Soest/Hagen. . Suche nach Erklärungen für den Tod des vier Monate alten Mädchens in Soest: Das Jugendamt sah keine Gefahr für das Wohl des Kindes. Die Mutter sei immer liebevoll mit dem Säugling umgegangen, heißt es bei der Behörde. Sie hatte das Amt selbst um Hilfe gebeten.

Eine 21-Jährige aus Soest lässt ihr vier Monate altes Mädchen verdursten und verhungern. Die Mutter verreist ohne ihr Kind. Mindestens vier Tage ist sie weg. Ohne Flüssigkeit ist es das Todesurteil für den Säugling. Das Kind stirbt, bevor sein Leben richtig beginnt. Wehrlos und hilflos ist es seinem Schicksal ausgeliefert.

Eine Vorstellung, die die Menschen aufwühlt und irritiert: Wie kann jemand so unmenschlich sein? Hätte das Jugendamt in Soest den Tod des Säuglings verhindern können? Suche nach Antworten.

„Sie ist herzlich und liebevoll mit ihrer Tochter umgegangen“, sagt Meinhard Esser, Leiter des Jugendamtes in Soest. „Es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Wohl des Kindes gefährdet ist.“ Der 55-Jährige, selbst Vater von zwei Kindern, 12 und 14 Jahre alt, ist wie alle bestürzt über die Tat. Er schildert den Kontakt mit der 21-Jährigen.

Kinderkrankenschwester half beim Wickeln und Füttern

Im Februar sei sie, bereits schwanger, auf das Amt zugekommen und habe um Unterstützung gebeten. Ihm Rahmen der sozialpädagogischen Familienhilfe sucht die Sozialarbeiterin eines externen Trägers die werdende Mutter regelmäßig auf, unterstützt sie, ihre Papiere zu ordnen, den Haushalt in Griff zu bekommen. Die Geburt des Kindes verläuft ohne Komplikationen. Auch danach gibt es nach Einschätzung der Sozialarbeiterin keine nennenswerten Probleme.

Über den Hebammen-Dienst nach der Geburt hinaus kommt neben der Sozialarbeiterin eine Kinderkrankenschwester zu ihr in die Wohnung, hilft beim Wickeln, beim Füttern. „Bis zu sechs Stunden in der Woche“, sagt Esser. „Immer ist von einem fürsorglichen Verhältnis der Mutter zum Kind gesprochen worden.“

Verhalten der Mutter veränderte sich

Offenbar läuft alles gut. Noch im September gibt es im Jugendamt ein Gespräch über die Ziele und Vorstellungen der jungen Mutter für die Zukunft. Die Unterstützung des Jugendamtes wird bis 2014 vereinbart.

Ab Ende Oktober gibt es einen Wandel im Verhalten der jungen Frau. Esser: „Sie ließ sich am Telefon verleugnen, machte die Tür nicht mehr auf. Niemand hatte aber den Eindruck, dass das Kind in Gefahr war. Bis zum Schluss nicht. Wirklich nicht.“

21-Jährige hielt sich nicht an Absprachen 

So manches Mal hätte sich die Frau nicht an Absprachen gehalten, wäre länger als abgesprochen bei Verwandten in Norddeutschland gewesen. „Wir mussten abwarten, ob und wann sie wiederkommt. Die Hilfe vom Jugendamt findet auf freiwilliger Basis statt.“

Für einen Zugriff des Amtes hätte es keinen Grund gegeben. Auch das Einschalten der Polizei zu diesem Zeitpunkt wäre aus seiner Sicht nicht sinnvoll gewesen. „Dafür gab es einfach keinen Anhaltspunkt.“ Und Esser betont nachdrücklich, dass das Amt sich nicht scheue, Kinder aus Familien in Obhut zu nehmen, wenn sie gefährdet wären. „Natürlich analysieren wir, was man hätte anders machen können.“

Eine Antwort darauf kann Angelika Hamann, Geschäftsführerin der Evangelischen Jugendhilfe Iserlohn-Hagen nicht geben. Zum Fall in Soest kann sie nichts sagen. Aus der Praxis weiß sie: Die Zahl der Familien, die Hilfe benötigen, um das Leben zu bewältigen, wächst: „Der Bedarf nimmt zu.“

Keine Überlebenschance

Aus Erfahrung weiß sie, dass bei Frauen, die mit ihrem Nachwuchs überfordert sind, ambulante Betreuung täglich notwendig sei. „Bei Säuglingen ganz besonders. In der Regel werden zehn bis fünfzehn Wochenstunden angesetzt.“

In den ersten Wochen hätten Säuglinge kaum eine Überlebenschance, wenn sie innerhalb von 24 Stunden nicht versorgt würden. „Denken Sie an Frühchen oder auch an eine Durchfall­erkrankung. Sie verdursten.“ Angelika Hamann spricht von einem dichten Netz, das gesponnen wird, um gefährdete Familien aufzufangen. Sie räumt aber ein: „Ich will nicht sagen, dass nichts passieren kann.“