Warstein. . So etwas kann man sich ja eigentlich gar nicht ausdenken; allenfalls Rosenmontag nach dem 32. Bier: Da ist jemand überzeugter Karnevalist vom Scheitel bis zur Sohle, hat in Belecke fast keine Minute Narretei und Frohsinn ausgelassen. Und dann, ja dann wird er Prinz Karneval.
Aber dass er ausgerechnet in dem Jahr zum Prinz gekürt wird, in dem er 50 Jahre alt wird (gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Udo), ist mehr als eine Fußnote. Aber damit nicht genug: Arno Döben ist in diesem Jahr nicht nur der Belecker Prinz, der 50 Jahre alt wird. Nein, dieser runde Geburtstag fällt auch noch mitten in das Dauerfeuer karnevalistischer Höhepunkte: Weiberfastnacht hat Prinz Arno „genullt“. Ja geht’s denn noch? Kamelle, de Prinz kütt und einen nachträglichen Geburtstagstusch noch obendrauf!!!
Als Arno Döben diese Geschichte erzählt, ist er noch 49 und wird gleich närrisch: „Wenn ich 2014 abdanke, bin ich 51 Jahre. Ich bin also zwei Jahre lang Prinz in Belecke…“
Wir haben uns an einem grautrüben Morgen am Parkplatz unterhalb des Stimm Stamms getroffen. Nach tagelangem Dauerfrost und infernalischem Schneegebläse hat unten (im Warsteiner Tal) ein gigantischer Föhn den Schnee von gestern schon in Matsch verwandelt.
Hier oben aber ist noch ein Hauch von Winterwunderland; auch wenn es von den Ästen bisweilen schon feucht tropft und der Wind in den Baumwipfeln ungemütlich faucht.
Arno Döben hat die Geschichte über seinen Geburtstag, die eigentlich wie eine Pointe bei einem guten Witz an das Ende dieses Textes gehört, gleich zu Beginn erzählt, als er die wichtigsten biografischen Eckwerte zu seiner Person zu Protokoll gibt. Dass auf ihn die Wahl zu einem „Talk am Turm“ mit leichtem Konfetti-Hintergrund gefallen ist, hat ihn offenbar überrascht: „Ganz ehrlich, ich habe nicht damit gerechnet, dass die WP ausgerechnet mich dafür aussuchen würde.“
Warum eigentlich nicht?
Schließlich ist Arno Döben einer, der in Belecke unheimlich viele Fäden in der Hand hält, vor allem beim Sportverein TuS Belecke. Dort ist er seit einigen Jahren Vorsitzender. Auch deshalb ist seine Eingangsfrage, ob er für die Fotos die Turnschuhe oder lieber Prinzenzepter mitnehmen soll, durchaus berechtigt. Wir entscheiden uns für das Zepter. Sein geliebter TuS, mit 1700 Mitgliedern der größte Belecker Verein, soll heute ausnahmsweise nur die zweite Geige spielen.
Also widmen wir uns hochehrfurchtsvoll Prinz Arno.
„Ich habe schon gedacht, ihr würdet mich nie fragen“, soll er gesagt haben, als ihn das Prinzenkomitee aufgesucht hat. Stimmt das? „Ja, so oder so ähnlich.“ Prinz also ein Herzenswunsch? „Ja und Nein. Irgendwie habe ich mir das selber vielleicht nicht so recht zugetraut. Ich bin ja kein Alpha-Karnevalist; kein Schenkelklopfertyp, der vorweggeht, alle zum Lachen bringt und das Volk hinter einem herrennt.“
Aha, was bitteschön ist er dann, der Herr Döben? Was zeichnet ihn denn aus, im traditionsreichen Belecke das noch traditionsreichere Amt des Prinzen nicht nur zu bekleiden, sondern auch zu leben?
Die Antwort auf diese Frage liefert ein Schlüsselerlebnis. Und wie das bei Schlüsselerlebnissen oft so ist, müssen wir zurück in die Vergangenheit. Die Zeitreise führt (ungefähr) ins Jahr 1980. Arno Döben war also 17, als er seine erste Karnevalssession so richtig und bewusst (mit)erlebt hat. „Damals gab es noch eine Veranstaltung, die sich Behindertenkarneval nannte. Wir waren als Jugendliche aktiv dabei. Ich habe da Menschen erlebt, die sich so richtig schön ehrlich gefreut haben. Das hat mich tief beeindruckt. Da habe ich zum ersten Mal gespürt, dass Karneval viel mehr ist, als nur derbe Witze klopfen. In erster Linie geht es doch darum, den Menschen Freude zu vermitteln.“
An dieser Stelle kommt das Prinzenzepter ins Spiel, das Arno Döben bei unserem Marsch durch den knirschenden Schnee mit sich führt und für ihn mehr als nur bloße Symbolik darstellt. Der kunstvoll geschnitzte Kopf ist nämlich so etwas wie das Sinnbild des eigentlichen Karnevals. Ein Sinnbild, das im Konfetti- und Luftschlangenregen leider oft untergeht: „Die lachende Seite des Zepters muss man immer zum Volk hin halten“, doziert Döben, „damit das Volk auch zurücklacht. Man darf also nicht die grimmige Seite zeigen. Das Zepter hat quasi eine Spiegelfunktion. Das lachende Volk, der lachende Prinz, das lachende Zepter. Das ist auch so eine Art Dreigestirn.“
