Warstein. . Die Frau strahlt schon auf den ersten Blick pure Energie aus. Und das, obwohl sie gerade eine Erkältung hinter sich hat. „Dann schauen wir mal, wie weit wir heute so den Berg raufkommen.“ Die Geschäftsführerin des Forum Jugendarbeit sprüht vor Tatendrang.

Eine Eigenschaft, die sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeit zieht, das wird sich im Laufe unseres Gesprächs herausstellen.

Gleich die ersten Meter auf dem Weg zum Turm nutzt Gudrun Brandes, um ihre Verwunderung auszudrücken. Verwunderung darüber, dass sie nun hier mit mir wandert. „Glauben Sie wirklich, dass das so interessant ist, was ich zu sagen habe? Das was ich mache, ist für mich so selbstverständlich, dass ich da auch nie auch nur annähernd annehme, dass es was Besonderes sein könnte.“

Die Liste dessen, was für die sympathische 53-Jährige so selbstverständlich ist, ist lang: Als Geschäftsführerin des Forums Jugendarbeit koordiniert sie die Arbeit der 21 Mitarbeiter im Offenen Ganztag an den Grundschulen, die Betreuung im Belecker Schulzentrum und in den Jugendtreffs in Warstein und Belecke. Als amtierende Präsidentin des Lions-Club Anröchte-Warstein-Rüthen plant sie Veranstaltungen, akquiriert Spenden und repräsentiert die Arbeit des Clubs. Und einfach „nur“ als Gudrun Brandes? Da ist sie Mitglied der Kulturinitiative, leidenschaftliche Literaturfreundin, Hobbymalerin und Reisende. Und alles mit voller Energie. Woher sie die nimmt? „Irgendwie macht man es mit einer Selbstverständlichkeit, einfach, weil ich es gerne mache.“

Mit und vor allem für Menschen zu arbeiten – dass sie das wollte, das stand für Gudrun Brandes früh fest: „Für mich war es immer klar, dass ich mit Menschen arbeiten wollte, mit Kleinen und Großen“, erzählt die Diplom Sozialpädagogin. Mit beiden hat sie heute zu tun: Mit den „Kleinen“ bei Besuchen im Ganztag der Grundschulen oder in den Jugendtreffs, mit den „Großen“ in ihren Gesprächen und Verhandlungen mit Verwaltung, Schulen und Ämtern. Bei ihr treffen die alltäglichen Probleme der Jugendarbeit auf die Vorgaben und Möglichkeiten der Gesetze und Verordnungen.

Eine Gratwanderung? Grudrun Brandes schüttelt den Kopf. „Ich profitiere in meiner heutigen Arbeit sehr von meinen Erfahrungen, die ich während meiner Zeit in Lippstadt gesammelt habe.“ Im Lippstädter Süden arbeitete die Beleckerin fünfzehn Jahre für den SKM – in einem sozialen Brennpunkt. Eine Zeit, die sie geprägt hat. Gudrun Brandes wird nachdenklich. „Da bekommt man die ganze Bandbreite mit, was das Leben bereit hält, wenn es eben nicht so toll läuft.“ Gespräche mit Menschen, die sich seit Jahren in der Sozialhilfe befinden und wo bereits für die Kinder keine Perspektive erkennbar war, gehörten zum Alltag. Ernüchternde, teilweise erschütternde Situationen, die Gudrun Brandes aber erst recht darin bestärkten, dass sie dort gebraucht wird. „Wir konnten durch diese Gespräche sehr gut mitbekommen, wer Gefahr läuft, auf der Strecke zu bleiben“, erinnert sie sich, „das habe ich als Bestätigung gesehen, dass man da helfen kann.

