Aue-Wingeshausen. Helmut Keßler aus Wittgenstein unterstützt Geflüchtete – auch die Muradis. Im Interview spricht er über die hohen Hürden für Geflüchtete.
Der Fall Muradi berührt derzeit viele Menschen – nicht nur in Wittgenstein. Eine Mutter, die in den Räumlichkeiten des Ausländeramtes in Siegen verhaftet und anschließend in Abschiebehaft gebracht wird. Ein Vater, der kaum noch schlafen kann, aus Angst, schon bald zurück nach Aserbaidschan zu müssen. Das Land, wo er in den Krieg soll. Kinder, die Angst um ihre Eltern haben. Am 8. März befasst sich der Petitionsausschuss erneut mit dem Fall. „Wir geben nicht auf“, sagt Helmut Keßler, der die Familie Muradi bereits seit 2019 betreut. Seit einigen Jahren schon kümmert sich der 62-Jährige aus Aue-Wingeshausen um geflüchtete Menschen in seinem Heimatdorf.
Herr Keßler, seit 2019 betreuen Sie die Familie Muradi bereits. Hätten Sie damals gedacht, dass der Weg so steinig wird?
Helmut Keßler: Nein. Ich hätte damals nicht gedacht, dass ein Mensch, der Deutsch spricht, ein Praktikum zum Altenpfleger erfolgreich abgeschlossen und einen Ausbildungsvertrag in der Tasche hat und sich gut in die Dorfgemeinschaft integriert, sich ehrenamtlich engagiert, abgeschoben werden soll. Er hat die B1 Prüfung abgelegt. Das ist ungefähr mit einem Hauptschulabschluss zu vergleichen und könnte hier eine Ausbildung zum Altenpfleger machen – ein Beruf, wo händeringend Personal gesucht wird. Wenn ich daran denke, welche Ziele diese Familie hatte und sehe, wo wir nun stehen, kann ich nur die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Jeden Monat müssen sie zum Ausländeramt, um ihre Duldung zu verlängern – ein ohnehin schon schwerer Schritt. Nach dem letzten Besuch und der damit verbundenen Verhaftung ist die Familie traumatisiert. Der Gang zur Behörde ist für sie ein Horror.
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Wie geht es nun weiter?
Ich habe eine Mail an den zuständigen Mitarbeiter der Ausländerbehörde geschrieben, dass ich als Bevollmächtigter die Dokumente der Familie abholen möchte, da es nicht zumutbar ist, die Familie erneut dorthin zu schicken, wo die fürchterlichen Ereignisse stattgefunden haben. Aber die stellen sich quer. Das hat in meinen Augen nichts mehr mit Menschlichkeit zu tun. Erst nach der dritten Anfrage wurde zugelassen, dass ich die Papiere abholen kann. Ich habe den Eindruck, die Ausländerbehörde möchte hier demonstrieren, dass sie die Macht hat, alles zu entscheiden. Es geht hier aber nicht um eine „Machtfrage“, es geht um Menschen, Menschen die es verdient haben, weiter in Deutschland zu leben.
Am 8. März berät der Petitionsausschuss in Düsseldorf erneut über den Fall. Haben Sie Hoffnung?
Ich bin ehrlich: Ich habe gute Hoffnungen auf ein positives Ergebnis, da wir sehr gute Argumente vortragen können. Aber selbst wenn der Petitionsausschuss sagt, dass die Voraussetzungen für ein Bleiberecht sprechen, entscheidet am Ende die Ausländerbehörde in Siegen. Aber wir werden nicht aufgeben. Egal wie die Entscheidung ausfällt, ich lasse nicht zu, dass die Familie nach Aserbaidschan abgeschoben wird und Elwin in drei Monaten vielleicht schon erschossen worden ist. Wir kämpfen weiter.
Was denken Sie über die aktuelle Asylpolitik?
Ich habe eine klare Haltung gegenüber der Asylpolitik in Deutschland, diese muss generell überarbeitet werden. Ich kümmere mich nur um die Menschen, die sich auch integrieren möchten. Die unsere Werte annehmen, sich in den Ort integrieren und später dann auch finanziell selbst für sich sorgen möchten. Wir brauchen in Deutschland Zuwanderer – aber auch Asylanten, um unser Gesundheits- und Wirtschaftssystem aufrechtzuhalten. Wir geben diesem Personenkreis eine Chance, sicherer und wirtschaftlicher zu leben. Der Personenkreis muss die Chance auch nutzen und sich nach den Gegebenheiten der BRD verhalten. Es ist eine Win-Win Situation und jeder, wir aber auch die Ausländer/Zuwanderer müssen ihre Aufgaben erfüllen.
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Was sollte sich Ihrer Meinung nach ändern?
Wir sollten unsere Gelder sinnvoller nutzen – und zwar für die Menschen, die sich integrieren wollen. Menschen, die sich nicht an die Regeln halten, die straffällig werden, haben bei uns nichts verloren.
Menschen, die nach einer Eingewöhnungsphase von ca. eineinhalb Jahren und diese Phase ist notwendig, sollen eine Unterstützung erhalten. Sollten sie dann beschließen, sich nicht wie alle anderen Bundesbürger in Deutschland zu verhalten, nämlich selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, dürfen sie keine staatliche Unterstützung erhalten.
