Bad Berleburg/Karlsruhe. . Die in Wittgenstein lebenden Wisente beschäftigen Deutschlands oberstes Gericht. Bundesgerichtshof wird heute wohl noch nicht entscheiden.

Es ist eine grundsätzliche Frage, über die der Bundesgerichtshof in Karlsruhe nun eine Entscheidung treffen soll. Was ist höher zu bewerten: Der Artenschutz oder das Privateigentum? Bundesnaturschutzgesetz kontra Bürgerliches Gesetzbuch.

Nach der mündlichen Verhandlung am Freitag ist klar: Es wird keine schnelle Lösung für ausgewilderte Wisente im Rothaargebirge geben.

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Seit Jahrhunderten ist die natürliche Grenze des Rothaarkamms nicht mehr eine so scharfe Trennlinie gewesen. Sie ist Sprachgrenze zwischen den Niedersachsen und Moselfranken, war Religionsgrenze zwischen Katholischen und Protestanten und trennt jetzt Befürworter und Gegner des Wisentprojektes.

Tiere kennen keine Grenzen

Auf der einen Seite steht der Trägerverein des in Westeuropa einzigartigen Wiederansiedlungsprojektes, der 2010 in Bad Berleburg eine Herde Wildrinder in die Freiheit der Wälder entließ. Und auf der anderen Seite stehen Waldbauern aus dem Sauerland, bei denen der europäische Bison für massive Schäden sorgt.

Welchen Stellenwert haben die Wisente für den Tourismus?

Thomas Weber, Geschäftsführer Sauerland-Tourismus

Die „Wisent Welt Wittgenstein“ hat sich in den fünf Jahren ihres Bestehens zu einem überregional bedeutsamen Artenschutzprojekt für das Image der Region Südwestfalens, aber touristisch vor allem zu einem beliebten Ausflugsziel für Gäste im Sauerland und in Siegen-Wittgenstein entwickelt. Das bestätigt nicht zuletzt die Zahl von 200.000 Besuchern seit der Öffnung des Areals im Jahr 2013.Während das umschlossene Besucherareal unstrittig positiv ist – und gern ausgebaut werden könnte - müssen alle Beteiligten in der Gesamtbetrachtung des Projektes hinsichtlich der frei lebenden Tiere auch die Kritik der Waldbauern berücksichtigen.Im Zweifel ist uns aus Sauerländer Sicht der dauerhafte nachbarschaftliche Zusammenhalt und das gute Miteinander der Regionen wichtiger als der Projektteil der frei lebenden Herde.

Monika Dombrowsky, Geschäftsführerin Touristikverband Siegen-Wittgenstein

Mehr als 30.000 Besucher lassen sich jährlich faszinieren – ein für unsere Region und die angrenzenden Regionen damit ein Tourismusmagnet.Sie sind einzigartig in Westeuropa: frei lebenden Wisente in Wittgenstein. 2013 wurden die größten Landsäuger Europas in die Freiheit entlassen. Seitdem streifen sie als viel beachtete und positive Markenbotschafter durch die Region um Bad Berleburg.Aus dem Artenschutzimpuls zum Erhalt der Wisente hat sich ein facettenreiches Touristisches Angebot entwickelt; mit interaktiver Ausstellung, Naturerlebniszentrum, Gastronomie und der „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“.

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Wisenten sind menschliche Grenzziehungen egal. Sie wandern auch über den Rothaarkamm nach Schmallenberg oder in den Kreis Olpe. Sie folgen Instinkten. Einer davon lässt sie die Rinde von Buchen abschälen, weil sie die Gerbsäuren als Nahrungsergänzung brauchen. Die Folgeschäden an den Bäumen sind groß.

Betroffenen können Entschädigungszahlungen aus einem Fonds erhalten. Nicht alle sind damit zufrieden. Die Kläger wollen die Besuche der Wisente auf ihren Grundstücken nicht mehr dulden. Ein Auswilderungsprojekt muss aber auf Zäune verzichten.

Dauerhafter Rechtsstreit um Wisente in Wittgenstein

Dauerhafter Streit ist programmiert und führt Waldbauern und Trägerverein immer wieder vor den Richter. Verfahren vor dem Landgericht Arnsberg (2015) und dem Oberlandesgericht Hamm (2017) haben keine endgültige Entscheidung gebracht. Beide Seiten zogen nach dem Urteil des OLG Hamm vor den Bundesgerichtshof.

Welche Folgen hätte eine Begrenzung der Herde auf 25 Tiere?

Kaja Heising, wissenschaftliche Koordinatorin des Wisent-Projektes

Ziel des Projektes ist die Auswilderung des Wisents; ein Miteinanderleben von Mensch und Wildtier, kein Ausschließen bzw Einschließen. Auswildern bedeutet frei leben. Ohne Zaun. Sollte das Gebiet eingezäunt werden, wäre das Projekt entsprechend gescheitert.Auch kleine Gruppen leisten ihren Beitrag zu dem Erhalt einer Art. Nicht überall ist es möglich Populationen von um die 600 Tiere zu etablieren, wie zum Beispiel im polnischen Balowieza. Ohne kleine Projekte wie unseres, oder die unserer europäischen Kollegen, wäre die Gesamtpopulation dieser stark gefährdeten Tierart nie auf die heutige Größe angewachsen.