Ein Schreibtisch-Job wäre nichts für Gudrun Brandes 

Das klappt zwar nicht immer, aber wenn man es nur ein paar Kindern ermöglicht hat, aus dem Kreis rauszukommen, dann hat man schon viel erreicht. Das ist doch toll!“ Da ist er, der Tatendrang. Das kalte Winterwetter um uns herum scheint Gurdrun Brandes in diesem Moment nicht wahrzunehmen, sie redet lebhaft weiter. „Wenn man im Schicksal von Menschen die ein oder andere Weiche stellen konnte, die in die richtige Richtung geht, das ist doch eine echt befriedigende Arbeit, oder nicht?“ Es ist ehrliche Freude, die aus Gudrun Brandes’ Gesicht spricht. Einen 08/15-Schreibtisch-Job kann man sich bei dieser Frau wirklich nicht vorstellen. „Um Gottes Willen, nein, das wäre gar nicht meine Welt“, winkt sie ab, „die menschlichen Geschichten sind es, die mich freuen.“

Doch menschliche Geschichten sind nicht immer schön. Auch bei Gudrun Brandes war irgendwann der Punkt erreicht, wo sie merkte, dass ihre Motivation unter den vielen dunklen Momenten, die ihr in ihrer täglichen Arbeit in Lippstadt begegneten, litt. „Irgendwann war dann der Moment da, wo ich merkte, dass ich jetzt mal was anderes machen musste“, weiß die Pädagogin genau, wie schwer es ist, sich seinen Idealismus und Tatendrang zu erhalten, wenn man immer wieder mit widrigen Lebensbedingungen konfrontiert wird. „Ein Hauptteil unserer Arbeit im sozialen Bereich ist frustrierend, das ist einfach so.“ Aber ihre Erfahrungen lehrten sie auch, die Dinge nicht mit nach Hause zu nehmen. „Klar, die dramatischen Situationen bleiben in Erinnerung, aber mit der Zeit lernt man, das Alltagsgeschäft nicht mit ins Private zu nehmen. Das muss man auch!“

Der halbe Weg ist geschafft, wir machen Rast – doch nur unsere Beine kommen zur Ruhe. Ich will von Gudrun Brandes wissen, wie sie überhaupt dazu kommt, sich so vielseitig zu engagieren. Ich ernte einen leicht erstaunten Blick, dann ein Lachen. „Engagieren war immer schon mein Ding; ich meine, das kann doch auch wirklich jeder.“ Trotz Verschnaufpause sprudelt es nur so aus der 53-Jährigen heraus: „In einem gewissen Umfang kann doch jeder was machen. Uns geht es gut, also wieso sollten wir nicht anderen helfen?“ Auffällig: Die Beleckerin redet nicht über ihr Engagement, ihre Arbeit, sondern über „uns“, jeder ist gemeint, wenn sie erklärt, wieso ehrenamtlicher Einsatz so selbstverständlich sei. Denn genau das ist er, meint Gudrun Brandes. „Es gibt nichts Befriedigenderes, als wenn man durch eine Spende oder durch direkte Unterstützung was bewegen und helfen kann.“

Und dann lacht sie und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: „Ich finde Menschen, die sich für überhaupt nichts engagieren, komisch. Dass die nicht das Bedürfnis haben, auch mal was für andere zu tun.“ Jetzt schwingt wieder etwas Erstaunen, fast schon Ungläubigkeit in ihrer Stimme mit. „Man sieht Leute, von denen man weiß, dass die Zeit hätten und eigentlich vom Hintergrund her gut geeignet wären, zu helfen. Und die tun dann nichts. Da gibt es leider genug von.“

Engagierte Jugendliche gesucht - auch von Gudrun Brandes 

Sich engagieren, eigene Freizeit opfern, das muss man wollen, nur dann klappt es, so das Fazit von Gudrun Brandes. Ein Wille, den die Pädagogin gerade bei der Jugend zunehmend vermisst. „Es sind in erster Linie die Älteren, die im Ehrenamt aktiv sind. Das wird uns künftig fehlen, da wird was wegbrechen.“ Die Jugendlichen heute seien viel egoistischer geworden, kümmerten sich vornehmlich um ihre eigene Welt. Vielleicht engagieren sie sich kurzzeitig mal, aber nur so lange es Spaß mache – diese Erfahrung hat Gudrun Brandes schon häufig gemacht.

Aber sie kennt auch die jungen Menschen, die sich dann doch längerfristig engagieren. „Ein positives Beispiel haben wir direkt bei uns im Jugendtreff mit der Cocktailbar ‘Katerfrei’. Da haben wir sehr zuverlässige und engagierte junge Leute“, schwärmt sie, „man muss halt spannende Sachen suchen, die sie auch interessieren.“ Ein interessanter Nebenaspekt, den Gudrun Brandes in ihrer Arbeit mit den Jugendlichen häufig erlebt: Oft sind es ausgerechnet die Jugendlichen, von denen es man am wenigsten erwartet, die sich letztlich engagieren. Umgekehrt gäbe es aber auch die, denen man es zutraut, die dann aber „nicht aus dem Quark kommen“, lacht Gudrun Brandes.