Das Geld was wir in sie und die straffällig gewordenen Asylanten investieren, könnten wir für diejenigen nutzen, die hier in Frieden leben wollen. Diese Personen muss man aber an die Hand nehmen und in unser System einführen.
Sie haben bereits viele Erfahrungen im Zusammenhang mit Behörden gemacht. Was ist Ihr Fazit?
Es gibt dort viele Mitarbeiter, die sich kümmern und mit denen man gut zusammenarbeiten kann. Aber es gibt leider einige, denen es scheinbar nur um ein Machtgefühl geht. Diejenigen, die Asylanten von oben herab behandeln. Daher ist es gut, wenn sie einen Betreuer haben. Ich kenne meine Rechte und habe ein selbstbewusstes Auftreten. Aber die Menschen, die hierherkommen und Asyl suchen, kennen unser System noch nicht. Die gehen dabei unter. Hier ist aktive Unterstützung notwendig.
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Wann haben Sie angefangen, ihnen ehrenamtlich zu helfen?
Angefangen habe ich, als die ersten Asylanten zu uns nach Aue-Wingeshausen kamen. Ich hatte den Zeitrahmen, mich um sie zu kümmern. Damals hatte ich noch keine wirkliche Vorstellung davon. Ich wollte den Menschen einfach nur helfen. Es ist wichtig, die Menschen an die Hand zu nehmen und sie in die Selbstständigkeit zu begleiten.
Fiel es Ihnen schwer?
Ich bin gelernter Diplombetriebswirt und fülle für sie die Fragebögen aus. Selbst ich musste bei einigen Fragen erstmal googeln, weil ich es nicht verstanden habe. Wie soll das ein Asylant dann verstehen? Er kennt die Abläufe nicht.
Wie viel Zeit investieren Sie dabei für die Betreuung?
Zu Beginn ist es schon sehr zeitaufwendig. Ich begleite sie zu jedem Termin bei den Behörden, zum Arzt und auch sonst in den ersten Wochen und Monaten. Nach und nach führe ich sie dann aber in die Selbstständigkeit. Zum Beispiel bei Gesprächen. Dann sage ich: Ruf erstmal selbst an, ich sitze neben dir, wenn du nicht mehr weiter weißt. Aber sie sollen es erst einmal allein versuchen. Mit der heutigen Technik ist es auch einfacher geworden: Sie können per Smartphone ein Foto von den Papieren schicken und ich helfe ihnen dann so schon einmal.
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Haben sie noch viel Kontakt zu den Familien?
Schon, ja. Es gibt immer noch Situationen, wo sie meine Hilfe brauchen. Aber man lernt dabei auch eine Menge. Ich hatte vorher ja nie Kontakt zum Jobcenter oder anderen Behörden. Aber es ist auch schön, wenn man am Ende auch die Ergebnisse sieht, wenn sich die Familien ihre Eigenen Existenz aufgebaut haben.
Wie ist die Arbeit mit den Menschen?
Ich habe das Glück, dass ich bislang nur positive Erfahrungen machen konnte, da sich die Menschen auch integrieren möchten. Sie sind froh und dankbar hier zu sein und helfen sogar im Dorf ehrenamtlich mit. Sie sagen: Ihr habt uns geholfen, jetzt helfen wir euch. Das ist einfach schön. Und genau diesen Menschen sollten wir auch eine Chance geben. Ich betreue mittlerweile drei Familien – zwei befinden sich bereits in einem festen Arbeitsverhältnis.
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Wie lange dauert es Ihrer Meinung nach, bis man sich akklimatisiert hat?
Aus Erfahrung würde ich sagen, dauert es ein bis eineinhalb Jahre. Bis dahin hat man in der Regel etwas Deutsch gelernt haben, sich um einen Job gekümmert und kann für den eigenen Unterhalt aufkommen. Es ist viel Zeit, die man da als Betreuer hineingibt, aber es ist auch schön zu sehen, wenn sie sich eine eigene Existenz aufgebaut haben. Aber es gibt auch viele Menschen – auch hier bei uns im Dorf, die ihre Hilfe anbieten.
Wie finden die Menschen zu Ihnen?
Ich stehe im engen Kontakt mit der Stadt Bad Berleburg. Die Sacharbeiter dort wissen, welche Art der Hilfe die geflüchteten Menschen vor Ort benötigen und setzen mich dann in Kenntnis. Danach folgt ein erster Kontakt.
Wie gehen Sie mit den Geschichten der Menschen um – als Betreuer bekommen Sie sicher einiges mit?
Manche Geschichten machen mich schon sprachlos. Aber sie zeigen auch, wie gut wir es haben, hier in Deutschland zu leben. Man bekommt dadurch eine neue Sicht auf die Dinge. Es gibt viele Menschen, die negativ durchs Leben gehen und die Dinge auch nur negativ sehen, dabei haben wir es hier vergleichsweise sehr gut.
Mit Helmut Keßler sprach Redakteurin Ramona Richter