Siegen-Wittgenstein. . Der Kreis Siegen-Wittgenstein ist landesweit führend im Kampf gegen Komasaufen unter Kindern und Jugendlichen – um 80 Prozent ist die Zahl der Patienten in der DRK-Kinderklinik seit 2009 gesunken. Eine wesentliche Rolle spielt dabei der „Oma-Effekt“. Der sei eine Art Geheimwaffe, sagen Suchtexperten.
Um 80 Prozent ist die Zahl jugendlicher Komasäufer seit 2009 gesunken, von 101 Fällen auf 21 im Jahr 2013 – entgegen dem Landestrend, der auf hohem Niveau stagniert.
Das führen der Kreis und die DRK-Kinderklinik am Wellersberg auf das erfolgreiche Präventions- und Interventionsprojekt HaLT (Hart am Limit) zurück, „das Ergebnis harter Arbeit“, lobt Landrat Paul Breuer. Aufklärungs- und Vorbeugungsmaßnahmen seien überaus erfolgreich, eine wahre Geheimwaffe im Kampf gegen den Alkohol sind aber die Seniorenberater der Kinderklinik, die sich im Krankenhaus um ausnüchternde Jugendliche kümmern.
Erika Pramann und Bärbel Gelling sind solche Seniorberaterinnen. „Wenn ich am Wochenende Bereitschaft habe, bin ich erleichtert, wenn sich niemand besoffen hat“, sagt die pensionierte Beratungslehrerin. Wenn doch, fährt sie hin und redet mit Jugendlichen und Eltern – getrennt und nur wenn sie möchten. Was meistens der Fall ist. Das Konzept: Da ist einfach irgendwer zum Reden, keine Eltern oder Lehrer die Druck machen oder bestrafen wollen. „Jugendliche haben oft Zoff mit ihren Eltern“, ergänzt Bärbel Gelling, „aber zu Oma und Opa gehen sie gerne. Das nutzen wir aus.“ Ihre langjährige Berufserfahrung qualifiziert sie zusätzlich.
Ein Gespräch mit Seniorenberatern als Initialzündung
Zunächst klären sie die Situation: Weißt Du, warum Du hier bist? Und warum es Dir jetzt wieder gut geht? Wie geht es weiter, erzählst Du in der Schule, dass Du im Krankenhaus warst, wirst Du ausgelacht oder bewundert dafür? Wie willst Du Deinen Freunden beibringen, dass Du beim nächsten Mal nichts trinkst? Es geht den Beratern darum, eine Perspektive zu entwickeln und den verzweifelten und beschämten Jugendlichen ein unvoreingenommener Gesprächspartner zu sein.
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Dazu gehört auch, die Eltern zu beruhigen. „Ihre Reaktion reicht von panisch bis wütend“, sagt Pramann. „Das kommt meist zum ersten Mal und mehr aus Versehen vor, das ist nicht toll, aber kann passieren. Zwei Monate Hausarrest gehen da gar nicht.“ Dass ein junger Mensch ein zweites Mal eingeliefert werde, habe absoluten Seltenheitswert, vielmehr reiche oft dieses eine intensive Gespräch als Initialzündung für eine Verhaltensänderung. „Beim Bilanzgespräch nach vier Wochen haben die Jugendlichen ihre Situation angepackt.“ Überdies fungierten sie womöglich als Multiplikatoren, indem sie in ihrem Umfeld von ihren extrem unangenehmen Erfahrungen berichten.
Erwachsene kein gutes Vorbild für die Jugend
Aus Sicht der Krankenkassen macht das Konzept absolut Sinn – eine reine Rechenaufgabe. „Transport und Krankenhausaufenthalt kosten etwa 1600 Euro, die wir bezahlen“, erklärt Dietmar Müller (AOK). Gleichzeitig wurde in die Prävention investiert – angesichts gesunkener Fallzahlen eine deutliche Ersparnis. „Ein Problem ist die Wahrnehmung“, appelliert Müller an die Vorbildfunktion Erwachsener. Überall werde öffentlich Alkohol konsumiert – kein gutes Beispiel, um Kinder und Jugendliche vom Trinken abzuhalten.