Arnsberg/Sundern. Tendenziell steigende Altersarmut in Arnsberg und Sundern gibt Grund zur Sorge. Christel H. ist nur ein Beispiel. Was sie sagt, ist bezeichnend.

„Kaviar und Brötchen. Ein bisschen Lachs dabei. Das war großartig“, sagt Christel H. Gegessen hat sie dies vor zwei Jahren. „Ich habe mir damals etwas Geld an die Seite gelegt – für Weihnachten“. Christel H. lebt von ihrer Regelaltersrente und einer Aufstockung durch die Grundsicherung des Amts. Im Monat hat sie gerade einmal „900 Euro und ein paar Kaputte“. Den Kaviar aus dem Discounter leistet sie sich sonst nicht.

Seit 23 Jahren lebt Christel H. in einer der Single-Wohnungen des Service-Hauses Arnsberg. Gemütlich hat sie es. Klein, aber liebevoll eingerichtet. Antike Möbel gepaart mit moderner Dekoration. Mit ihrem Rollator kommt sie trotz Enge gut durch. Es sei denn, ihre schwarze Perserkurzhaar-Katze stellt sich ihr in den Weg. Ihre Spuren sind auch an Christels Lieblingssessel zu sehen. Doch sie brauche, so erklärt es die 81-Jährige, „Leben in der Bude“. Ein „Luxusleben“ ist das nicht. Die Wohnung hat sie aufgrund ihres Wohnberechtigungsscheins.

Altersarmut in Arnsberg und Sundern tendenziell steigend

Normal würde die Miete inklusive Nebenkosten etwa 451,05 € betragen, doch Christel H. zahlt freiwillig 50 Euro mehr. „Vorsichtshalber. Ich möchte hinterher keine böse Überraschung erleben“, sagt sie. Abzüglich weiterer Kosten für Strom und Telefon/TV bleiben Christel H. monatlich etwa 272,95 Euro zum Leben, durchschnittlich 9,10 Euro pro Tag.

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Christel H. ist eine von 889 Personen über 65 Jahren in Arnsberg, die auf die kommunale Grundsicherung angewiesen sind. In Arnsberg sind es damit 205 Menschen im Alter mehr als noch im Jahr 2019. Hinzu kommen 168 Personen über 60 Jahren, die Wohngeld beziehen. Sundern zählt 164 Bezieher einer Regelaltersrente bzw. Personen im Rentenalter ohne Rentenanspruch, die eine Grundsicherung nach dem SGB XII erhalten. 22 Menschen im Alter mehr als noch vor Corona im Jahr 2019. 89 weitere Rentnerinnen und Rentner sind auf Wohngeld angewiesen. Drei Menschen über 65 Jahren in Sundern erhalten Leistungen nach dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen.

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„Die Stadt Sundern bereitet sich aufgrund der aktuellen Entwicklung auf weiter steigende Antragszahlen und Beratungsbedarfe vor“, so Petra Harmann-Schmidt aus dem Rathaus in Sundern.

Nach Brand: Edeka fehlt ihr in Hüsten

Mit all diesen Zahlen kann Christel H. nichts anfangen, konzentriert sie sich doch eher darauf, irgendwie über den Monat zu kommen. „Ich muss mich schon verdammt lang machen, dass ich damit klarkomme“, sagt sie. Sie hält eine Flasche Apfelwasser in der Hand. „Das hole ich sonst im Edeka – aber jetzt ist der ja zu“. Dass der Edeka direkt gegenüber wegen des Brands geschlossen hat, ist für Christel H. ein Desaster.

Denn sie ist nicht gut zu Fuß. Zudem am Herzen erkrankt. Sie sieht auch nicht mehr gut. Sie kann weder zum Aldi, geschweige denn zum Lidl. „Ich bekomme schon einen halben Herzklabaster, wenn ich in den Gemeinschaftsraum der Wohnanlage und zurück in meine Wohnung gehe“, sagt sie und grinst.

„Irgendwo habe ich noch eine Karte von der Arnsberger Tafel, glaube ich“

Auch der Gang zur Tafel fällt ihr demnach schwer. „Irgendwo habe ich noch eine Karte von der Arnsberger Tafel, glaube ich“, sagt Christel H. Wenn ihr Sohn Zeit fände, helfe er aus und gehe für sie mit Zettelchen einkaufen. Doch zunächst einmal wird all das vom Einkaufswunschzettel gestrichen, das nicht unbedingt notwendig ist. „Dann gibt´s halt mal nichts Besonderes“.