Einen extra Ansporn, sich zu engagieren, brauchte sie selbst nie. „Das ist aber auch familiär bedingt, meine Geschwister sind auch alle so und schon immer so gewesen. Wir engagieren uns für Kinder, für Tiere, sind immer irgendwo involviert.“ Sie selbst ist durch ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin nicht mehr so eng an der Basis der Jugendarbeit, spricht aber intensiv mit ihren Mitarbeiterinnen über anstehende Projekte und besucht alle Standorte regelmäßig. Und sie weiß, wo der Schuh drückt: „Wir sehen in den Projekten so viele Kinder, die es bitter nötig hätten, betreut zu werden, an die man aber nicht rankommt. Da spielt natürlich die sehr eng gestrickte finanzielle Situation eine Rolle.“ Wird nur eine der Mitarbeiterinnen aus dem Pool der OGS-Kräfte krank, gerät das gesamte System ins Wanken. „In dem ganzen Bereich ist es mit den Finanzen eng“, benennt Gudrun Brandes das Hauptproblem, „man könnte natürlich viel mehr machen, wenn die finanziellen Möglichkeiten da wären.“

"Warstein bemüht sich im Rahmen der Möglichkeiten" 

Gerade im Bereich der Jugendhilfe bekäme man es sehr deutlich zu spüren, dass die Städte unterschiedlich aufgestellt seien, was ihre Finanzen betrifft. Beschweren will sie sich aber dennoch nicht. „Nein, ich denke, Warstein bemüht sich schon, im Rahmen seiner Möglichkeiten, was zu tun.“ Mitten in der Diskussion um die Finanzen erreichen wir den Turm, schauen einmal hoch, kapitulieren vor der Horde Kindergartenkinder und einigen uns schnell, auf den Aufstieg zu verzichten. Die Frage, wie weit eine Stadt auf Jugendarbeit verzichten kann, ist auch gerade wesentlich spannender.

Und Gudrun Brandes wieder voller Energie. „Wir müssen als Stadt sehen, dass wir gerade den jungen Menschen etwas bieten und in sie auch investieren, gerade wenn sie Probleme haben.“ Präventive Arbeit wie beispielsweise die offenen Beratungen im Jugendtreff oder weiterführende Hilfen – was vernünftig klingt, kann aber nicht in kalkulierbaren Erfolgen angegeben werden. Für Gudrun Brandes liegt hier das Problem präventiver Arbeit: „Man kann es nicht auf Heller und Pfennig ausrechnen, was dabei rumkommt. Aber wenn ich überlege, welche Kosten allein nur eine vermiedene Heimunterbringung einsparen könnte, abgesehen davon, was das Positives schon allein für das Kind bedeutet.“

Politik kommt nicht in Frage

Die Arbeit mit großen und kleinen Menschen, sie liegt ihr am Herzen – aber es sind doch irgendwie mehr die Kleinen, die Gudrun Brandes ganz besonders wichtig sind. „Wenn ich vor Ort in den Projekten bin, dann denke ich oft ‘Was sind das für tolle Kinder, so aufgeweckt.’ Es macht einfach viel Spaß, sich mit diesen Kindern und Jugendlichen auseinander zu setzen“, erzählt die Pädagogin mit leuchtenden Augen und fügt hinzu: „Komischerweise hatte ich immer ein Faible für die, die schwierig sind.“Wer so viel Energie und Erfahrungen mit schwierigen Menschen hat, wäre der nicht in der Politik gut aufgehoben? „Nein!“, die Antwort kommt blitzschnell. „Ich finde es großartig, wenn sich Menschen politisch engagieren, aber das, was dabei rauskommt, ist leider selten etwas Handfestes. Da wird immer vertagt und gestritten“, schüttelt Gudrun Brandes den Kopf, als wir wieder am Parkplatz eintreffen, „nein, das wäre definitiv nichts für mich.“ Aber Engagieren, das ist etwas für sie – daran besteht kein Zweifel mehr.