Siegen/Bad Laasphe. Das lange Martyrium zweier junger Frauen aus Bad Laasphe führte einen 64-Jährigen vor Gericht. Die 1. Große Strafkammer Siegen fällte ein Urteil.

Es war ein langer und belastender Prozess für alle Beteiligten, der im Frühling begann und nun im Herbst endet. Das Urteil ist dafür überraschend klar und deutlich: Vier Jahre und sechs Monate soll der 64-Jährige ins Gefängnis, der nach Überzeugung des Gerichts zwei seiner damals minderjährigen Nichten über Jahre missbraucht hat.

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Insgesamt zwölf der ursprünglich einmal 56 angeklagten Fälle des sexuellen Missbrauchs hat die 1. Große Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Elfriede Dreisbach für konkret genug erachtet, den Mann zu verurteilen. Sieben davon tragen das Prädikat „schwer“. In zwei weiteren Fällen wurde der Angeklagte freigesprochen.

Anwalt schreibt fleißig mit

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Er sei für die Kinder seiner Schwester der „coole Onkel“ gewesen, der mit ihnen ungewöhnliche Dinge unternahm, die Spaß machten, der Künstler aus der Großstadt, der ein völlig anderes Leben führte, als der Rest der Familie im Wittgenstein’schen, beschreibt die Vorsitzende die Ausgangssituation. Die Kehrseite: Der beliebte Verwandte, „dem alle vertrauten“, nutzte eben diese Situation, um zwei der Nichten über Jahre zu sexuellem Verhalten zu nötigen, bis hin zum körperlichen Eindringen. Vor allem habe er den Kindern signalisiert, das alles sei völlig normal. Die Mädchen hätten erst später erkannt, dass da Dinge mit ihnen geschahen, die nicht richtig gewesen seien, fasst Dreisbach zusammen, während der Verurteilte und sein Anwalt fleißig mitschreiben.

Richterin: Die Opfer leiden

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Viel Schmeichelhaftes bekommen sie nicht zu hören. Die Kammer hat den beiden Zeuginnen uneingeschränkt geglaubt und keinerlei überschießende Belastungstendenz erkennen können. „Die leiden! Die sitzen nicht hier und rufen Yahoo, weil sie ihren verhassten Onkel endlich ins Gefängnis bringen können“, sagt Elfriede Dreisbach über die beiden jungen Frauen, Jahrgang 1989 und 1997. Bei beiden sei noch nicht absehbar, welche Folgen noch auftreten könnten, wobei die Ältere durch den größeren zeitlichen Abstand mehr Gelegenheit gehabt habe, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das Vorbringen des Onkels wird vom Gericht als Schutzbehauptung verworfen, vor allem auch seine Behauptung, das Opfer eines Komplott und Rachefeldzuges geworden zu sein. Wenn es um den Erbfall der 2018 verstorbenen Eltern gehe, könnten seine Schwestern überhaupt keinen Vorteil erlangen, wenn er ins Gefängnis gehe. Die angeblichen Übergriffe seines Schwagers, die von den Zeuginnen auf ihn übertragen worden seien, betrachten die Richter als reine Erfindung. Die geschilderten Taten seien viel zu sehr mit ihm, seinen Eigenarten und dem Wohnmobil verbunden. Zudem seien die Vorwürfe gegen den verstorbenen Vater der Mädchen von niemandem sonst bestätigt worden. Die diesbezügliche Aussage der Lebensgefährtin des Angeklagten sei unglaubwürdig.

Vielzahl der Fälle macht es schwierig

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Die große Schwierigkeit des Verfahrens sei die Vielzahl der Fälle gewesen, betont die Vorsitzende. War der Onkel in der Familie, manchmal über viele Wochen, sei es praktisch täglich zu Übergriffen gekommen. Etwa bei der älteren Nichte zu einem abendlichen Ritual beim Gutenachtsagen, bei dem der Angeklagte sich angezogen hinter ihr ins Bett gelegt hätte. „Sie haben ja kein Tagebuch geführt und die Vorfälle aufgeschrieben“, ergänzt Dreisbach. Viele Dinge müssen so offen bleiben, das wird bei der gut 30-minütigen Urteilsbegründung immer wieder deutlich. Der alternative Lebenswandel des Mannes, der ohne jede Regelmäßigkeit gekommen und gegangen sei, mache die zeitliche Einordnung zusätzlich schwer. Dennoch ist die Kammer überzeugt, die nun verurteilten Fälle hinreichend konkretisiert zu haben. Über das von Nebenklagevertreterin Simone Göckus per Adhäsionsverfahren beantragte Schmerzensgeld wird nur grundsätzlich entschieden. Der Anspruch bestehe, aber für die Ermittlung konkreter Summen bedürfe es weiterer Ermittlungen. Die hätten das Strafverfahren noch weiter in die Länge gezogen, erklärt die Richterin, warum sie keine abschließende Entscheidung verkünden kann und will.

Verurteilter kann Rechtsmittel einlegen

Ob dieses Urteil tatsächlich das Ende bedeutet, hängt nun vor allem vom „coolen Onkel“ und seinem Verteidiger ab. Der nunmehr Verurteilte hat bis zum letzten Wort alle Tagen bestritten, sein Anwalt Freispruch gefordert. Ein Rechtsmittel ist also zumindest nicht ausgeschlossen.