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© Funkegrafik NRW: Anna Stais

Ansonsten landen nur Produkte im Einkaufswagen, die um 50 Prozent reduziert sind. „Sonst käme ich gar nicht über die Runden“, sagt Christel und wechselt das Thema. Es ist ihr anzusehen, dass es sie mehr schmerzt als sie hier zuzugeben vermag.

Stolz an die Seite legen

Christel H. erzählt, dass sie viele ältere Menschen in ihrer Situation kenne, die sich jedoch nicht trauen würden, zum Amt zu gehen. „Es ist bei vielen der Stolz“, sagt sie, „wenn man sich ein Leben lang den Rücken buckelig gemacht hat, dann sollte man seinen Stolz an die Seite legen und ruhig ein bisschen was vom Staat zurückfordern. Man hat ja auch genug eingezahlt“. Auch die Beantragung eines Wohnberechtigungsscheins empfiehlt sie - leider würden viele ältere Menschen davon nichts wissen wollen. Doch es sei ihr gutes Recht.

Christel H. steckt mitten in der Pflegestufe II mit der Folge, dass sie zweimal am Tag Besuch von einer Caritas-Pflegekraft bekommt, die ihr die Kompressionsstrümpfe jeweils an- und auszieht. Seit ihrer Knie-OP vor 13 Jahren ginge es ihr immer schlechter.

Ein Grund mit, warum sie auch eine Putzkraft hat, die vierzehntägig vorbeikommt und ihre Wohnung putzt. Die Pflegestufe ermöglicht ihr, dass hier keine zusätzlichen Kosten anfallen. Christel H. wirkt vom Leben gezeichnet und vom Alter gebeutelt - verliert jedoch ihre Freude nicht. „Es ist, wie es ist“, sagt sie.

Unterstützung fordern und annehmen

Eine Anlaufstelle für alle Menschen, nah an individuellen Bedürfnissen, insbesondere auch in Not vor Ort, sind die inpetto Beratungszentren der Caritas in Arnsberg, Neheim, Hüsten und Sundern.

Sundern:

Ein weiteres Angebot stellt die örtliche „Tafel“ dar. Einmal in der Woche können Lebensmittel eingekauft werden. Zudem gibt es noch das örtliche Sozialkaufhaus der GAB, Hauptstr. 35, 59846 Sundern. Dort werden gebrauchte und aufbereitete Möbel, als auch Haushaltsgegenstände und Kleidung zum Kauf angeboten.

Arnsberg:

Auch in Arnsberg und Neheim-Hüsten ist die Arnsberger Tafel zu finden. Die Hauptzweigstelle im alten Güterbahnhof. Das Sozialkaufhaus DAL auf der Marktstraße 21 in Hüsten hält die Preise niedrig.

Infos unter: www.arnsberg.de/zukunft-alter/informationen/

Ein Leben voller Engagement

Christel wirkt wie eine Löwin, wenn es darum geht, Tipps für Menschen zu geben, denen es wie ihr geht. Kein Wunder, hat sie doch damals genau diesen Menschen helfend und unterstützend zur Seite gestanden. 17 Jahre lang ist sie im Service-Haus Arnsberg aktiv - Teil des Vereins „Im Alter Gemeinsam-IMAGE e.V“. Insgesamt ist Christel H. ein sehr aktiver Mensch - gewesen.

Mit 14 Jahren beginnt sie ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau (Verkäuferin) in einem mittlerweile nicht mehr vorhandenen Lebensmittelgeschäft. Ein paar Jahre später arbeitet sie aufgrund eines Umzugs in einem privaten Haushalt. Im technischen Trupp der Post arbeitet sie auch. Und letztendlich viele, viele Jahre in Spielhallen.

Zusätzlich adoptiert sie zwei Kinder, einen Jungen mit zehn Monaten und ein paar Jahre später noch ein Mädchen. „Das war eine sehr schwierige Zeit“, sagt Christel H. heute. Auch ihr Ehemann ist kein einfacher Mensch.

Insgesamt ist Christels Lebensgeschichte eine, die einem das Herz zerreißt. Lebenslang setzte sie sich für andere Menschen ein, angefangen mit zwei Adoptivkindern, hinweg über ihre eigene Mutter bis hin zu „fremden“ Menschen, die in finanziellen und sozialen Nöten steckten.