Bad Berleburg. Der Berleburger Psychiater Dr. Rüdiger Saßmannshausen spricht im Interview über Hamsterkäufe, Ängste aber auch über neue Chancen.

Security vor den Supermärkten, leere Regale, abgesperrte Spielplätze und diverse Ratschläge und Warnungen in den sozialen Medien. Das Coronavirus bestimmt derzeit unseren Alltag. Doch was macht dieses Virus mit der Gesellschaft? Warum horten die einen mehrere Kilogram Mehl und Toilettenpapier, während sich andere per WhatsApp und Instagram mit Bildern und Sprüchen über die Situation lustig machen? Alles nur eine Art der Verdrängung? Der Berleburger Psychiater Rüdiger Saßmannshausen erklärt, wie sich das Virus auf uns auswirkt, aber auch, welche Chance es der Gesellschaft jetzt gibt.


Herr Saßmannshausen, wie wirkt sich solch ein Kontaktverbot auf uns Menschen und damit auch auf die Gesellschaft aus?

Rüdiger Saßmannshausen: Gerade ältere Menschen, die in Altenheimen leben, sind durch das Besuchsverbot nun auf sich alleine gestellt. Für sie ist körperliche Zuwendung extrem wichtig. Und diese können auch die sozialen Medien nicht ersetzen. Körperliche Berührungen sind wichtiger als tausend Worte. Wir Menschen sind soziale Wesen. Nicht jeder ist für eine soziale Isolation geschaffen. Wenn man im Beruf viel mit anderen Menschen in Kontakt ist, ist man vielleicht froh, wenn man auch mal seine Ruhe hat. Dann möchte man die Isolation. Aber wenn man dazu verdonnert ist, geht einem der Saft aus. Nur TV schauen kann man auch nicht. Egal auf welchen Sender ich schalte – es kommt nur noch Corona. Corona ist doch nicht das ganze Leben. Und dennoch beschäftigt es viele Menschen.


Was kann man tun, damit einem in einer Zeit wie dieser nicht die Decke auf dem Kopf fällt?

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Zuerst sollten wir uns nicht den ganzen Tag mit dem Thema beschäftigen. Wenn ich morgens die Nachrichten lese oder höre, bin ich doch erst einmal auf dem aktuellen Stand. Und wem die Decke auf dem Kopf fällt, der sollte raus an die frische Luft und sich bewegen. Licht, Luft und Bewegung sind wichtig. Natürlich sollten wir uns an die Regeln halten und nicht in einer Gruppe nach draußen gehen. Aber selbst eine Runde mit dem Hund tut gut, und wenn es der Hund eines Bekannten ist. Wir haben hier in Wittgenstein das Glück, dass wir in einer Gegend wohnen, wo andere sonst für viel Geld Urlaub machen.


Sehen Sie in der Krise auch eine Chance für die Gesellschaft – trotz sozialer Isolation?

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In gewisser Weise schon. Natürlich gibt es gerade jetzt viele Menschen, die sich um ihre Existenz sorgen. Gleichzeitig aber haben wir jetzt die Chance darüber nachzudenken, was wir wirklich wollen. Was uns gut tut. Und wir können uns einmal über unsere eigentlichen Werte Gedanken machen. Wir merken nun, dass eben nicht die Menschen am wichtigsten sind, die die teuersten Autos fahren, sondern diejenigen, die unsere Gesellschaft aufrecht halten. Und dazu gehören Polizisten und Pfleger genauso, wie die Kassierer in den Supermärkten. Vielleicht wird unsere Gesellschaft jetzt endlich wieder zurechtgerückt. Denn: Das vermeintlich Selbstverständliche ist eben nicht selbstverständlich. Wir alle müssen unseren Beitrag für die Gesellschaft leisten. Wieso wird eine examinierte Pflegekraft nicht so bezahlt, wie ein Facharbeiter? Und auch Kassierer sind keine Roboter, die auf Knopfdruck immer lächeln und uns einen „Guten Morgen“ wünschen – es sind Menschen. Ich glaube nun beginnt ein Umdenken in der Gesellschaft, das seit langer, langer Zeit wichtig ist.


Dennoch gibt es Menschen, die den Ernst der Lage noch nicht verstanden zu haben scheinen und sich in den sozialen Netzwerken mit Bildern und Sprüchen über die Situation lustig machen. Wie ist das zu erklären?

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Ich glaube, dass dort eine sehr große Unsicherheit herrscht. Vergleichen wir das Virus einmal mit einem Säbelzahntiger: Den Tiger sehe ich und kann die Gefahr einschätzen. Den Virus aber sehe ich nicht. Den kann ich nicht packen. Und das sorgt für Unsicherheit, mit der einige Menschen nicht umgehen können. Und dann ist es ähnlich wie, wenn junge Leute in die Disco gehen und sich vorher Mut antrinken. Dabei rutschen sie schnell ins Exzessive. Und so ist es eben auch mit dem sich lustig machen. Es ist nichts anderes als Unsicherheit, die man den Menschen nehmen sollte. Vieles ist durch Angst gesteuert.


So auch die Hamsterkäufe?

Hamsterkäufe sind völlig irrational. Es ist ein Versuch der Selbstsicherung. Es kann ja nicht sein, dass wir in 20 Jahren noch Klopapier von heute haben. An sich geht es darum, etwas zuhause zu haben, was einem Sicherheit gibt – und wenn es eben Klopapier ist.


Sicherheit vor dem Unbekannten?

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Auch. Es ist eine anstrengende Phase für uns alle. Eine Phase, in der wir uns zurücknehmen müssen. Wo man wieder bei dem Kontaktverbot wäre. Ja. Dieses Winke-Winke, wenn wir eine gute Freundin sehen, ist für uns ungewohnt und nicht schön. Normalerweise möchte man sie doch umarmen. Ich zum Beispiel bin begeisterter Handgeber. Für Gewöhnlich begrüße und verabschiede ich so meine Patienten. Das Handgeben ist ein Zeichen des Friedensschlusses und des Vertragsabschlusses. Es spielt in unserer Kultur eine wichtige Rolle. Und eben diese Sicherheit und gleichzeitig auch die Herzlichkeit fehlt den Menschen.


Eine Sicherheit, die sie den Menschen in der Sprechstunde geben möchten?

Ich finde es wichtig, dass die Menschen jetzt nicht alleine gelassen werden. Auch Pflegekräfte beispielsweise brauchen in dieser Zeit Unterstützung. Es gibt Berufsgruppen, die nicht zuhause bleiben können. Die weiter arbeiten, um das System am Laufen zu halten und somit für ein wenig Normalität zu sorgen. Dabei ist es wichtig, dass wir uns an die Spielregeln halten und dazu gehört auch, dass ich bei meinen Besuchen die Distanz halte.