Torres del Paine / Bad Laasphe. Der Weg zum Perito-Moreno-Gletscher wird für Achatzi deshalb zu einem zermürbenden Kraftakt – der sich jedoch lohnen sollte.
Längst bewegt sich Lisa Achatzi nicht mehr nur auf Schotterwegen oder asphaltierten Straßen. Auch enge Büsche, tiefer Matsch und umgefallene Bäume stehen regelmäßig auf ihrem Tagesplan. So gibt es inzwischen eine Formel: Je weiter Achatzi in die Tiefen Patagoniens hineinfährt, desto seltener kann sie sich melden. Kaum noch Internet zu haben, lässt ihre Erzählungen jedoch keineswegs abbrechen. Achatzi weiß um die Abgeschiedenheit ihrer Routen und nutzt im Voraus jeden Hauch von Netzverbindung für längere Berichte und Fotosendungen.
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Und noch etwas gehört fortan zum Alltag: Wind. Der ist in Patagonien teilweise so stark, dass Achatzi oft das Gefühl hat auf der Stelle zu fahren: „Eine Strecke war 220 Kilometer lang. Von El Chaltén aus vergingen die ersten Stunden wie im Flug. Dann setzte starker Seitenwind ein, der schließlich zu Gegenwind wurde. In drei Stunden schaffte ich nur dreißig Kilometer.“ Der Weg zum Perito-Moreno-Gletscher wird für Achatzi deshalb zu einem zermürbenden Kraftakt – der sich jedoch lohnen sollte. Denn als Achatzi dort ankommt, erwartet sie ein unwirklicher Ort.
Der große Gigant
Stellen Sie sich vor, sie öffnen in Dotzlar ihre Haustür und schauen in die Ferne. Doch statt Wälder und Wiesen sehen sie nur endloses Eis. Sie gehen los, immer geradeaus, immer ist dickes Eis unter ihren Füßen – bis nach Siegen. So lang ist der Perito-Moreno-Gletscher in Argentinien. Auf seiner Fläche könnte die Hauptstadt Buenos Aires mitsamt ihren fast drei Millionen Menschen Platz finden.
Dabei ragte „Der große Gigant“, wie der Gletscher auch genannt wird, früher in noch größerer Gestalt empor. Bis am 9. Juli 2008 plötzlich Videos im Internet auftauchten, die das Herabfallen und Brechen riesiger Eismassen zeigten. Das Naturschauspiel landete deshalb auf den Schreibtischen von Medien und Wissenschaft, weil es sich mitten im Winter ereignete. Das hatte es zuvor noch nie gegeben. Klimaveränderungen wurden als Ursache ausgemacht. Doch auch wenn der Gletscher an Größe einbüßte – seine Aura lockt die Menschen bis heute. Vor Ort herrsche eine ganz besondere Atmosphäre, schildert Achatzi: „Es ist nicht nur das Optische. Es gibt Momente, da klingt es wie in einem alten Industriegebiet. Riesige Hallen, in denen irgendetwas Großes auf etwas anderes Großes schlägt. Durch den Schall weiß man aber nicht, woher das Geräusch genau kommt und ob es nah oder weit entfernt ist. Wie bei einem Gewitter, bei dem es nicht durchgängig, aber dann plötzlich richtig kracht.“
Glück im Unglück
Von dort aus fährt Achatzi in Richtung Chile. An der Grenze wird ihr gesagt, dass man weder tierische Produkte, noch Obst und Gemüse mitnehmen dürfe. Auf Fleisch verzichtet Achatzi als Veganerin aus Prinzip. Das Ganze ist also nicht weiter schlimm, denkt sie sich. Doch hinter der Grenze gibt es kaum Einkaufsmöglichkeiten. Nur ein winziges Dorf mit einem Minimarkt, was Achatzi in Schwierigkeiten bringt: „Ich wollte mir für die Weiterfahrt ausreichend Obst und Gemüse kaufen. Alles, was es jedoch gab, waren ein paar Äpfel.“ Zudem gibt es Probleme mit ihrem Fahrrad, doch eine Werkstatt ist hier noch unwahrscheinlicher zu finden als ein Sack Kartoffeln. Und weil es keinen Campingplatz oder Rasthof in der Nähe gibt, schlägt Achatzi ihr Zelt bei einer Bushaltestelle auf. Ein gebrauchter Tag – bis zwei französische Radfahrer einen Stopp machen. Als Achatzi mit den beiden ins Gespräch kommt, stellt sich heraus: beide sind Mechaniker. Die Reparaturen an ihrem Fahrrad sind so schnell gemacht, wie in der Boxengasse im Motorsport. Der nächste Tag ist sicher – und die paar Äpfel schmecken plötzlich ganz besonders gut.
Alles auf null
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Als Achatzi morgens aufbricht, hat sie ein berühmtes Tagesziel vor Augen: Torres del Paine, die „Türme des blauen Himmels“. Sie sind das Wahrzeichen des gleichnamigen Nationalparks, der jährlich Alpinisten, Gletschertouristen und Trekking-Begeisterte anlockt. Bevor sie jedoch in die „Türme“ hineinfährt, übernachtet sie ein letztes Mal vor deren Tore auf einem Campingplatz. Am anderen Morgen steigt Achatzi voller Tatendrang auf ihr Rad – und bemerkt einen platten Reifen. Kopf hoch, Schlauch gewechselt, weiter geht’s. Von wegen. Wieder entweicht Luft, zu viel für eine Weiterfahrt. Alles auf null, inklusive Stimmung. Die „Türme des blauen Himmels“ müssen warten. Bis zum nächsten Mal.