Siegen. . Die Stimmung an der Uni Siegen ist angespannt: Am Mittwoch haben 100 Studenten einen Seminarraum besetzt. Sie protestieren gegen das universitäre System an sich. Doch auch Rektor Holger Burckhart steht in der Kritik. Im Interview erklärt er, warum er dafür Verständnis hat.

Vergangenen Mittwoch haben rund 100 Proteststudenten einen Seminarraum im Verwaltungsgebäude Herrengarten der Uni in der Siegener Innenstadt besetzt. Nach dieser aufsehenerregenden Aktion sprach Uni-Rektor Holger Burckhart mit unserer Zeitung über die Systemkritik der Studentenschaft, seine Rolle als Sündenbock und den Erlebnischarakter von Protestaktionen.

Herr Burckhart, Ihr Rektorat ist von Studenten besetzt worden, die vor allem das universitäre System an sich kritisierten. Nun stehen Sie dem reformierten System mit den Bachelor- und Masterstudiengängen ebenfalls durchaus kritisch gegenüber. Werden Sie missverstanden?

Burckhart: Ich werde in meiner Rolle missverstanden, aber ich kann die Studenten sehr gut verstehen. Ich als Universitätsrektor gelte nun mal als Galionsfigur dieser Universität und werde weniger als Hochschulpolitiker wahrgenommen. Deswegen kann ich schon nachvollziehen, dass sich die Kritik auf mich konzentriert. Die Missstände, die die Studenten subjektiv empfinden, machen sie an meiner Person fest. Ich werde ja nicht willentlich missverstanden, das ist eine Sache der perspektivischen Wahrnehmung.

Mediale Präsenz für nötige Transparenz

Unter den Proteststudenten gelten Sie ebenso als Person, die sich medial gern inszeniert und ins rechte Licht rückt. Da schwingt ein gewisser Opportunismusvorwurf mit. Wie beurteilen Sie das?

Uni-Rektor Holger Burckhart.
Uni-Rektor Holger Burckhart. © JSR

Wenn ich gefragt werde, stelle ich mich den Fragen. So versuche ich transparent zu machen, warum und auf welchem Wege gewisse Entscheidungen fallen. Es kann schon sein, dass man das Engagement, mit dem ich dies vortrage, mit diesen Attributen belegt. Vielleicht muss ich hier tatsächlich etwas dezenter werden. Aber der wesentliche Punkt, um den es mir geht in der medialen Präsenz, ist Transparenz. Auf diesem Wege kann ich einfach die meisten Menschen in der Region erreichen.

Stichwort Transparenz: Wie sind denn die offenkundigen Versäumnisse der vergangenen Jahre in der infrastrukturellen Entwicklung der Uni zu erklären?

Ich würde nicht von Versäumnissen sprechen, wir hatten andere Schwerpunkte. Wir waren sehr klein für eine Universität und haben zunächst einmal unsere Personalkapazität ausgebaut. Zu dieser Zeit hatten wir auch noch Raumkapazitäten, weil die Studierendenzahlen damals nicht so massiv gewachsen sind. Beim Hochschulpakt I war Siegen bei der Aufnahme neuer Studenten noch unter Limit, als ich an die Uni gekommen bin. Wir hätten also kein Geld bekommen. In meinem ersten Amtsjahr habe ich die Uni dann für neue Studenten geöffnet. Dadurch sind auf einen Schlag fünf Millionen Euro in die Kasse gespült worden. Dieses Geld liegt bei den Fakultäten, das können die verwenden. Und wir erweitern ja momentan unsere Raumkapazitäten für die Lehre, aber wir mussten natürlich auch Büros für unsere Mitarbeiter schaffen, da haben wir immer noch ein Defizit.

Studenten als Humankapital für die Wirtschaft fit machen

Sie betonen ja immer wieder, wie wichtig die Uni Siegen für die Region ist. Einerseits, um dem demografischen Wandel entgegenzuwirken und andererseits um junge Nachwuchskräfte für die heimische Wirtschaft zu rekrutieren. Haben die Studenten denn nicht recht, wenn sie kritisieren, ihre Studentenlaufbahn sei rein auf die Erfordernisse der Wirtschaft angepasst?

Das ist eine interessante Perspektive, aber ich richte mich nicht nach der Wirtschaft, sondern versuche, den Studierenden Möglichkeiten aufzuzeigen. Mir wäre es auch recht, wenn die Studierenden in einem der fortgeschrittenen Semester einfach mal einen Wechsel vollziehen, zum Beispiel für ein Jahr ins Ausland gehen. Wenn da Bewegung entstehen würde, könnte ich auch Partneruniversitäten im Ausland finden, um gemeinsame Studiengänge zu initiieren. Es geht mir nicht vorrangig darum, die Studierenden als sogenanntes Humankapital für die Wirtschaft fit zu machen, sondern im Gegenteil: Ich möchte die Region in die Pflicht nehmen für dieses Potenzial von Kreativität, das die Studierenden bieten, etwas zu tun.

Nochmal zurück zu den Protesten: Glauben Sie, die Studenten sind tatsächlich an der Sache interessiert oder ist dieser ganze Protest eher ein großes Happening für die?

Wenn man am Mittwoch in die sozialen Medien geschaut hat, war das zum Teil sicher auch Happening. Ich glaube aber, dass die Mehrzahl tatsächlich an der Sache interessiert ist. Zumindest hatte ich den Eindruck, als ich in die Gesichter der jungen Leute geschaut habe, als die im Rektorat waren. Viele haben ja berechtigte Sorgen und Nöte, wenn sie zum Beispiel nicht in ihre Veranstaltungen hineinkommen. Da haben die Studierenden schon einen Studienplatz, können aber trotzdem nicht studieren. Das nehme ich durchaus wahr und das verstehe ich auch. Ich hätte auch gerne mit den Studierenden diskutiert. Das war aber nicht gewollt.