Warstein. . Der Mann ist Alpin-Wanderer. „In 3000 Meter Höhe unterwegs zu sein, ist ein schönes Gefühl“, sagt Peter Marx. Schluck. Das kann ja etwas werden, mit dem Mann zum Lörmecketurm zu wandern.
Doch der Vorsitzende des Arbeitskreis für Heimatpflege im Kirchspiel Mülheim lacht: „Keine Sorge, ich werde nicht wie ein Verrückter den Berg hochrennen. Das wäre für die Alpen sowieso die völlig falsche Herangehensweise.“ Glück gehabt. Wir beginnen unseren „Aufstieg“ mit angenehmer Wandergeschwindigkeit.
Der Warsteiner Wald ist für den 55-Jährigen kein unbekanntes Gebiet, auch hier wandert er gerne – zur Vorbereitung auf die „richtigen“ Touren. „Einmal im Jahr versuche ich so eine Tour zu machen, dieses Mal geht es vielleicht ins Zillertal“, erzählt Peter Marx. Um die dafür nötige Kondition aufzubauen, wandert er rund um Warstein – nicht nur im Möhnetal, obwohl er doch ein Sichtigvorer „Urgestein“ ist. „Naja, ich brauche ja schon steile Strecken, um mich auf die Alpen vorzubereiten“, schmunzelt Marx und fügt hinzu: „Aber hier bei uns zu wandern, ist auch wunderschön. Unsere Heimat hat viele schöne Blickpunkte.“
Sichtigvor ist und bleibt Heimat
Heimat, die ist für Peter Marx ganz eindeutig in Sichtigvor. Und wer Vorsitzender eines Heimatvereins ist, für den steckt hinter „Heimat“ viel mehr als nur ein Wort, welches das Zuhause beschreibt. Oder? Marx überlegt, zwischen seinen Sätzen liegen drei lange Schritte. „Meine Heimat ist für mich da, wo ich lebe. Das ist Sichtigvor. Das sind aber nicht nur die Straßen, die Gebäude eines Ortes, die Heimat ausmachen. Heimat ist doch das Leben eines Ortes.“ Fast klingt es ein bisschen fragend. Könnte er woanders seine Heimat finden? Dieses Mal ist es nicht einmal ein halber Schritt. „Nein, ich bin ganz bewusst wieder nach Sichtigvor zurückgekehrt.“ Nach Studium und beruflichen Exkursionen nach Dortmund entschied sich Peter Marx dazu, gemeinsam mit seiner Frau wieder ins Möhnetal zurückzuziehen. Also ist Heimat da, wo man aufgewachsen ist? Der 55-Jährige schüttelt den Kopf, nachdenklich. „Man hat ein Heimatgefühl nicht dadurch, weil man an einem bestimmten Ort geboren ist. Heimat ist ein Gefühl, das wachsen kann, glaube ich.“
Doch dafür braucht es den Willen, sich mit seinem Ort zu identifizieren. Den vermisst Marx manchmal. „Wieso ziehen die Menschen ins Möhnetal? Das sind meistens junge Familien, von denen einer hier Arbeit gefunden haben. Aber allzu oft sind die Orte dann nichts anderes als die Schlafstätten für die Familien, mehr nicht. Ist das dann auch die Heimat?“ Peter Marx denkt nach. „Und wenn ich sehe, wie viele junge Menschen morgens hier zu uns fahren, weil sie hier arbeiten, dann frage ich mich: Wieso ziehen sie nicht hierher? Wieso nehmen sie lieber die Pendlerei zum Beispiel aus dem Ruhrgebiet eher auf sich, als dorthin zu ziehen, wo sie arbeiten?“ Der Heimatvereinsvorsitzende schreitet schneller den Hang hinauf, das Thema bewegt ihn. „Vielleicht fehlt hier ja doch etwas bei uns.“ Was das sein könnte, wie man das Möhnetal für Neubürger attraktiver machen könnte – mit diesen Fragen beschäftigt sich Marx schon seit 20 Jahren. So lange ist der Sichtigvorer im Arbeitskreis für Heimatpflege aktiv.
