Bad Berleburg. Ein Lokführer muss für den Anschlag auf seinen Zug in Haft. Das Gericht erfuhr teils verstörende Details aus dem Vorleben des Mannes.
Das Schöffengericht Bad Berleburg hat entscheiden. Das Urteil im Prozess um den Gullydeckel-Anschlag auf die Rothaarbahn lautet: 21 Monate Haft ohne Bewährung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Bahnverkehrs und Vortäuschens einer Straftat. Verurteilt wurde der Lokführer. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 52-jährige Mann aus Lünen den Anschlag auf seinen Zug am Morgen des 13. April 2019 selbst herbeigeführt hat. Der Zug war in Gullydeckel gerast, die von einer Straßenbrücke ins Gleis hingen. Verletzt wurde damals niemand. Bei der Leerfahrt war nur der Triebwagenführer im Zug.
Angeklagter streitet Tat bis zuletzt ab
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Mit dem Urteil folgte das Gericht der Forderung von Staatsanwalt Fabian Glöckner und nicht Verteidiger Dennis Tungel. Der hatte einen Freispruch gefordert. Vorausgegangen war dem Urteil ein dreitägiger Indizienprozess, bei dem neben DNA- und Faserspuren, Handydaten auch Ermittlungen einer Mordkommission den Verdacht auf den Angeklagten eingrenzen konnten. Der aber schwieg zu den Vorwürfen und leugnete die Tat auch noch in seinem letzten Wort: „Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun.“
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Genau das glaubte ihm das Schöffengericht, bestehend aus dem Vorsitzenden Torsten Hoffmann und den beiden Laienrichtern Werner Wegener und Karl Heinrich Sonneborn nicht. „Wir haben keine Zweifel daran, dass er den Unglücksfall selbst verursacht hat“, formuliert es Hoffmann. „Der Tatnachweis beruht auf einer Ketten von Indizien. Das Gericht hatte so etwas wie ein Puzzle zusammenzusetzen“, beschrieb der Vorsitzende den Prozess. Es war vor allem der Leiter der Hagener Mordkommission, der auch Schlaglichter auf die Persönlichkeit des Angeklagten warf und damit dessen Glaubwürdigkeit schwächte. Ein Motiv für die Tat bleibt aber auch nach dem Prozess im Dunklen.
Fall nachgestellt
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Am Freitagmorgen sagte ein Fallanalytiker des LKA aus und stellte ein Video vor. Mit einem baugleichen Zug der Hessischen Landesbahn und Pappmaché-Hindernissen hatten sie die Unglückssituation nach Tageszeit, Sichtverhältnissen und Geschwindigkeit nachgestellt. Ergebnis: Ein Lokführer hätte genau eine halbe Sekunde Zeit gehabt, nach Erkennen des Hindernisses auf der dunklen Strecke die Schnellbremsung einzuleiten und sich mit einem Sprung vom Fahrersitz in Sicherheit zu bringen – so wie es der Angeklagte getan haben will. „Wir finden das nach der Fahrt noch unwahrscheinlicher“, sagte der 58-jährige LKA-Ermittler. Fazit des Fallanalytikers: Nur ein Zugführer, der wusste, dass es ein Hindernis gab, hätte sich auf diese Weise retten können. Verteidiger Dennis Tungel bemängelt, dass es keinen Sachverständigen gegeben habe, der genau überprüft habe, ob sein Mandant das nicht vielleicht doch hätte schaffen können.
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Die Mordkommission hat zudem die Handydaten des Angeklagten rund um den Tattag ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass es am Abend vor der Tat in dessen Dienstwohnung in Erndtebrück gelegen haben muss. Dass es wenig auffälligen Datenverbrauch gebe, weise darauf hin, dass niemand das Handy benutzt hat. Demnach hätte der Angeklagte Zeit gehabt, die Gullydeckel in Hilchenbach-Grund zu holen und die Tat vorzubereiten. Dass er das Handy liegen gelassen haben soll, erklärte der Ermittler damit, dass der Angeklagte umfangreiche Kenntnis in Sachen Ermittlungstaktik der Polizei habe und so ein einloggen des Mobiltelefons in eine Funkzelle in der Nähe des Tatortes vermeiden wollte.
Raubmord in Dortmund
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Nicht Gegenstand dieses Verfahrens, aber wichtig für das Verständnis sind eine ganze Reihe von Straftaten, bei denen der Angeklagte entweder Opfer war, oder sogar als Beschuldigter vernommen wurde. „So viel Pech habe ich bei einem Menschen noch nicht erlebt“, formulierte der leitende Ermittler seine Zweifel. Denn all das tauchte im Rahmen der Ermittlungen gegen den Lokführer wieder auf: Da ist der Raubmord an dessen Mutter und Großmutter im Jahr 2008 in Dortmund. Dass seine DNA am Fenster gefunden wurde, durch das der Mörder eingestiegen war, erklärte der Angeklagte damals damit, dass er auch durch das Fenster gekommen sei, bevor seine Familienangehörigen tot aufgefunden habe. In den Fokus rückte der Mann damals auch, weil in der Wohnung ein größerer Geldbetrag entwendet worden war und er wenige Tage später 19.000 Euro auf sein Konto eingezahlt habe. Außerdem war er Alleinerbe, der später mit 150.000 Euro vom Verkauf des Elternhauses profitierte. Zu einer Anklage aber kam es nie.
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Durch die Einsicht in Ermittlungsakten habe der Angeklagte auch Kenntnisse über Ermittlungspraktiken der Polizei – beispielsweise in Sachen DNA-Analyse und Handydaten.
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Neben diesem Detail aus dem Vorleben finden sich noch drei Wohnungseinbrüche im Haus des Angeklagten und zwei Fahrzeugbrände zu seinem Nachteil. In allen Fällen hatte die Versicherung gezahlt. Nur – so der Kriminalbeamte – sei jetzt bei der Hausdurchsuchung wegen des Anschlages auf die Rothaarbahn im Haus des Angeklagten ein Navigationsgerät gefunden worden, das er damals als gestohlen gemeldet habe. Außerdem habe man das Internetverhalten des Angeklagten analysiert. Er suchte nicht nur nach Escortdamen und Bordellen, sondern nach Giftpflanzen oder den Schlagworten „Wie baue ich einen Schalldämpfer“ und „Wie baue ich eine Pistole“ im Netz. Für das Gericht war all das laut Torsten Hoffmann kein entscheidendes, aber ein „winziges Puzzleteil“ mehr.
Klare DNA-Spurenlage
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Schwerer wogen die DNA-Spuren an Gullydeckel und Seilen, die ansonsten eher „spurenabgabefeindlich“ seien. Außerdem wurden auch Fasern an und in Handschuhen in seinem Rucksack und seinem Dienstwagen gefunden, die den Tatwerkzeugen zugeordnet werden konnten. Fast regungslos und ein bisschen ungläubig nahm der Angeklagte das Urteil auf. Bis zuletzt hatte der Familienvater offensichtlich noch mit einem Freispruch gerechnet. Sein Anwalt Dennis Tungel wird aber Rechtsmittel einlegen, sagt er gegenüber dieser Zeitung.