Fischelbach. Der ehemalige Leiter des Forstamtes Siegen-Wittgenstein spricht über den Klimawandel und das, was nach dem Borkenkäfer kommt.

Vor einem Jahr wurde Diethard Altrogge pensioniert. Aber losgelassen hat den ehemaligen Leiter des Regionalforstamtes Siegen-Wittgenstein das Thema Wald nicht. Wir treffen den Forstdirektor a.D. zuhause in seinem Forsthaus in Fischelbach, um mit ihm über die aktuelle Entwicklung in Wittgensteins Forstwirtschaft, Zukunftsperspektiven, Waldprämie und Windkraft zu sprechen. Für Altrogge ist klar: „Es gibt eine Zeitenwende im Wald“.

Herr Altrogge, sie haben sich über 40 Jahre lang mit dem Wald beschäftigt. Was fühlen Sie, wenn Sie aktuell auf die kranken oder bereits abgeholzten Bestände schauen?

http://Hilchenbacher_Forstamt-_Diethard_Altrogge_geht_in_Ruhestand{esc#228876761}[news]Diethard Altrogge Sehe ich diese Wälder, werde ich ganz nachdenklich. Dabei bin ich auf diesen kleinen genetischen Code „Corona“ gestoßen und habe festgestellt, dass es da so viele Parallelen gibt. Covid ist das Ergebnis einer Zoonose. Der Mensch ist so nah an die Tierwelt herangerückt mit seiner Ausbreitung bei der Waldzerstörung in Europa und den Tropen und auch seinem Umgang mit Tieren -- Massentierhaltung, Fleischkonsum. Unsere ganze globalisierte Lebensform, hat dazu geführt, dass AIDS, Masern, Vogelgrippe oder Ebola auf den Menschen übertragen worden sind. Wir haben uns so ausgedehnt, dass das möglich wurde.

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Und das ist mit dem Wald vergleichbar?

Nicht ganz. Aber unsere Lebenshaltung, unser Konsum und das immer stärkere Verbrauchen von Energie, unsere Technisierung, haben dazu geführt, dass der Klimawandel voranschreitet, den der Club of Rome bereits vorhergesagt hat. Dem Klimawandel mit den Stürmen, der Trocknis, dem Käfer und den Pilzen, die der Käfer durch seine Gänge mit einschleppt, haben wir dieses Bild da draußen zu verdanken. Das sind Parallelen zu Corona. Und der Wald zeigt uns jetzt, dass das System völlig überlastet ist.

Aber zurück zur Eingangsfrage, was bedeutet das für sie als pensionierten Förster?

Ich habe ganz große Achtung vor den jetzt aktiven Kollegen. Viele sagen mir, dass sie das kaum noch mitansehen können. Da sind Kollegen dabei, die über 30 Jahre den Wald bewirtschaftet haben, neue Waldbaukonzepte angewendet haben, Mischwälder aufgebaut haben und jetzt erleben müssen, wie alles dahingerafft wird. In den Mischbeständen ist es nicht so schlimm wie in den Fichtenreinbeständen, weil da andere Baumarten, Vorbauten und Naturverjüngung vorhanden sind, aber mit dem Altholz hatten die Kollegen etwas ganz anders vor.

Das sollte das Geld für den Waldumbau bringen…

Ja klar!

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Für Waldbesitzer ist es die größte Krise seit dem Orkan Kyrill. Innerhalb von nicht einmal 15 Jahren sind Existenzen vernichtet worden. Hat das Betriebsmodell Forstwirtschaft in Südwestfalen überhaupt Zukunft?

Doch, Forstwirtschaft hat Zukunft! Aus einem einfachen Grund: Gehen wir mal ein Stück in der Geschichte zurück, als hier in Wittgenstein die Buchenwälder abgeholzt und zu Holzkohle für die Eisenhütten im Siegerland verarbeitet wurden. Damals kamen die schnell wachsenden Baumarten hinterher – mit der Idee, danach wieder Buche anzupflanzen. Später merkte man: Das ist ja super mit der Fichte. Louis Reuß hat man dafür in Bad Laasphe ein Denkmal gesetzt. Das war der Wandel von der Buche mit Brennholznutzung, Vieheintrieb und Laub als Stalleinstreu hin zu einer anderen Baumart. Und die Fichtenbestände, die jetzt gerade geschlagen und verladen werden, sind zum Teil im Krieg oder kurz nach dem Krieg aufgeforstet worden, weil der Hunger nach Holz groß war. Dieser Hunger ist nach wie vor da.

Wie soll dieser Hunger bedient werden?

Ich bin mir mit vielen Forstleuten einig, dass wir in diesem Raum mit der Fichte kaum noch etwas machen können. Es gibt noch Standorte, wo Fichte wachsen wird, oder vereinzelt und in Mischung. Wir brauchen einen Baumartenwechsel aus Klimagründen und wir müssen die Holz- und Forstwirtschaft sowie die Wissenschaft auf diesen Baumartenwechsel einstreben. Es werden Buche und Eiche und andere werden. Wir müssen mit den Sägern ran und neue Wege aufmachen.

Was ist mit dem Naturschutzgedanken?

Der Naturschutz will möglichst viel Stilllegung und möglichst viel Wildnis. Damit kriegen sie keinen Waldbesitzer hinter dem Ofen weg. Die sind auf das Geldverdienen angewiesen. Aber die öffentlichen Waldbesitzer – Kommune und der Staat - sind hier in der Verpflichtung. Das heißt, wir haben eine schwere Aufgabe vor uns: Wir müssen mit der Industrie und mit der Wissenschaft Verwendungsbereiche für die neuen Baumarten erarbeiten. Das geht auch, das ist ja vor 70 Jahren mit der Fichte auch gegangen. Damals war alles auf Buche eingestellt.