Der Vater lehrte ihn das Schmieden
„Schuld“ ist im gewissen Sinne sein Vater. Der war Kettenschmied und lehrte den Sohn, wie man eine Kette richtig schmiedet – und wie man sich für seinen Heimatort engagieren kann. Peter Marx muss lächeln, wenn er daran denkt. „Ja, man hat mich da vielleicht ein bisschen reingelockt. Aber als ich mit dem Schmieden angefangen habe, habe ich auch erst gesehen, wie viel Spass das macht, den Menschen zu erzählen, was es mit der Geschichte des Schmiedens in unserem Ort auf sich hat. Und es ist toll, wenn man plötzlich Hintergründe kennt und versteht.“ Heute steht Peter Marx als einer von sieben Schmieden im Kettenschmiedemuseum regelmäßig am Schmiedefeuer und gibt Besuchergruppen Einblicke in die hohe Kunst des Schmiedens und ihre einstige Bedeutung für das Kirchspiel. „Wir führen nicht nur vor, wir erzählen auch, wie es damals zur Kettenschmiede-Arbeit im Möhnetal kam. Die Gespräche, die sich daraus teilweise mit den Besuchern ergeben, sind schön und oftmals auch sehr lustig. Es ist eine tolle Arbeit.“ Diese Gespräche sind es auch, die Peter Marx antreiben, die ihm zeigen: Die Arbeit des Heimatvereins wird angenommen. Kann Geschichte, noch dazu Heimatgeschichte, denn überhaupt attraktiv sein? Schreckt nicht allein schon der nach verstaubten Büchern und uralten Traditionen klingende Begriff Menschen ab? Peter Marx lächelt, lässt sich nicht provozieren. „Wir haben zur Zeit 270 Mitglieder, die aus allen Ortsteilen kommen. Das sieht nicht danach aus, als würde Heimatgeschichte abschrecken, oder?“ Längst nicht alle bringen sich in die Vereinsarbeit so ein wie die Vorstandsmitglieder um Peter Marx und Ortsheimatpfleger Willi Hecker, aber Marx weiß, dass auch gerade diejenigen, die „nur“ Mitglied sind, einen wichtigen Beitrag leisten. „Wir haben viele Mitglieder, die gar nicht mehr bei uns im Möhnetal wohnen, die unsere Arbeit aber durch ihren Mitgliedsbeitrag unterstützen“, freut sich Peter Marx, „sie sind vielleicht vor Jahren aus beruflichen Gründen von hier weggezogen, halten aber immer noch den Kontakt in die alte Heimat.“
Hintergründe faszinieren
Besonders schön findet Marx, dass diese Weggezogenen auch auf die Veröffentlichungen des Heimatblattes „Unser Kirchspiel“, das Willi Hecker in unregelmäßigen Abständen erstellt, zurückgreifen. Die heimathistorischen Aufsätze, die Hecker im humorvollen Erzählstil verfasst, stellt der Heimatverein auf seiner Internetseite zur Verfügung. „Und wir bekommen tolles Feedback von früheren Möhnetalern, die sich freuen, auf diese Weise etwas über ihre Heimat zu erfahren.“ Viele seien erstaunt, plötzlich Dinge über ihre Heimat zu erfahren, die sie noch gar nicht kannten. „Meine Erfahrung zeigt: Menschen freuen sich immer, wenn sie erfahren, wo die Hintergründe für die Gegebenheiten liegen, wie wir sie heute vorfinden.“
Wir haben mittlerweile den Turm „gefunden“. Bevor ich es anmerken kann, meint Peter Marx leicht erstaunt: „Ich glaube, wir waren ziemlich schnell, oder?“ 34 Minuten. Das ist Rekord - für mich zumindest. „Doch, das war schnell, mir ist warm geworden.“ Beruhigend, wenn ein Alpin-Wanderer das sagt.
