Wittgenstein. . Bei den Immobilien befindet sich die Kirche am Scheideweg. Über die Probleme und mögliche Lösungen haben wir mit Pfarrer Peter Liedtke gesprochen.

Heute trifft sich die Evangelische Kirchengemeinde in Schüllar-Wemlighausen erneut, um über die Zukunft der Odenbornkirche und des Gemeindehauses zu diskutieren. Nur wenige Stunden später hat der Girkhäuser Generationenverein seine erste Jahreshauptversammlung, nachdem er 2017 das frühere Gemeindehaus von der ev. Kirche übernommen hat.

Aber nicht nur hier, sondern auch in der ev. Lukasgemeinde im Eder- und Elsofftal, in Bad Laasphe und Erndtebrück machen sich die Gemeinden im Evangelischen Kirchenkreis Gedanken, wie sie künftig die vielen Gebäude nutzen und unterhalten können. Bei den Immobilien befindet sich die Kirche am Scheideweg. Über die Diskussion, Probleme und mögliche Lösungen haben wir mit Pfarrer Peter Liedtke gesprochen. Er ist im Kirchenkreis Vorsitzender des Finanzausschusses, Vakanzvertreter in der Lukasgemeinde und Vorsitzender des weltlichen Generationenvereins in Girkhausen.

Die Evangelische Kirche Girkhausen
Die Evangelische Kirche Girkhausen

Ein Sprichwort sagt, man soll die Kirche im Dorf lassen. Inzwischen muss aber die Frage gestellt werden: Ist damit das Gebäude oder die Gemeinde gemeint? Was ist wichtiger: die Unterhaltung von Gebäuden oder die Finanzierung der Gemeindearbeit?

Peter Liedtke: Erst einmal eine klare Antwort: Die Gemeindearbeit ist wichtiger. Kirchengemeinden sind nicht Gebäudeunterhaltungsvereine. Aber: Gemeindearbeit braucht für viele Angebote dafür geeignete Orte. Dies müssen nicht immer eigene Gebäude sein. Aber welche Gebäude wir auch nutzen: Geld ist dafür einzusetzen. Und: Wir haben auch eine Mitverantwortung für die Gebäude unserer Väter und Mütter. Die Verantwortung hat natürlich Grenzen.

Welche Grenzen sind das?

Nicht jede finanzielle Anstrengung ist gerechtfertigt. Und nicht jedes Gebäude wird mehr ausreichend genutzt. Hier müssen Gemeinden Entscheidungen treffen. Dies ist aber sehr schwer. Jene Menschen, die Verantwortung übernehmen für eine Gemeinde, sehen die vielfältigen Aufgaben: Gottesdienste, Diakonie, Seelsorge, Ökumene, Bildung, Verwaltung. Die Menschen, die nicht in Verantwortung stehen, sehen nur einen Ausschnitt kirchlichen Handelns. Sie möchten, dass die Leitenden ihre Bedürfnisse sehen und zu erfüllen suchen. Sie sehen nicht die Überalterung der Gesellschaft, die veränderten Auflagen für Kirchengemeinden als Besitzerin von Gebäuden, die Konsequenzen der steigenden Energiekosten bei Gebäuden ohne finanzierbare Wärmedämmmöglichkeit, die geplante teilweise Besteuerung der öffentlichen Hand, wovon dann auch Kirche betroffen sein wird.

Aber die Presbyterien müssen die Wünsche der Gemeinde und die Anforderungen an Kirche und Gebäude zusammenbringen...

Die Presbyterinnen und Presbyter wissen um die Erwartungen der Gemeindeglieder, kennen die veränderten Rahmenbedingungen und wissen um die Aufgaben, die jede Gemeinde hat. Hier eine klare Entscheidung zu treffen, verlangt den Verantwortlichen ungeheuer viel ab.

Die Kirchengemeinde Girkhausen hat die Finanzierung von Gebäudeerhaltung und Arbeit gerade durchdekliniert...

Evangelische Kirche Girkhausen. Das denkmalgeschützte Gebäude besteht inzwischen aus dem Kirchengebäude und dem davon getrennt stehenden Kirchturm.
Evangelische Kirche Girkhausen. Das denkmalgeschützte Gebäude besteht inzwischen aus dem Kirchengebäude und dem davon getrennt stehenden Kirchturm.

Die als Beispiel angeführte Gemeinde Girkhausen hat aus meiner Sicht das der Gemeinde Mögliche getan, unterstützt von der Bevölkerung und örtlichen Entscheidungsträgern. So ist ein Handlungsspielraum für Gemeindearbeit entstanden. Leider kommen neue Probleme auf die Gemeinden zu, was dann die Freude am Erreichten erneut zudeckt.

Wenn die kaufmännische Buchführung in den Kirchengemeinden der Landeskirche 2020 eingeführt wird, sollen auch 20 Prozent des Versicherungswertes von Gebäuden als Rücklagen gebildet werden. Wie können kleine Gemeinden das schaffen?

Die Einführung des Neuen Kirchlichen Finanzmanagements legt fest, was vorher durch die abgelösten Regelungen empfohlen wurde: Für alle Gebäude sind Aufwendungen zu tätigen, um den Stand des Gebäude zu erhalten. Dabei wird ein Schlüsselwert festgelegt, wieviel Geld eine Gemeinde für ein Gebäude einplanen muss. Bei Kirchen wird dieser Wert 0,5 Prozent des Gebäudewertes. Entweder werden Maßnahmen in der Höhe durchgeführt oder der Betrag wird für die spätere Verwendung zurückgelegt. Wenn allerdings eine Gemeinde für ein Gebäude 20 Prozent des Gebäudewertes auf der hohen Kante hat, dann wird aus der Verpflichtung wieder eine Empfehlung.

