Bad Berleburg. Riccardo Martini steht seit 20 Jahren hinter dem Tresen des „Tonkrugs“ – als Wirt und Vertrauensperson.

Rockmusik aus den 70er und 80er-Jahren dringt aus den Lautsprechern, Lynyrd Skynyrd singt seinen Klassiker „Sweet Home Alabama“ – gerade so laut, dass die Füße im Takt mitwippen; und dennoch so leise, dass sich die Gäste ohne erhobene Stimme unterhalten können. Grüne Lampenschirme hängen von der Fachwerk-Decke und tauchen das frisch gezapfte Pils im Krombacher-Glas in ein goldenes Licht. Die Bank aus Kiefernholz ist angenehm gepolstert, die roten Platzdeckchen und Teelichter verleihen dem Esstisch einen robusten Charme. „Möchtest du vielleicht noch ein Radler?“, fragt Bettina, als das Bier auf dem Tisch langsam zur Neige geht. Sie ist momentan für den Thekenbereich und Service zuständig, ihr Mann und Chef vom „Tonkrug“ Ricky schwenkt gerade Spätzle in der Pfanne.

Die Berleburger kennen den „Tonkrug“ – und vor allem ihren „Ricky“, Riccardo Martini. Seit mittlerweile 20 Jahren betreibt er zusammen mit seiner Frau die Kneipe in der Kernstadt. Zapfen, kochen, sprechen, zuhören, lachen: Von Dienstag- bis Samstagabend ist Ricky nicht nur einfacher Gastwirt, sondern auch Gesprächspartner hinter dem Tresen. Da bekommt man doch sicher die ein oder andere persönliche Geschichte mit, oder? „Natürlich öffnen sich die Leute nach der Zeit und erzählen mir auch schon mal von ihren Problemen. Gerade Kurgäste, die nur für kurze Zeit in der Stadt sind, vertrauen sich mir dann schon mal an“, erzählt Ricky. Ein offenes Ohr und Diskretion gehören zu seinem Job, genauso wie die Kompetenz am Zapfhahn oder am Herd.

Salatteller statt Schweinshaxe

Der Blick in die Speisekarte überrascht erstmal: Statt deftiger Hausmannskost gibt’s hier zum Beispiel Steaks vom Lavasteingrill, bunte Salatteller oder verschiedene Variationen von Ofenkartoffeln. Wer Ricky näher kennenlernt, findet es dann allerdings auch nicht mehr verwunderlich, dass seine Kochkünste über einen „Strammen Max“ hinausgehen: „Meine Oma hatte damals schon den ‚Ederblick‘ geführt, mein Vater ist ein bekannter Gastronom hier in Berleburg. Ich selbst habe eine Kochausbildung nach der Schule gemacht. Ich denke, das wurde mir mehr oder weniger in die Wiege gelegt“, sagt Ricky. Sein Vater, Mario Martini, gilt als Gastronomielegende.

In Südafrika geboren

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Obwohl Ricky in Südafrika geboren wurde und auch einen Teil seiner Kindheit dort verbracht hat – die Eltern waren aus beruflichen Gründen Anfang der 60er-Jahre dorthin ausgewandert – hat er nie ganz die Verbindung zu Wittgenstein verloren. Schuld ist, na klar, die Liebe. Bettina als „Ur-Witti“ konnte Ricky schließlich restlos von der Berleburger Mentalität überzeugen. Anfangs vielleicht verhalten, aber treu, ehrlich und neugierig. „Unser Publikum ist bunt gemischt. Hier kommen sowohl Jugendliche hin, die wir um 0 Uhr nach Hause schicken, als auch der Ü70-Stammtisch, der hier seinen Skat-Abend ausklingen lässt“, meint Ricky. Es hat ein bisschen den Charakter eines Generations-Dialogs, verteilt auf 150 Quadratmeter und 60 Sitzplätze. Denn schließlich wollen sie alle das gleiche: einfach eine gute Zeit im „Tonkrug“ verbringen.

Ein bisschen fühlt es sich so an, als ob die Zeit in dem knapp 200 Jahre alten Fachwerkhaus an der Hochstraße stehen geblieben wäre; ohne dabei altmodisch oder überholt zu wirken. Liegt das an den Holzvertäfelungen an den Wänden? An dem offenen Kamin neben dem Tresen?

Der „Tonkrug“ ist ein beliebtes Ziel sowohl für die junge Generation als auch für das ältere Semester.
Der „Tonkrug“ ist ein beliebtes Ziel sowohl für die junge Generation als auch für das ältere Semester. © Britta Prasse

„Wir haben uns extra gegen einen Fernseher hier drin entschieden, der würde nur die Atmosphäre zerstören und von den Gesprächen ablenken“, erzählt Ricky. Richtig, einen Fernseher findet man hier nicht! Und seltsamerweise auch keine Gäste, die gebannt auf ihr hell erleuchtetes Handy-Display starren.

Stattdessen prosten sich gut gelaunte Menschen in der Runde zu oder schauen ihrem Liebsten in die Augen, während sie mit dem Zeigefinger an dem Weinglas entlangfahren. Ricky selbst ist bestes Vorbild für diesen digitalen Verzicht: „Ich hab‘ kein Handy, das ging ja früher schließlich auch. Und wer mich erreichen will, kann das auch hier im Tonkrug, per Telefon oder persönlich.“

Kult-Treffpunkt zum Mitwippen

Bis etwa 3 Uhr kann hier jeder, ob Arzt, Verkäufer, Rentner – oder auch Zeitungsleute – zur Musik mitwippen und sich bei dem ein oder anderen Bierchen unterhalten. Der „Tonkrug“ ist gelebter Kult in Bad Berleburg, allein seine Facebook-Seite hat an die 700 Fans. Und die Reaktionen im Gästebuch sprechen für sich: „Der Tonkrug ist wie ein zweites Zuhause in Bad Berleburg, das Team ist einfach wunderbar und liebenswert“ und „Tolles Essen, tolles Trinken, einfach ein tolles Erlebnis. War, bin und werde immer gerne hier sein“. Die gemütliche Kneipe hat sich zur Institution gemausert; Stammgäste wissen das, Zugezogene bekommen die Kneipe der Martinis als ersten Tipp an die Hand, wenn sie abends weggehen möchten. Wie passend, dass gerade das Lied „Celebration“ von „Kool and The Gang“ gespielt wird…