Bad Berleburg. Die 38-Jährige ist eine Selfmade-Unternehmerin, die jungen Migranten mit ihrer Erfahrung Mut macht und ihnen eine Chance gibt.
Heute kann Marina Marchel über diesen Tag vor 23 Jahren lachen. Damals stand sie trotzig vor den Stockbetten in der Jägerkaserne Bramsche (Niedersachsen), hielt ein Kissen eng umschlungen und wollte nur zurück nach Hause, nach Pawlodar in Kasachstan. „Ich habe geweint und geschrien, dass ich keinen Tag hier bleiben werde. Meine Eltern sollten die Großeltern anrufen, damit sie mich abholen.“ Damals war Marina Marchel 15. „Ein Teenager in einem schwierigen Alter. Wir waren in einem fremden Land und ich verstand die Sprache nicht...“, sagt Marchel heute über die erste von vielen harten Prüfungen, die sie zu dem gemacht haben, was die selbstständige Frisörmeisterin heute ist.
Schwieriger Start in Meschede
Von Kasachstan nach Puderbach
Marina Marchel ist 1981 in Kasachstan geboren worden. Mit ihrer Familie ist sie als 15-Jährige nach Deutschland umgesiedelt. Ihre Ur-Oma war Wolga-Deutsche.
Seit einiger Zeit wohnt die Frisörmeisterin mit ihrer Familie in Puderbach und betreibt ihre „Frisier-Zone“ mit acht Mitarbeitern in Bad Berleburg.
Von Bramsche aus ging es für die Familie aus Kasachstan nach Meschede ins Hochsauerland. Ein Neuanfang – auch für Marina. „Ich kam in die Hauptschule – und weiß noch, dass ich am Anfang kein Wort verstanden habe.“ Doch die nächste Herausforderung lässt nicht lange auf sich warten: die Berufswahl. „Ich habe meiner Mutter schon als Kind die Lockenwickler ‘reingedreht“, lacht Marchel. Ein Traumjob war es dennoch nicht von Anfang an. Das lag aber weniger an der Arbeit als an den Praktikumsstellen. Viele Klinken hat Marina Marchel geputzt. Aber so recht will es nicht passen. Eine, die an die junge Frau glaubt, ist ihre Lehrerin an der Berufsschule. „Ihr bin ich unendlich dankbar und besuche sie auch heute noch.“ Die engagierte Pädagogin geht mit Marina Marchel von Salon zu Salon. Und mit Frisörmeister Detlef Eßer finden sie damals in Meschede den Richtigen. Doch ganz so einfach wird das Praktikum nicht. Drei Tage die Woche muss die Praktikantin arbeiten. Einen weiteren Tag geht sie zur Berufsschule und an einem fünften in die Kolpingschule, um Deutsch zu lernen. „Wenn Du etwas willst, dann geht es“, sagt sie heute. Aus der Praktikantin wird die Auszubildende und später die Gesellin.
Über Ostfriesland nach Wittgenstein
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Dann folgt der nächste Bruch: Detlef Eßer zieht mit seinem Mann und dem Salon in seine alte Heimat nach Ostfriesland zurück. Eßer fragt die junge Frisörin und eine Auszubildende, ob sie nicht mitkommen wollen. Marina Marchel ist mutig und überlegt nicht lange: „Ich war ungebunden und habe ja gesagt. So eine Erfahrung macht ja nicht jeder.“ Nach fünf Jahren an der Nordsee kommt aber doch die Sehnsucht nach der Familie – und Marina Marchel zieht zurück ins Sauerland, nach Arnsberg. Das Sauerland ist jedoch nur Zwischenstation, als sie über eine Kollegin ihren heutigen Mann Andrej kennenlernt und in das kleine Dörfchen Puderbach nach Bad Laasphe zieht. Sie arbeitet als Frisörin und bekommt zwei Söhne.
Das Schicksal klopft wieder an
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2011 klopft das Schicksal dann erneut an die Tür der Marchels. Eine Freundin berichtet Marina von einem Salon in Bad Berleburg, den sie übernehmen könnte: „Ein eigener Laden war immer mein Traum. Aber ich habe mich dann doch gefragt, ob das klappt.“ Und es klappt. Aber wie, das ist nicht selbstverständlich: Als sie sich 2013 entschließt, den Meister zu machen, ist sie gerade mit dem dritten Sohn schwanger. Zum Glück bleibt der bisherige Inhaber des Salons an ihrer Seite. „Er hat groß geschaut und gefragt: Was machen wir denn jetzt? Und ich habe gesagt: Weitermachen, nicht aufgeben.“ Die Meisterschule muss aber erst einmal warten.
Und dann brennt das Haus
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Nicht auf sich warten lässt ein weiterer Schicksalsschlag: Hochschwanger erlebt Marina Marchel, wie es im November 2014 in ihrem Haus brennt. „Zum Glück wurde niemand verletzt. Aber es war ja alles weg. Spielzeug, Klamotten alles unbrauchbar wegen dem Ruß.“ Noch heute stockt der 38-Jährigen der Atem, wenn sie über die Welle der Hilfsbereitschaft im Dorf und der Schule ihrer Söhne berichtet. Als es zuhause weiter geht, geht es auch beruflich weiter. Im Februar 2015 kommt ihr dritter Sohn zur Welt und wenige Wochen später geht Marina Marchel zur Meisterschule. „Das klappt nur, weil meine Familie und die Kollegen im Salon mitgeholfen haben. Die haben mir den Rücken frei gehalten.“
Starthelferin für andere
Für all diese Erfahrungen ist die heutige Meisterin und Chefin von sieben Mitarbeitern dankbar. Und genau das will sie auch weitergeben. Immer wieder gibt sie Menschen mit Migrationshintergrund die Chance auf Arbeit, Ausbildungsplätze und Praktika. Und genau dafür wurde sie jetzt von der Handwerkskammer Südwestfalen ausgezeichnet. Das versöhnt mit dem schweren Start in Deutschland: „Auch wenn es für uns Kinder sehr traurig war, alles aufzugeben, bin ich meinen Eltern dankbar, dass wir hier sind. Schließlich haben sie für uns auch alles zurückgelassen, damit wir eine bessere Zukunft haben. Das alles hat mich stark gemacht“, sagt Marina Marchel.