Siegen/Erndtebrück. Ein Gutachter hat die 57-jährige Erndtebrückerin eingehend untersucht, weil auch eine Einweisung in eine Psychiatrie im Raum stand.

Es ist ein seltsames Erwachen für den 60-jährigen Mann aus Erndtebrück. Er hat sich müde auf die Couch gelegt und schreckt schlagartig aus dem Schlaf, weil er zwei Schläge auf den Kopf spürt. Er öffnet die Augen und sieht seine Frau. Mit einem Messer in der Hand. Er springt auf, fühlt, dass ihm Blut am Gesicht herunterfließt und läuft ins Bad. Mehr eine Flucht. Nicht zum ersten Mal in der fast 20 Jahre währenden Ehe. Die Verbindung wurde 2019 geschieden. Jetzt steht seine Ex-Frau wegen Körperverletzung und Bedrohung vor der Strafkammer. Weil am 29. November 2018 mit einem Hammer zugeschlagen und mit einem Messer gefuchtelt und „Ich steche Dich ab“ gerufen haben soll.

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Im September 2020 sollte die Sache eigentlich bereits erledigt sein, beginnt die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht in Bad Berleburg. Die Gutachterin sieht allerdings Anhaltspunkte für eine mögliche Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung. Der Fall wird ans Landgericht abgegeben. „Eine zwingende Entscheidung“, betont die Kammervorsitzende Elfriede Dreisbach am Dienstagmorgen. Wobei kurz nach der Mittagspause ebenso zwingend feststeht, dass dieser Kelch an der Angeklagten (57) vorbeigehen wird. Nervenarzt Dr. Bernd Roggenwallner stellt weder eine psychiatrische Erkrankung fest, noch einen aktuellen Hang zum Trinken von Alkohol. Die Sucht hat in der Vergangenheit und auch bei der Tat eine Bedeutung gehabt. Nun aber ist die Frau aus Wittgenstein seit Oktober „trocken“. Damit entfällt ebenfalls eine mögliche Einweisung in eine Entzugseinrichtung.

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Vor allem hat der Gutachter keine Gefahr erkennen können, die aktuell von der Angeklagten ausgehe. Sie habe die Tat gestanden, sich mit ihrem früheren Mann ausgesöhnt. Der Vorfall sei auf die Wohnung der beiden beschränkt gewesen, es gebe keine Vorstrafen und seither auch nichts mehr.

„Ich wollte ihm wehtun“, sagt die Angeklagte nach Verlesung der Vorwürfe. Umbringen habe sie ihren damaligen Mann aber nicht wollen. „Ich muss wohl in den Keller gegangen sein und den Hammer geholt haben“, erklärt sie, sich daran nicht erinnern zu können. Sie hatte gut 1,5 Liter Wein intus, hochgerechnet 2,47 Promille zur Tatzeit. Dazu auch noch Medikamente eingenommen. Gut 180 Tabletten pro Woche müsse sie schlucken.

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Was sie noch weiß: „Ich habe einmal mit der flachen Seite auf seinen Kopf geschlagen. Dann noch mal, weil er es nicht gemerkt hat.“ Dann will sie das Blut gesehen und einen Schock gehabt haben. In der Beziehung sei schon länger einiges schief gelaufen. Er wollte sich scheiden lassen, sie ihn daran hintern. Obwohl ihr klar gewesen sei, „dass er es wirklich mit mir ausgehalten hat lange Zeit“. Es sei nicht einfach mit ihr gewesen. Drei Wochen habe sie nichts mehr getrunken, ihn dann aber gebeten, wieder Wein mitzubringen. Dann sei es wieder einmal zum Streit gekommen. Ob sie „Ich steche Dich ab“ gesagt hat, erinnert die Angeklagte nicht mehr. Der Geschädigte hat es angegeben. „Wenn er es gesagt hat, wird es stimmen“, nickt sie. Aber eigentlich sei das Messer zu ihrem Schutz gewesen. Es habe einige ähnliche Vorfälle gegeben, „danach hat er mich am Kragen gepackt und gewürgt“.

Drei Suizidversuche

Die Frau versuchte noch in der Nacht, sich zweimal im Bad das Leben zu nehmen, mit Wasser in der Wanne und einem Föhn sowie später Rasierapparat in der Hand. Dann schnitt sie sich noch in den Unterarm. „Da war viel Blut“, berichtet später eine Polizistin. Der Ehemann verhinderte alle drei Suizid-Versuche.

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Die Angeklagte hat bis zur ihrer ersten Ehe ein ziemlich normales Leben geführt. Wenngleich es Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit gab, die auch die dritte Lebenspartnerschaft belastet hätten, wie ihr Ex-Mann berichtet. „Das kam hoch und sie hat drei Tage nur geweint. Und getrunken“, sagt er und berichtet von seiner Verzweiflung, nicht helfen zu können. Er habe vieles gewusst am Anfang, aber gedacht, ihr Vertrauen und Hilfe geben zu können. Der weitere Lebensweg der Wittgensteinerin sei „ein Abnutzungskampf gewesen, formuliert der Sachverständige. Zwei gescheiterte Ehen mit drei Töchtern, die immerhin alle ein erfolgreiches Leben führten. Allerdings auch vom Trinken und der aggressiven Ausfälle der Mutter bis heute gezeichnet sind. Irgendwann begann eine wahre Kette von Krankheiten, die viele Klinikaufenthalte mit sich brachten. Dazu der Alkohol ab Ende der 90er Jahre, als sich die alleinerziehende Mutter in jeder Hinsicht überfordert fühlte und „etwas zum Runterkommen“ brauchte. Ihr dritter Mann half, konnte aber eben irgendwann auch nicht mehr, wie er mit hörbarem Bedauern feststellt. Er tut alles, um die Angeklagte nicht zu sehr zu belasten. Zwei Polizisten unterstreichen, dass die Frau aus ihrer Sicht mit Hammer und Messer deutlich mehr hätte anrichten können, wenn sie denn wirklich Absichten für schlimmere Verletzungen gehabt hätte. Das sei wohl eher ein Hilferuf gewesen.

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Direkt nach der Tat kam die Frau in die Psychiatrie, hat inzwischen auch auf eigene Initiative eine Reihe von Therapien gemacht, befindet sich in ambulanter Behandlung. „Sie ist auf einem guten Weg“, glaubt die älteste Tochter, die nach dem Vorfall Abstand suchte, jetzt wieder langsam auf die Mutter zugeht. Sie und ihre jüngste Schwester haben sich ein paar Wochen vor der Tat um eine Betreuung bemüht, berichten von zahlreichen Suizidversuchen der Angeklagten, von Schubsen und Tritten gegen die Kinder und ihren Stiefvater, wenn sie keinen Alkohol hatte. Sie habe schon sehr unangenehm werden können, ohne direkt zu schlagen. Die Angeklagte hat ähnliches vorsichtig auch selbst erzählt. Heute fühle sie sich besser: „Ich kann mich wieder selbst annehmen.“

Am Donnerstag geht es weiter.