Peter Schütz, Ministerium für Umwelt und NRW

Die Tiere könnten nicht mehr selber ihren Lebensraum vollständig frei wählen. Ob und wieweit sich die Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf Vitalität, Reproduktionserfolg und letztendlich auf die Herdenstruktur auswirkt, ist von Art und Größe des eingezäunten Areals abhängig.Der Erhalt der Art ist auch mit einer Einzäunung gewährleistet nach dem sogenannten „Zoo-Prinzip“. Gegebenenfalls nicht oder nur teilweise gewährleistet sind alle verhaltensbiologischen Lebensäußerung der dann eingesperrten Herde.

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Der muss nun vor allem eines klären: Sind die Wittgensteiner Wisente inzwischen herrenlos oder doch noch zahme Riesenrinder? Wären Sie herrenlos, müsste der Trägerverein nicht für die angerichteten Schäden haften. Sie wären Wildtieren wie Hirschen, Rehen oder Wildschweinen gleichgestellt.

Unentschieden vor dem OLG

Genau das hatte das OLG Hamm zuletzt entschieden. Zugleich aber auch salomonisch formuliert, dass der Trägerverein „geeignete Maßnahmen“ ergreifen müsse, um zu verhindern, dass die Wisente die Grundstücke der Waldbauern betreten und Schälschäden an Buchen verursachen können. Als einzige Möglichkeit bezeichnete das Oberlandesgericht wegen des Artenschutzes das „Nachstellen und Fangen“ der Tiere. Also doch ein Zaun?

Warum sollte der BGH zu Ihren Gunsten entscheiden?

Bernd Fuhrmann, 1. Vorsitzender des Trägervereins

Der Wisent-Verein sieht der Entscheidung des BGH mit Zuversicht entgegen. Der Respekt vor dem höchsten Gericht verbietet es jedoch, dem Karlsruher Gericht im Vorfeld seiner rechtlichen Beurteilung wie auch immer geartete „Empfehlungen“ oder gar Ratschläge zu geben.Sobald eine Entscheidung des BGH vorliegt, wird der Wisent-Verein die für ihn daraus notwendigen Schlussfolgerungen ziehen.

Lucas von Fürstenberg, betroffener Waldbesitzer

Die Annahme des Oberlandesgerichts Hamm, dass die Wisente, entgegen der ausdrücklichen Regelungen im Freisetzungsvertrag, bereits wild und damit herrenlos sind, ist abenteuerlich. Vor dem OLG wurden nur zwei Zeugen angehört, von denen eine seit mehreren Jahren keinen Kontakt mehr zur Herde hatte. Das OLG konnte also gar nicht ausreichend qualifizierte Informationen haben um eine so weitreichende Entscheidung zu treffen. Abgesehen davon, wäre es für jeglichen freiwilligen Artenschutz in Deutschland fatal, wenn höchstrichterlich entschieden würde, dass Verträge nichts gelten und im Endeffekt jede (auch ungenehmigte) Freisetzung von geschützten Tieren, dazu führen kann, dass die Tiere dann leider da sind und Artenschutz über Eigentum steht.Wir kämpfen unabhängig von diesem Verfahren dafür, dass das Projekt endlich aufgrund von Fakten und nicht Emotionen bewertet wird. Das Gutachten, ob die Artenschutzziele überhaupt zu erreichen sind, hätte längst erstellt werden müssen. Die Landesregierung spielt hier offensichtlich auf Zeit, wie alle anderen Beteiligten außer den Geschädigten auch. Der Trägerverein erfüllt keine seiner vertraglichen Pflichten, das „Management“ der Herde hat mit Artenschutz nichts zu tun.

Hartmut Schauerte, für die Klägerseite

Ich unterstütze die klagenden Waldbauern, weil die Ersteinbürgerung der Wisentrinder in den schützenswerten alten Buchenwäldern jährlich wachsende, dauerhafte Schäden anrichtet. Generell will ich nicht glauben, dass der Bundesgerichtshof ein Einbürgerungsprojekt genehmigt, das der größte Waldbesitzer in NRW geplant hat und das zu stark wachsenden dauerhaften Schäden bei einer Vielzahl von Waldbauern führt, die von Anfang an genau vor diesen Folgen gewarnt haben. Dies gilt um so mehr, weil der Trägerverein seine vertraglich zugesagten Verpflichtungen in der Projektphase, die noch nicht beendet ist, in gravierender Weise nicht eingehalten hat. Eine wissenschaftliche Begleitung des Projekts fehlt bis heute. Die zur Vermeidung von Inzucht notwendige Auswechslung des Herdbullens findet nicht statt. Die Einhaltung der Obergrenze von maximal 25 Tieren wird nicht beachtet. Die Aufgabe des Eigentums und damit der Verantwortung an den Tieren wird vorzeitig und vertragswidrig versucht. Ein voller Ersatz des zivilrechtlichen Schadens der betroffenen Waldbauern findet nicht statt. Die öffentliche Sicherheit in den Wäldern und auf den querenden Straßen ist nicht gewährleistet. Bei den gegebenen Eingriffen in das Eigentum der betroffenen Waldbauern wird der Bundesgerichtshof sicher auch abwägen, ob die Aufrechterhaltung einer isolierten Herde von angeblich höchstens 25 Tieren einen relevanten Beitrag zum Artenschutz leisten kann. Die Einsetzung dieser nachgezüchteten und gekauften Rinder muss rechtlich anders bewertet werden als z.B. die Zuwanderung von Wölfen. Bei der Einsetzung der Wisente gibt es eine klare Verantwortlichkeit und der Träger des Projekts darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen.

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„Es gibt keine Gewinner und keine Verlierer“, interpretierte OLG-Sprecher Christian Nubbemeyer damals das Urteil. Der Senat habe ausdrücklich „zwecks höchstrichterlicher Klärung“ die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Der muss nun klären, wo die Grenze für die Wisente verläuft.