Grund ist ihre Aufzucht von Menschen.
Sie war das erste echte Wittgensteiner Wisentkälbchen in der Wildnis-Herde: Quelle – geboren am 7. Dezember 2011 und Mutter einer großen Wittgensteiner Wisent-Dynastie. Nun ist die Wisentkuh getötet worden. Sie wurde gerade einmal zehn Jahre alt. Wie der Wisent-Verein in seinem Newsletter mitteilte, hat der Verein im Februar die Kuh Quelle „aus Sicherheitsgründen töten müssen“. Als Grund nennt der Verein ihre Aufzucht. „Sie war vor mehr als zehn Jahren von Menschenhand mit der Flasche aufgezogen worden. Das hat in der Folge zu einem Wisent-untypischen Verhalten geführt, zum Beispiel auch zu erhöhter Aggressivität gegenüber Menschen“, schreibt der Verein.
Dieses problematische Verhalten sei mit zunehmendem Alter des Tieres stärker geworden, und damit die Gefährdung für Menschen größer. Deshalb musste der Verein laut eigenen Aussagen handeln. „Quelle war eine besondere Kuh“, erklärt die Wissenschaftliche Koordinatorin des Artenschutzprojektes, Kaja Heising im Newsletter und ergänzt: „Wir bereuen nicht, dass wir sie damals mit der Flasche retten konnten. Sie hat viele Kälber geboren, die sie erfolgreich aufgezogen hatte und einige von ihnen leben heute sogar in Freiheit.“
Der „Zieh-Vater“
Einer, der Quelle besonders gut kannte, ist Jochen Born. Er war damals als Wisentrager tätig und kümmerte sich seit 2010 um die Wisente im Rothaargebirge. „Sie ist mir schon sehr ans Herz gewachsen“, sagt er, als wir mit ihm über Quelle, ihre Aufzucht und ihren Tod sprechen. „Natürlich, so etwas ist nie schön, aber ich akzeptiere die Entscheidung des Vereins. Die Sicherheit der Menschen ist zu gewährleisten. Wenn am Ende jemand verletzt wird, ist das auch nicht schön.“ Im Vorfeld habe man ihn kontaktiert und nach seiner Einschätzung gefragt. Den Entschluss habe er dann am Dienstagabend im Internet gelesen. „Ich schätze es sehr, dass sie noch einmal nach meiner Einschätzung gefragt haben. Ich hoffe, dass die Entnahme kurz und schmerzlos vonstatten ging.“ Noch am selben Abend haben er und seine Familie noch einmal die gemeinsame Zeit mit Quelle Revue passieren lassen. „Wir haben aber nicht darüber gesprochen, dass sie nun tot ist, sondern über die schönen Momente, die wir mit ihr auf dem Hof hatten.“
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Sechs Monate lang lebte Quelle als Kalb bei der Familie Born auf dem elterlichen Hof. Und das hatte einen Grund: Das Wisentkalb wurde 2011 von Gutelaune bei ungemütlichen Minusgraden sowie Eis und Schnee geboren. Ohne menschliche Hilfe hätte es unter diesen widrigen Bedingungen nicht überleben können – vor allem weil Mutter Gutelaune keine Milch geben konnte. „Wir haben lange mit Fachleuten überlegt, ob es richtig ist, in die Natur einzugreifen.“ Schnell war ein Milchersatz gefunden. „Es war spannend und etwas anderes. Sie wurde behandelt wie ein normales Kalb. Eine Herausforderung, die wir gut gemeistert haben“, sagt Born heute. Auch Quelles Geschwister wurden von Menschenhand mit der Flasche aufgezogen. Auf dem Hof der Borns war Quelle ein Publikumsmagnet. Während der Zeit kamen immer wieder Besucher, um Quelle zu sehen. „Man spürte, die Menschen können sich mit den Wisenten identifizieren“, so Born. „Ich hoffe, dass die Wisente bei uns eine Zukunft haben werden. Für mich gehören sie hierher – nach Wittgenstein.“
Die Hauswand des Hofes erinnert noch heute an die einstige Wisentkuh. „Eines ihrer Hörner ist krumm gewachsen. Als sie auf dem Hof ihre ersten Schritte machen sollte, ist sie mit ihm beim Laufen an der Hauswand entlang geschrappt“, erinnert sich Born an die Zeit zurück.
Der Umzug in die Wisent-Wildnis
Nach den sechs Monaten war es dann soweit: Quelles Umzug in die Wisent-Wildnis am Rothaarsteig stand an. Neben ihrer Mutter Gutelaune warteten damals dort auch Horno, Fasel und Faye auf das Kalb. Zu dieser Zeit war sie einen Meter hoch und 110 Kilogramm schwer. „Als sie auf die Welt kam, wog sie gerade einmal knapp 20 Kilogramm“, schrieb der Verein damals auf seiner Homepage. Damals sah man ganz deutlich, wie innig das Verhältnis zwischen Ziehfamilie und Wisent war. Jochen Born kommentierte die neue Situation damals so: „Quelle weiß noch nicht so richtig, dass sie ein Wisent ist.“
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Und was sagt Born zum aggressiven Verhalten? Könnte dies von der Aufzucht mit der Flasche stammen? „Vor einigen Jahren sagte mir mal ein schlauer Mensch, dessen Name mir entfallen ist, dass vor zig Jahren an der Grenze zu Polen und Weißrussland mal Menschen versucht hätten, Wisentkälber per Menschenhand großzuziehen. Sie hörten, dass die groß und kräftig sind. Sie sollten also ihre Wagen ziehen. Irgendwann seien sie aber aggressiv gegenüber dem Menschen geworden. Ob sich dies wirklich so zugetragen hat, weiß ich nicht. Aber ich musste nun wieder an die Geschichte denken. Es kann sein, dass die Aufzucht mit der Flasche zu einem ,Wisent-untypischen Verhalten’ führte.“ Während seiner Zeit als Ranger hatten er und Quelle ein besonderes Verhältnis zueinander. Ganze Bilderstrecken zeugen auch heute noch von der gemeinsamen Zeit auf dem Hof, so Born.
Wisentkühe werden bis zu 24 Jahre alt
Laut Informationen auf der Homepage des Wisent-Vereins können Wisentkühe bis zu 24 Jahre alt werden, Bullen werden selten älter als 16 Jahre. Zum Sozialverhalten steht dort: „Wisente sind Herdentiere, wobei die Bullen sich in Kleingruppen von der Hauptherde abtrennen. Lediglich in der Brunftzeit schließen sie sich der Gruppe an. Eine Leitkuh führt die Herde an. Wisente sind Fluchttiere und stellen somit für den Menschen in der Regel keine Gefahr da.“
Inwieweit sich das aggressive Verhalten der Wisentkuh äußerte und wie die Entnahme stattfand, dazu wollte sich der Wisent-Verein auf unsere Nachfrage nicht äußern. „Ich bitte Sie um Ihr Verständnis, dass wir über die Informationen im Newsletter hinaus keine weiteren Auskünfte geben können,denn dort sind die wesentlichen Fakten genannt.“