Da habe ich direkt wieder eine Frage: Eichenbalken kenne ich. Aber mir ist Buche nicht als Bauholz bekannt?

Buche kann man zum Beispiel zu wunderbaren Leimbindern verarbeiten.

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Wie kann man wirtschaftliche Erträge noch sichern?

Ich haben einen Freund, einen ehemaligen Forstamtsleiter, der in seinem eigenen Betrieb im Sauerland nach Kyrill ganz auf Fichte verzichtet hat und mit Strobe, Douglasie und Tannenarten gearbeitet hat. Er hat sie forstlich so behandelt, dass er nach 15 Jahren die ersten Erträge hatte. Das heißt, wir müssen in kürzeren Intervallen nutzbare Sortimente hinbekommen, die wir vermarkten können. Wir sind aber auch gut beraten, wenn wir auf Mehrschichtigkeit und verschiedene Baumarten setzen. Und wenn dann nach 30 Jahren die ersten Erträge fließen, dann werden auch Naturschützer nichts sagen, weil die Walddynamik und die Waldbilder erhalten bleiben.

Dann ist aktuell die Rede von Prämien für Waldbesitzer…

Eine dauerhafte CO2-Prämie oder Waldprämie pro Hektar und Jahr, gestaffelt nach der Art der Bewirtschaftung und Berücksichtigung ökologischer Aspekte ist dringend notwendig, als Belohnung für erhebliche Leistungen für die Allgemeinheit wie der Wasserreinhaltung, der Sauerstoffproduktion, dem Erholungswert und dem CO2-Speicher, den der Waldbesitzer bislang kostenlos zur Verfügung stellt.

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Wenn Waldbesitzer mit ihren Flächen keine Erträge mehr erwirtschaften, stattdessen aber weiter laufende Kosten haben, könnte es zu einer Verkaufswelle kommen. Welche Chancen und Risiken sehen Sie darin?

Die meisten werden nicht verkaufen. Im ländlichen Raum in Wittgenstein, dem Siegerland oder dem Sauerland ist das wirklich so: Der Wald in privater oder genossenschaftlicher Hand ist hoch emotionalisiert. Die sagen, ‘das ist ein Stück Wald, das ich vom Opa habe’, oder ‘wir sind seit 100 Jahren Genossenschaftsmitglied. Das geben wir nicht auf.’ Dazu kommt in Kürze die direkte Förderung seitens der Forstverwaltung. Das heißt, die Forstämter werden nur noch für tatsächlich getätigte Arbeiten bezahlt. Die Angst vor einer Verkaufswelle sehe ich nicht, aber natürlich laufen Einzelverkäufe.

Bis neu angepflanzte Flächen wirtschaftlich erste Erträge liefern, gehen Jahre ins Land. Deshalb wird der

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Ruf nach Windkraft im Forst lauter denn je. Wie schätzen Sie diese Situation ein?

Ja, man muss nur den Naturschutz und die Bevölkerung beteiligen, dann kann das ein wunderbares Ziel sein. Ich bin ein großer Anhänger davon, weil wir von fossilen Energieträgern wie Öl, Kohle und Gas wegkommen müssen, die den Klimawandel forcieren. Und wenn wir hier auf den Höhenzügen Wind haben, warum nicht? Ich habe alte Bilder aus dem Siegerland im Forstamt gehabt, da steht auf jedem Höhenzug alle paar Meter ein Förderturm und fördert Eisenerz. Daneben riesige Halden und alles völlig entwaldet. Dagegen sind einige Windräder doch völlig tolerabel.

Der Klimawandel ist eine der Ursachen für die Dürre und den Käferbefall: Aber welche Auswirkungen haben die abgeholzten Flächen auf Fauna, Flora und Klima?

Das hat riesige Auswirkungen. Der Lebensraum für Tiere, Pflanzen und Pilze fehlt. Die CO2-Bindung ist ohne Bäume geringer. Dann sind Wälder die größten Wasserpumpen der Welt. Die Funktion für den Wasserhaushalt ist weg. Diese Flächen produzieren auch weniger Sauerstoff. Dazu kommt die ungeheure Bedeutung der Wälder für die Erholung, die Seele und das Wohlfühlen. Das alles funktioniert nur in Wäldern mit viel Altholz.

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Naturverjüngung war immer auch ein Stichwort in der Waldbewirtschaftung: Welche Pflanzen rücken nach, wenn von den Flächenbesitzern auf den Freiflächen nicht eingegriffen wird?

Naturverjüngung funktioniert nur, wenn wir das Thema Wald und Wild in den Griff bekommen. Hirsche und Rehe fressen uns alles von der Fläche, weil die Wildbestände zu hoch sind. Aber vorerst Ruhe bewahren! Erst unter einem Vorwaldschirm aus Birke oder in krautiger Phase die neuen Pflanzen setzen. Vorab ist zu prüfen, ob wir alle Flächen besenrein aufarbeiten – das ist sowieso defizitär – oder ob nicht doch ein Teil, zumindest das schlechte Holz, und alles Totholz als Wasser- und CO2-Speicher auf der Fläche bleibt.

Es wird viel darüber diskutiert, welche Bäume aus wirtschaftlichen oder ökologischen Gründen für Neuanpflanzungen geeignet sind. Welche schlagen Sie vor?

Ich würde auf den Nord- und Osthängen nadelholzbestimmt vorgehen und auf den Süd- und Westhängen laubholzbestimmt – Aber immer in Mischung mit Weißtanne, Edelkastanie, Erle, Eiche, Küstentanne, Ahorn und Lärche. Alles was mehrschichtig, vielfältiger und strukturiert ist, ist stabiler.