Bad Berleburg. „Wir haben Gäste, die sind Kinder von Paaren, die sich im Tonkrug kennengelernt haben.“ Der Tonkrug ist Kult in Berleburg. Die Gäste beweisen es.
Riccardo und Bettina Martini würden ihren Tonkrug von sich aus eher nicht als Kultkneipe bezeichnen – „so etwas muss von den Gästen kommen“, ist sich das bescheidene Wirtspaar einig. Anders als kultig kann man aber eine Kneipe, die sich seit über 25 Jahren in der immer magerer werdenden Kneipenlandschaft Bad Berleburgs behauptet und eine eigene Theken-Mannschaft hat, auf die Stammgäste unzählige Gedichte schreiben und auf die sogar ein Liebeslied an das Wirtshaus verfasst wurde, kaum beschreiben.
„Wir verstehen uns vor allem als einen Ort, an dem alle Generationen eine gute Zeit verbringen können“, so die Martinis. Und das ist auch gelebte Praxis, denn die Gäste sind zwischen 18 und 80 Jahre alt. Mehrere Stammtische – mit einem ähnlichen Spektrum der Altersklassen – treffen sich regelmäßig im Tonkrug. Einer dieser Stammtische hat dem Wirtspaar gar einen großen Band voller selbst geschriebener Gedichte zusammengestellt und ihnen zum 50. Geburtstag geschenkt.
Lesen Sie auch:Wittgensteins Kneipen: So hat sich das Angebot verändert
„Davon waren wir wirklich sehr gerührt“, erinnert sich Bettina Martini. Zuspruch wie dieser ist es, der die Leidenschaft für den Betrieb des Tonkrugs aufrecht erhält: „Das positive Feedback unserer Gäste ist unsere Motivation.“
Familiäre Atmosphäre
Die familiäre und gemütliche Atmosphäre im rustikalen Ambiente und dem ursprünglichen Kneipenkonzept mit Getränken und kleiner, begleitender Speisekarte sind es, die den Tonkrug für viele zu einer Art zweitem Zuhause hat werden lassen. „Wir haben Gäste, die sind die Kinder von Paaren, die sich im Tonkrug kennengelernt haben“, berichtet Riccardo Martini.
Studenten, die für die Hochschule die Stadt verlassen, treffen sich hier für ein Wiedersehen. „Das ist der Unterschied zwischen Großstadt und Heimat: Hier wirst du in deiner Kneipe begrüßt“, sagte einst eine solche Heimkehrerin zu dem Wirtspaar. Er ist fast schon so etwas wie eine erweiterte Familie für Stammgäste geworden.
Lesen Sie auch: Das weiße Ross: So hat das älteste Gasthaus Wittgensteins bis heute überlebt
„Man kann schon sagen, dass wir etwa 80 Prozent unserer Gäste persönlich kennen“, schätzt Bettina Martini. Früher, als Bad Berleburg noch wesentlich mehr Kurgäste hatte als heute, kamen viele von ihnen in den Tonkrug. „Da gab es sogar ein Kurtaxi, das regelmäßig Gäste gebracht und geholt hat“, erinnert sich Riccardo Martini. Heute sind es hauptsächlich Einheimische, die in die Kneipe kommen.
Die Martinis bewirten mittlerweile mehrere Generationen – 1996 übernahm das Ehepaar, das zu dem Zeitpunkt gerade erst eine Familie gegründet hatte, den Tonkrug in der historischen Bad Berleburger Oberstadt. „Wir waren eigentlich schon drauf und dran, aus Bad Berleburg weg zu ziehen“, blickt Bettina Martini zurück.
Doch dann stand das nach dem Stadtbrand 1825 erbaute Gebäude zum Verkauf und für die Martinis war klar: Sie wollten die Wirtschaft wiederbeleben. „Wir waren sofort in den Laden verliebt.“ Die verwinkelten, rustikalen Räumlichkeiten sprachen das Ehepaar an, sie behielten den historischen Charme bei – und zu diesem Flair kehrten sie auch wieder zurück, nachdem das Erdgeschoss des Gebäudes im Jahr 2004 durch Brandstiftung komplett ausbrannte. „Wir haben alles wieder so hergerichtet, wie es vorher war“, so die Martinis.
Zurück zum zum rustikalen Ambiente
Es gab auch Vorschläge, ein modernes Bistro daraus zu machen – das aber lehnten sie entschieden ab und gestalteten den Gastraum wieder genau so, wie ihn die Gäste kannten und liebten. Der Gedanke, mit der Bewirtschaftung des Tonkrugs aufzuhören, kam dem Paar nach dem Feuer zu keinem Zeitpunkt. Es war klar, dass sie ihn wieder aufbauen und weiter machen.
Lesen Sie auch: Kneipe Haus Six in Feudingen: „Eine für alle, alle für eine“
Die Gäste haben es ihnen gedankt: Die Kneipe ist nach wie vor eine der Anlaufstellen in Bad Berleburg, um gemeinsam ein Bierchen zu trinken. Durch die Pandemie mussten aber auch die Martinis – wie viele andere in der Gastronomie – Einschränkungen in Kauf nehmen. „Wir haben die Theke als Sitzbereich vorerst geschlossen, die Gäste können derzeit nur an den Tischen sitzen“, so Riccardo Martini. So könne besser Abstand gehalten werden und auch die Kontrolle der Impfnachweise sei so einfacher. Sobald die Pandemie vorbei ist, wird auch die Theke wieder freigegeben.
Stammgäste mit Hingabe
Einige Stammgäste machen ihre Zuneigung zum Tonkrug ganz besonders deutlich: Neben dem großen Gedichtband, der nach wie vor griffbereit in der Kneipe ausliegt, hat sich auch eine Thekenmannschaft formiert. Außerdem gibt es hier noch einen traditionellen Sparclub. Jeder der beteiligten Gäste hat sein eigenes Fach, in dem er Geld sammelt.
Am Ende des Jahres wird davon dann ein Betrag abgezogen, womit eine gemeinsame Feier finanziert wird. Der Rest des gesparten Geldes geht an den Gast zurück. Und auch das Liebeslied, das auf den Tonkrug gedichtet wurde, darf nicht vergessen werden: „Das Lied spiele ich immer, kurz bevor wir abschließen. Das ist unser Feierabendlied“, so Riccardo Martini. In diesem Sinne: „Du bist der heiligste Ort und bewegst dich niemals fort. Du bist das wichtigste an mir, Tonkrug, dafür dank’ ich dir! Oh Tonkrug, ich liebe dich so sehr. Oh Tonkrug, ohne dich wär’ ich so leer.“