Bad Berleburg. . Marina Marchel gibt geflüchteten Menschen Arbeit, bringt ihnen den Alltag in Deutschland näher. Und dieses besondere Engagement kommt gut an
Sie war 15 Jahre alt, als sie mit ihren Eltern und der zwei Jahren jüngeren Schwester aus Kasachstan nach Deutschland ausgewandert ist. Für Marina Marchel war dieser Abschied von Verwandten und Freunden alles andere als einfach. Manche Träne hat sie damals vergossen; aber die heute 36-Jährige hat es gepackt – mit eisernem Willen, einer gehörigen Portion Mut und strikter Disziplin. Was sie bis heute erreicht hat, möchte sie anderen ermöglichen. Aber dazu später...
„Es war schwer am Anfang“, erinnert sich Marina Marchel an den Aufenthalt in den Unterkünften in Bramsche und Unna. Dort musste die Familie warten, bis alle bürokratischen Erfordernisse erledigt waren, erst dann konnten sie zur Oma ziehen, die in Freienohl eine Wohnung hatte. Omas Vorfahren waren Wolga-Deutsche, das erklärt, dass Marina schon ein paar Brocken Deutsch sprechen und verstehen konnte. Aber sie wollte mehr.
Die einzige Russin in der Klasse
Nach der zweijährigen Hauptschulzeit wollte sie ihre Deutsch-Kenntnisse verbessern, besuchte für ein Hauswirtschaftsjahr die Berufsschule in Meschede.
Von Kasachstan nach Puderbach
Marina Marchel ist 1981 in Kasachstan geboren worden. Mit ihrer Familie ist sie als 15-Jährige nach Deutschland umgesiedelt. Ihre Ur-Oma war Wolga-Deutsche.
Seit einiger Zeit wohnt die Frisörmeisterin mit ihrer Familie in Puderbach und betreibt ihre „Frisier-Zone“ mit acht Mitarbeitern in Bad Berleburg.
„Ich war die einzige Russin in der Klasse, man hat es mir nicht leicht gemacht,“ blickt die 36-Jährige zurück und erzählt im Gespräch mit der Heimatzeitung von ihren ersten Schritten ins Berufsleben: „An der Kolpingschule in Meschede habe ich ein berufsbegleitendes Praktikum absolviert und im Frisörsalon von Detlef Esser gearbeitet. Das hat mir Spaß gemacht, und auch der Chef war zufrieden mit mir; denn nach dem Jahr sagte er: ,Du bleibst bei uns’, und so hatte ich den Ausbildungsplatz.“
In Arnsberg packt sie der Ehrgeiz
Den Meister Esser zieht es dann in seine Heimat an der Nordsee zurück. Marina Marchel geht mit in die ostfriesische Stadt Norden, bleibt dort fünf Jahre. „Das Heimweh nach meiner Familie war zu stark, deshalb bin ich wieder zurück ins Sauerland“, lacht die Frisörin heute beim Rückblick.
Bei ihrem Job in Arnsberg packt sie der Ehrgeiz, angebotene Fortbildungen zur weiteren Verbesserung der Haarschneidetechnik nimmt sie gern und erfolgreich wahr, entschließt sich auch für eine Weiterbildung in der Sparte Nagel-Design. Das sollte ein entscheidender und wegweisender Schritt sein; denn Kursteilnehmerin Tatjana Hoff wird die neue Freundin. Über sie lernt Marina ihren Mann André kennen, der wie sie aus Kasachstan stammt.
Arbeitgeber wird Angestellter
Inzwischen arbeitet Marina Marchel in Biedenkopf, erfährt dort über Bekannte, dass der Berleburger Frisörmeister Karl-Heinz Mettken einen Nachfolger sucht. Marina lässt sich dort im Mai 2013 anstellen: „Ich wollte sehen, wie das Geschäft geht, wollte die Kundinnen und Kunden kennenlernen“, sagt sie und lässt sich ein halbes Jahr Zeit bis zur Übernahme.
Aus Praktikantin Tatjana wird eine Auszubildende
Anderen, nach Deutschland aus fremden Kulturkreisen gekommenen Menschen möchte Marina Marchel den Einstieg erleichtern – so wie es ihr selbst ergangen ist.
Deshalb überlegt sie nicht lange, als Rashid Alizadeh in ihrem Geschäft nach einer Arbeitsstelle fragt. Der 48-Jährige aus dem Iran ist gelernter Herrenfrisörmeister, hat in seiner Heimat 28 Jahre lang gearbeitet, bevor er als politisch verfolgter Nicht-Muslim sein Land verlassen hat. Seit November vergangenen Jahres gehört Rashid zum Team der „Frisier-Zone“, wie das Geschäft offiziell heißt. Rashid lernt morgens am Berufskolleg Wittgenstein die deutsche Sprache, nachmittags schneidet er Männern die Haare oder rasiert ihnen den Bart ab.
Erfahrungen weitergeben
Und dann gibt es noch Tatjana (37), ebenfalls aus Kasachstan. „Sie ist vor einem Jahr zu uns gekommen, lernt fleißig Deutsch und absolviert noch ein Praktikum. Ihre Eingliederung läuft bis August; dann beginnt die Umschulung zur Frisörin“, verrät die Chefin und betont, dass sie „nur ganz selten mit Tatjana russisch spricht“.
Natürlich würden die ungeplanten Neu-Einstellungen zusätzliche Kosten verursachen, weiß Marina Marchel; aber das sei es ihr wert: „Ich kann ja meine eigenen Leute aus- und weiterbilden. Ich möchte ihnen das geben können, was ich auch erfahren durfte, nämlich angenommen zu werden. Denn Integration in ein ehemals fremdes Land funktioniert bei der Arbeit und im Umgang mit Menschen.“
Weil sie keinen Meistertitel hat, stellt sie nun ihren bisherigen Arbeitgeber Mettken an. „Aus Chef wurde Chefin, aber alle im Team haben sich daran gewöhnt. Wir arbeiten gut zusammen,“ lobt Marina Marchel ihre Mannschaft, in der mit Silke und Mareike zwei langjährige Frisörinnen tätig sind, deren Arbeit von etlichen Stammkundinnen geschätzt wird. Und denen dankt Marina für ihre Treue, die bis heute anhält.
Gas statt Zurückschalten
Im Februar 2015 stellt sich Nachwuchs ein, der dritte Junge ist da. Wie kann die inzwischen dreifache Mutter das mit dem Beruf vereinbaren? Anstatt einen Gang zurück zu schalten, gibt Marina Gas. Sie lässt sich von der Handwerkskammer beraten: Wie kann ich Meisterin werden? Schaffe ich das mit der Sprache? Die zielstrebige Frau entscheidet sich für einen Crash-Kurs - vier Monate von morgens bis abends büffeln. Das Engagement wird belohnt. Als Zweitbeste des Kurses schneidet Marina Marchel mit „Sehr gut“ als Frisörmeisterin ab.
Sie hat ihr Ziel erreicht, hat die Klippen umschifft. Sie ist angekommen in ihrem eigenen Unternehmen. Sie freut sich: „Davon zu träumen, habe ich mich nie gewagt. Aber es hat ja geklappt.“ Sie ist integriert und fühlt sich in Wittgenstein wohl.