Bad Berleburg. Eine Mitarbeiterin soll 720 Euro veruntreut haben – bei der Verhandlung kommt ans Licht, wie lax in dem Discounter mit der Kasse umgegangen wird.
So etwas habe sie ja noch nie erlebt, war Oberamtsanwältin Judith Hippenstiel nach der Verhandlung am Freitagvormittag im Bad Berleburger Amtsgericht noch vollkommen baff. Dabei musste sich eine 29-jährige ehemalige Mitarbeiterin eines Discounters in Bad Berleburg wegen Veruntreuung von Geld aus ihrer Kasse verantworten. Die Informationen über die Zustände in dem Discounter ließen dabei nicht nur Hippenstiel mehr als verdutzt zurück.
Der Vorwurf
720 Euro – das ist die Summe, um die es sich bei der Verhandlung im Amtsgericht am Freitagvormittag drehte. Das Geld verschwand am 30. Oktober 2020 aus der Kasse der Angeklagten.
Ihr wurde vorgeworfen, das Geld selbst abgeschöpft und verschwinden lassen zu haben. Die 29-Jährige jedoch wehrte sich gegen die Vorwürfe: Es sei bereits des Öfteren zu Mobbing gegen sie gekommen, das Geld habe eine ihrer Vorgesetzten aus ihrer Kasse abgeschöpft – dann habe man sie mit dem Fehlbetrag angeschwärzt und behauptet, sie habe das Geld selbst entwendet.
Die Verteidigung
„Vor Schichtbeginn meldet sich jeder Kassierer mit seiner Kasse an und hebt mit seiner Personalnummer und Pin Wechselgeld für die Kasse aus dem Tresor ab“, erklärte die 29-Jährige. Das seien jeden Tag 720 Euro in Scheinen und Hartgeld. Ihre Vorgesetzte sei am Nachmittag des Tattages zu ihr gekommen, um bei ihrer Kasse 720 Euro abzuschöpfen – das sei durchaus üblich, so die Angeklagte, um eine Differenz in der Kasse auszugleichen. Jedoch habe sie sich gewundert, dass ihre Vorgesetzte, eine Vertreterin der Filialleitung, ihren Arbeitstag zuvor ohne Geld in der Kasse angetreten habe, wie sie es ihr gegenüber behauptet habe: „Sie hat sich angemeldet und es kam kein Geld aus dem Tresor.“
Weitere Unstimmigkeiten
Dass das Geld fehlte, fiel überhaupt erst auf, nachdem der Bezirksleiter das Geld im Tresor nachzählte – mehrere Tage nach dem Vorfall. Dies tat er, weil Unstimmigkeiten mit den Stornos und Retouren auffielen.
Ein großer Teil aller Retouren und Stornos sei auf die Angeklagte zurückzuführen. Ein Storno sei besonders auffällig, das Geld sei nie angekommen. Stornos und Retouren sind fast ausschließlich mit Schlüssel möglich.
Wenn sie von einer Vorgesetzten aufgefordert werde, das Geld auszuhändigen, würde sie das auch tun, verdeutlichte die 29-Jährige. Nur: Es gibt keinen Nachweis, keine Quittung, wer das Geld aus der Kasse genommen habe und was damit geschehen sei. Nur eins ist klar: Am Ende des Arbeitstages sind die 720 Euro aus der Kasse der Angeklagten nicht wieder im Tresor gelandet. Allein hätte sie das Geld aber gar nicht abschöpfen können, so die Angeklagte – dies sei nur mit einem speziellen Schlüssel möglich, und den trage nur die Filialleitung bzw. eine Vertretung mit sich.
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Die erwähnte Vorgesetzte als auch die tatsächliche Filialleiterin können sich jedoch nicht erinnern, der Angeklagten an diesem Tag mit dem Schlüssel die Kasse abgeschöpft zu haben. Ob besagte Vorgesetzte zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch im Markt gearbeitet habe, ließ sich ebenfalls nicht nachvollziehen – die Arbeitszeiterfassung erfolge handschriftlich und auf Vertrauensbasis. „Es ist schon merkwürdig, dass einer der größten Discounter so antiquiert organisiert ist“, so Hippenstiel.
Der Schlüssel
Für noch größeres Entsetzen sorgte die Offenbarung der Filialleiterin, dass es irgendwo noch einen Ersatzschlüssel gebe – und der werde mit Tesafilm in einem Spind klebend aufbewahrt. Dieser Spind sei nur mit einem Zahlenschloss gesichert, dessen Code schon seit längerer Zeit nicht mehr geändert wurde und im Regelfall nur der Filialleitung und den Vertretern bekannt sei.
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„Also kann sich jeder, der den Code kannte, des Schlüssels bemächtigt und damit die Kasse abgeschöpft haben“, schlussfolgerte die Oberamtsanwältin. Dieser Schlüssel sei auch ständig abhanden gekommen, man wisse nie so richtig, wo er sei oder wer ihn bei sich trüge, wurde aus den Aussagen deutlich. Dass die Angeklagte den Schlüssel gehabt haben könnte, konnte so auch nicht nachgewiesen werden. Zum Schluss hieß es also: „Im Zweifel für die Angeklagte“ – und die 29-Jährige wurde freigesprochen.