Feudingen. Erika Haar hat dem Haus Six in Feudingen wieder Leben und Charme eingehaucht. Darüber freuen sich vor allem die Fußballer des SV Feudingen.

Die Spardose in Gestalt eines blau-schwarzen Fußballs zählt im Haus Six zu den besonderen unter vielen Deko-Stücken, zumindest für Pächterin Erika Six. Die kleine Frau mit den platinblonden Haaren, der kräftigen Schminke und hohen Schuhen verweist auf die begleitende Karte, die sie zur Geldspende von den Fußballer des SV Feudingen erhielt. „Einer für alle, alle für einen einen“, heißt es darauf. Die Geste habe ihr viel bedeutet, weil die lange Schließung sowohl finanziell als auch moralisch eine Riesenbelastung darstellte: „Es war eine Zeit, in der man dachte, dass einen jeder vergessen hat.“

Der Leitspruch auf der Karte ist nicht einfach so dahingeschrieben. Mit „Eine(r) für alle“ hat Haar vorgelegt, als sie 2017 dem Haus Six nach einigen Jahren Pause wieder Leben einhauchte und mit ihrer Schwester die Einrichtung neu gestaltete. Die Darts-Scheiben haben sich zwar nicht etabliert, wohl aber der Billardtisch, die Jukebox und der Einbau eines Fernsehers, etwa für Sportübertragungen. Mehr Spelunke als Gaststätte sei die traditionsreiche Fachwerk-Kneipe in der Ortsmitte zuvor viele Jahre lang gewesen, sagen die Feudinger, die froh sind, nun zumindest noch einen Anlaufpunkt zu haben. Seit der Schließung der „Alten Post“ („Seppel“) ist das Haus Six die einzige klassische Kneipe im oberen Lahntal.

Das Haus Six, heute von Pächterin Erika Haar betrieben, ist Gründungsort des SV Feudingen. Aus diesem Anlass wurde im Sommer zur Erinnerung eine Schiefertafel angebracht.
Das Haus Six, heute von Pächterin Erika Haar betrieben, ist Gründungsort des SV Feudingen. Aus diesem Anlass wurde im Sommer zur Erinnerung eine Schiefertafel angebracht. © Unbekannt | Verein

„Es ist keine hochprofessionelle Arbeit, aber wir haben mit Herz und Seele gearbeitet und die Menschen mögen es“, sagt Erika Haar, die gelernte Hotelfachfrau und seit rund 40 Jahren in der Branche aktiv ist. „Ich dachte, bevor ich in Rente gehe, versuche ich mal, die eigene Geige zu spielen. Hier mochte ich das Ambiente“, erzählt die 65-Jährige, die gebürtig aus Ungarn kommt und inzwischen vom hessischen Mandeln auch ihren Wohnsitz nach Feudingen verlegt hat, wie alles anfing.

Rote Karte für rechte Parolen

„Eine Kneipe ist vom Gefühl her immer eine familiäre Sache. Auf dem Dorf gehört sie zur Idylle dazu“, schildert Haar die Philosophie ihres Ein-Frau-Betriebs, in dem sie alle Arbeiten selbst erledigt. Das ist nicht immer einfach, doch die Wirtin weiß sich durchzusetzen. Besucher, die rechte Parolen und andere extreme Positionen vertraten, hat sie schon vor die Tür gesetzt. „Die störenden Elemente habe ich jetzt alle draußen“, ist Erika Haar froh. Wer alleine eine Kneipe betreibe, müsse früh gegensteuern.

Kein WLAN: Das direkte Gespräch steht im Haus Six im Vordergrund.
Kein WLAN: Das direkte Gespräch steht im Haus Six im Vordergrund. © Unbekannt | Florian Runte

Konflikte und verschiedene Positionen im normalen Rahmen gehören an der langen Holztheke für sie aber dazu: „Ich wollte einen Ort, wo die Leute zusammenkommen, miteinander sprechen und ihre Meinungen nicht nur am Computer austauschen. Im Moment geht es fast immer um Corona.“

Und die Sportler? Den Ort an dem ihr Verein vor 100 Jahren gegründet worden ist, haben die SV-Fußballer wieder zum Vereinslokal erkoren, jeden Sonntag kehren sie am frühen Abend vom Tannenwaldstadion aus oder nach den Auswärtsspielen hier ein. Eine derartige Verbindung ist selten geworden. Der FC Ebenau hat den „Sheriff“, ansonsten setzen die Vereine vielfach auf ihre eigenen Vereinsheime.

Beim SV Feudingen sind sie indes froh, wenn an den langen Heimspiel-Sonntagen, die teils von 11 bis 19 Uhr mit vier Spielen vonstatten gehen, irgendwann der Schlüssel umgedreht werden kann. Dann zieht es die Sportler gerne ins Dorf. „Es ist einfach gemütlich bei ihr. Erika ist einfach super, bei ihr fühlt man sich wohl“, sagt Frank Filipzik, Vorsitzender des Vereins: „Und es gehen auch ältere Leute hin, nicht bloß die aktiven Fußballer.“

Ohne die Verbindung zwischen den Vereinssportlern würde sich das Lokal womöglich gar nicht tragen. Sonntags öffne sie meist nur wegen der Fußballer, sagt Haar, die auch sonst nur am Wochenende oder auf Anfrage außer der Reihe öffnet, weil an normalen Werktagen kaum jemand komme. Nebenbei ist die Feudingerin deshalb in einer Familienbetreuung beschäftigt, in der Hauptsache sie sei aber Wirtin.

„Meine Söhne“ oder „die Jungs“ nennt Haar die Fußballer, bei denen sie meist eine Halbzeit am Sportplatz verfolgt, ehe sie die Kneipe startklar macht. „Sie diskutieren hier richtig über ihre Spiele und dazu, was sie vielleicht anders machen können. Und dazu, was sonst im Leben passiert.“ Es gebe lustige Abende und traurige Abende, oft abhängig vom Ergebnis. Die Wirtin muss manchmal trösten und manchmal gibt sie einen aus, wenn die Euphorie besonders groß ist. „Ich bin immer dabei, das ist wie bei einer Familie.“

Keine normalen Zeiten

Um den Fortbestand ihrer kleinen Kneipe bangt Haar aber. Das Sommergeschäft ist schwierig, weil sich die Immobilie und ihr Umfeld für eine Außengastronomie nicht anbietet. Vor allem aber, weil die aktuelle Verschärfung der Kontaktbeschränkungen den wirtschaftlichen Betrieb der Kneipe einmal mehr deutlich erschwert.

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. © Unbekannt | peter kehrle

Aktuell könne sie im Zuge der seit Dienstag gültigen Coronaverordnung nur zehn Personen gleichzeitig bewirten. „Zehn Gäste sind aber besser als kein Gast“, gibt sich die Ungarin kämpferisch, eine vorübergehende Schließung sein keine Option. „Was ein Normalzustand ist, kann ich gar nicht sagen. Erst war es ein mühsamer Aufbau, jetzt haben wir gefühlt seit Ewigkeiten Corona. Ich will die Kneipe wenigstens eine Zeit lang in einer normalen Zeit führen.“

Kneipen-Serie

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