Mmhh. Hört sich gut an. Aber es gibt ja auch die andere Seite, die grimmige, die der Kopf am Zepter ebenfalls symbolisiert. Auch die kennt Arno Döben. Als Gerichtsvollzieher am Amtsgericht Warstein wird er damit allzu oft konfrontiert. „Ja, es stimmt“, sagt er und rückt die Prinzenmütze gerade, „ich kenne beide Seiten, schon von Berufswegen kenne ich die.“
Auch als Gerichtsvollzieher versucht sich Arno Döben als ein Mann des Ausgleichs. Er ist keiner von der Sorte, die sich am Leid der anderen weiden. Wenn er „in offizieller Mission“ an einer Haustür klingelt, dann weiß er, dass dieser Mensch, der ihm gleich die Tür öffnen wird, möglicherweise eine Talfahrt hinter sich hat, bei der er zwar der Hauptdarsteller ist, aber nur wenige Möglichkeiten hatte, diese zu stoppen. „Man braucht bei dieser Arbeit vor allem Einfühlungsvermögen; man ist eben auch Berater und manchmal sogar Pastor. Ich sage immer: Zu meiner Beerdigung, die hoffentlich noch lange auf sich warten lässt, sollen beide kommen – Schuldner und Gläubiger.“
Beerdigung. Gerichtsvollzieher. Noch mehr Stimmungskiller braucht es nun wirklich nicht. Ich will Konfetti und Luftschlangen und schwenke deshalb schnell zum Thema Karneval zurück. Wie war denn Ihre Beziehung zum Belecker Karneval, bevor der große Ruf Sie ereilte? „Intensiv, sehr intensiv, auch wenn ich nicht so ein richtig aktiver Karnevalist bin“, sagt Arno Döben und für einen kurzen Moment umspielt ein schwärmerisches Lächeln seinen Mundwinkel. „Ich habe praktisch alles mitgemacht. Auf der Bühne, vor der Bühne. Im Zug, am Straßenrand. Das ist vielleicht ein Vorteil, den ich habe: Ich kenne den Belecker Karneval von innen und von außen.“
Wir sind am Lörmecketurm angegangen. Dessen Spitze verschwindet in einer wintergrauen Watte. „Da oben“, sagt Fotograf Tim Cordes und schaut zu den 35 Metern hoch, „wird man heute keine guten Fotos machen können.“ Es gibt Sätze, die motivieren. Dieser Satz gehört ganz eindeutig in diese Kategorie: Wir sind bis in die Haarspitzen motiviert, unten zu bleiben und uns den beschwerlichen Aufstieg zu schenken.
Stattdessen greifen wir zu den Luftschlangen, die ich mitgebracht habe. Luftschlangen blasen – das sollte zu den Kernkompetenzen eines Prinzen gehören. Zu denen eines Journalisten weniger. Der Prinz ist klar im Vorteil und bläst machtvoll und doch filigran die Papierschlangen in Richtung Kameralinse. „Kleiner Tipp: Nehmen Sie immer zwei auf einmal. Das klappt besser,“ empfiehlt seine karnevalistische Hoheit mit Blick auf meine stümperhaften Versuche.
Wir müssen noch klären, wie denn die Familienreaktion auf die Ernennung war. Döben schmunzelt wieder und hat in diesem Moment vermutlich die verdutzten Gesichter seiner drei Töchter Yvonne (22), Nadine (19) und Daniela (12) vor Augen. „Meine Frau Conny“ verrät er, „war natürlich eingeweiht. Man kann so etwas ja nicht machen, wenn die Ehefrau nicht dahintersteht.“
Bei den Töchtern war das schon etwas anderes. Alle drei haben von den Eltern diesen „Bazillus Karnevalitis“ geerbt und sind im Belecker Karneval aktiv. Yvonne zum Beispiel, die in Köln Sport studiert, leitet die Tanzgruppe. „Die beiden jüngsten Kinder haben vor der Prunksitzung nichts erfahren. Sie haben mich zwar immer wieder gelöchert, weil ich schon seit einigen Jahren im Gerüchtepool gehandelt werde. Aber wir haben nichts verraten.“ Und wie war dann die Reaktion, als der Papa plötzlich als Prinz in die Halle einmarschiert? „Ich habe ein liebevolles ,Du Blödmann’ mit auf den Weg bekommen…“
An diesem trüben Tag sind nur wenige Spaziergänger unterwegs. Ein älteres Paar kommt uns entgegen und grüßt mit einem fröhlichen Alaaf und Helau. Das gibt mir Gelegenheit, noch einmal nachzuhaken, was dem Herrn Döben denn am Karneval so gefällt. Er muss nicht lange überlegen. Ohnehin kommen seine Antworten stets schnell und präzise. So wie bei einem Menschen, der die meisten Fragen, die das Leben stellt, offenbar schon für sich beantwortet hat.
„Ich mag es einfach, wenn die Menschen fröhlich sind und ich einen Teil zu dieser Fröhlichkeit beitragen kann.“ Die berühmten Sorgen des Alltags also einfach für ein paar Stunden, vielleicht sogar für ein paar Tage vergessen.?„Ja, auch das gehört dazu. Freude geben, Freude tanken, Probleme hinter sich lassen. Ganz viel Lachen, denn Lachen ist bekanntlich die beste Medizin.“
Und Aschermittwoch ist dann alles vorbei? „Ja, dann wird ganz tief durchgeatmet. Und vermutlich freue ich mich dann sogar auf ein Glas Mineralwasser.“ Aber bis dahin ist es ja noch ein paar Tage hin. Genießen Sie diese tollen Tage, Prinz Döben. Und mit Ihnen alle Narren in Belecke und anderswo. Helau!!!