Prozentwerte sind oft klein. Die Summen, die dahinter stehen aber enorm...

Für die kleine Kirchengemeinde Girkhausen ist bei der großen und denkmalgeschützten Kirche auch dieser geringe Wert von 0,5 Prozent ein großer Betrag. Andere Kirchengemeinden im Kirchenkreis haben ähnliche Probleme. Der Finanzausschuss des Kirchenkreises ist seit einem Jahr dabei, Wege zu finden, wie Gemeinden mit diesen überdurchschnittlichen Belastungen beigestanden werden kann. Die Möglichkeiten sind aber begrenzt, auch weil die Situation im Kirchenkreis Wittgenstein mit den vielen alten denkmalgeschützten Gebäuden in kleinen Gemeinden nicht der Normalfall in Westfalen ist.

Bei der Finanzierung von Kirchenaufgaben und Pfarrstellen gibt es bereits ein Solidarprinzip, damit sich nicht nur finanzstarke Gemeinden eine Pfarrstelle leisten können. Wie könnte die Landeskirche den Kirchengemeinden gerade mit einem hohen Bestand an denkmalgeschützten Gebäuden helfen?

Die Entscheidungen der Evangelischen Kirche von Westfalen werden auf der Synode getroffen in einem demokratischen Prozess. Eine Entscheidung zugunsten des Kirchenkreises Wittgenstein müsste von der Mehrheit der anderen Delegierten gewollt werden. Diese kommen aber mehrheitlich aus Kirchenkreisen mit Problemen, die sich von unseren Wittgensteiner Problemen deutlich unterscheiden. Von daher wird die Synode keinen Beschluss fassen, der dem Kirchenkreis Wittgenstein hilft, den anderen Kirchenkreisen aber Einschränkungen auferlegt.

Also ist vorerst keine Lösung für die kleinen und damit armen Kirchengemeinden und Kirchenkreise in Sicht?

Auf der Verwaltungsebene der Landeskirche wären Entlastungen aus meiner Sicht denkbar: Akzeptanz des Modells Abwohnen (ein Gebäude muss nicht dann aufgegeben werden, wenn die Rücklagen nicht mehr bedient werden können, sondern erst dann, wenn die Verkehrssicherheit nicht mehr gewährleistet ist); Bemessung des Gebäudewertes nicht an dem Gebäude, das da ist, sondern an einem Gebäude, das im Fall eines Verlustes anstelle dessen von der Gemeinde errichtet werden würde; Vorgabewerte durch die Kirchenleitung, wieviel „Gebäude“ für eine Gemeinde der Größe X sinnvoll ist.

Die Zusammenlegung von Kirchengemeinden ist in der Relation Pfarrstelle pro Gemeindeglieder eine Lösung. Das zeigt sich an der großen Lukas-Kirchengemeinde. Das Erbe dieser Zusammenlegung sind aber auch sehr viele Immobilien. Wie kann dieses Problem außer durch Verkäufe möglichst vieler Häuser noch gelöst werden?

Wenn ich mir die Eckdaten der Lukas-Kirchengemeinde und des Sozialraums ansehe, habe ich leider keine Idee. Das bürgerschaftliche Engagement ist schon im Sozialraum gut ausgereizt, die Spielräume der Wirtschaftsträger sind eng begrenzt, die Eröffnung neuer Einnahmequellen gestaltet sich schwierig. Vielleicht sind die vielfältigen Erfahrungen des neuen Pfarrers eine Hilfe, der schon in seiner jetzigen Gemeinde eine Kehrtwende ermöglichte. Ich selber sehe – wie wohl auch schon der frühere Pfarrstelleninhaber – nur die Chance, die Anzahl der Gebäude, für die die Lukas-Kirchengemeinde finanziell verantwortlich ist, deutlich zu reduzieren.

Zurück zu den Sprichworten. Kirchturmdenken bestimmt vielerorts auch das Handeln in den Gemeinden. Welche Zukunft hat also die Kirche als kleine Einheit im Dorf?

Ich sehe in der Gemeinde im Dorf eine große Gestaltungsfreiheit, die den großen Einheiten verwehrt bleibt. Die Vertrautheit miteinander, die unmittelbare Erfahrung, wie das gemeindliche Miteinander das Erscheinungsbild eines Dorfes verändern und die Lebensqualität verbessern kann, das Wegfallen unnötiger Strukturen mit gleichzeitiger Besinnung auf das, was zählt und wichtig ist – all das sind wunderbare Möglichkeiten der kleineren Einheiten. Man darf nur nicht vergessen, dass man nicht allein auf der Welt ist!

Was heißt das?

Das Bewusstsein, dass man Teil einer größeren Gemeinde ist, die ihrerseits Nachbarn hat und eingebunden ist in einen Kirchenkreis, in die Landeskirche, in die weltweite Gemeinschaft der Christen, muss geweckt und gepflegt werden. Ohne das Bewusstsein jedoch für die Einbettung in einen größeren Zusammenhang und die Bereitschaft, hierfür auch einzustehen und sich zu engagieren, werden die Gemeinschaften in den Dörfern keine Ausstrahlung entfalten, innerlich verkümmern und das, wofür Kirche steht, wird weiter von seiner menschenfreundlichen Kraft einbüßen.