Die Puste reicht aber natürlich noch für den Aufstieg. Schließlich behauptet Peter Marx etwas, das es zu überprüfen gilt: „Man kann das Hermannsdenkmal von dort oben sehen, wenn die Sicht gut ist. Wir könnten heute Glück haben.“ Das Hermannsdenkmal? Ich bin mehr als skeptisch, aber neugierig. Oben angekommen, wird schnell klar, wieso Peter Marx vom Lörmecketurm aus Landmarken sehen kann, die andere vermutlich nicht mal erahnen würden. Der Mann war jahrelang in der Landesvermessung tätig, kennt so ziemlich jede Anhöhe im Sauerland. „Man kann von hier oben vieles sehen; die Betonung liegt dabei aber auf ‘kann’“, erklärt Peter Marx. Wir haben heute kein Glück, die Sicht ist zu verhangen. Etwas anderes sehen wir auch nicht und das ärgert Peter Marx ein wenig: „Dieser Turm ist so schön, aber wirklich schade ist doch, dass man unser Möhnetal von hier oben nicht sehen kann.“ Tatsächlich lässt sich allein Taubeneiche vage erahnen. „Naja, wir wollen mal hoffen, dass die Warsteiner das Möhnetal zumindest gedanklich aber sehen“, fügt Marx mit leichter Ironie hinzu, „manchmal hat man ja doch das Gefühl, dass man am Rande der Kernstadt nicht so wahrgenommen wird, wie man sich das wünscht.“ Zurück auf dem Boden, von wo aus man weder Warstein noch das Möhnetal sieht, führt der 55-Jährige den Gedankengang weiter. „Es ist nun mal so, dass viele Aufgaben, die die Stadt früher auch in den Ortsteilen übernommen hat, mittlerweile weggebrochen sind. Aber das kann auch eine Chance für uns sein.“
Die Geschicke des Ortes selbst in die Hand nehmen, die Initiative dort ergreifen, wo es dringend nötig ist – mehr als alle anderen seien da die Vereine eines Ortes gefragt. Sie können Impulse geben, wie ihre Heimat aussehen soll, meint Marx. „Wir haben mit dem Gasthof Schöne doch ein Paradebeispiel, was mit Häusern passieren kann, wenn man sich nicht um sie kümmert“, ärgert sich der 55-Jährige, „da muss die Initiative natürlich vom Eigentümer kommen. Aber auch wir als ganzer Ort können da Signale senden.“ Wenn er Auswärtigen sage, wo er wohne, käme oft die Gegenfrage: „Ach, das ist da, wo dieses verfallene Haus am Kreisverkehr steht, oder?“ Solche Fragen ärgern Peter Marx. „Das wäre das Schlimmste, wenn unsere Kinder irgendwann keine Lust mehr haben, hier zu wohnen, weil alles verfällt.“ Dabei sei gerade das Kirchspiel eigentlich gut aufgestellt, was Infrastruktur und Freizeitangebote angehe. „Damit müssen wir wuchern, dass wir hier eine tolle geografische Lage haben und optimale Anbindungen.“ Fast schon klingt es nach Politik, doch Peter Marx bremst: „Natürlich ist der Heimatverein nicht unpolitisch, das kann er gar nicht sein. Unser Anliegen ist es doch, unsere Heimat für alle Menschen lebenswert zu machen. Aber wir sind nicht parteigebunden, das ist das Schöne. Jeder, dem etwas an seiner Heimat Möhnetal liegt, kann bei uns etwas bewegen.“
Am Parkplatz angekommen, verrät Peter Marx dann noch, dass sein Herz nicht nur für das Möhnetal schlägt. Heute abend wird er mitfiebern, mit seinem BVB. „Das wird ganz heftig, ich traue mich gar nicht, ein Ergebnis zu tippen.“ Ein bisschen sei Fußball ja auch wie das politische Geschehen in Warstein, lacht Peter Marx: „Ein wenig Kirchturmdenken ist doch immer dabei.“