Siegen. Wenn Kinder mitbekommen, dass ihre Eltern bald sterben, stehen Familien unter extremem Druck. Das Zentrum „Hörst Du mich?“ in Siegen hilft. Wie?
Das Schlimmste für die Kinder und Jugendlichen sei es, wenn nicht darüber gesprochen wird, sagt Katharina Jung. Wenn sie wüssten, dass Papa oder Mama bald sterben müssen, aber die Möglichkeit verwehrt sei, darüber zu reden. Im Beratungszentrum „Hörst Du mich?“, das Katharina Jung leitet, wird diese Möglichkeit geschaffen, jeweils individuell. „Wir haben kein Patentrezept. Jede Familie tickt anders.“
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„Hörst Du mich?“ begann 2017 als Projekt, inzwischen ist es eine feste Einrichtung des Caritasverbands Siegen-Wittgenstein. Das Angebot richtet sich an Kinder und Jugendliche, deren Eltern lebensbedrohlich erkrankt oder bereits verstorben sind. Das Team berät aber auch Eltern. Betroffene melden sich von sich aus, oft vermittelt über andere Stellen, die mit dem Zentrum im Austausch stehen. „Wir können aber auch auf Familien zugehen“, erklärt Katharina Jung, denn „die Hürde, in dieser Situation Hilfe anzunehmen, ist oft hoch“. Selbstverständlich geschieht das mit Fingerspitzengefühl. Es ist ein Angebot, keine Verpflichtung.
Siegen: Wenn Eltern todkrank sind, haben Kinder viele Fragen – und ein Recht auf Antworten
Menschen, die ihr Lebensende absehbar vor Augen haben, befinden sich bereits auf der individuellen Ebene in einer Extremsituation. Wenn dann noch Kinder da sind, kommt eine weitere Dimension hinzu. „Die Eltern stehen unter einem enormen Druck“, sagt Katharina Jung. Oft öffnet sich ein Spannungsfeld zwischen den eigenen Bedürfnissen und dem Anspruch, die Kinder vor der niederschmetternden Wahrheit zu schützen. Doch Schweigen sei keine Lösung. Das, was dann nämlich unausgesprochen im Raum steht, „ist spürbar“, oft auch auf erschütternde Art sichtbar, zum Beispiel „wenn Mama die Haare und Nägel ausfallen oder wenn Papa Schmerzen hat“. Katharina Jung empfiehlt, „offen zu sein, authentisch zu sein. Kinder haben auch ein Recht, informiert zu werden“. Häufig hätten die Jungen und Mädchen sehr konkrete, sehr substanzielle Fragen: „Wann wird die Mama denn sterben?“.
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Natürlich „erfordert es viel Mut, darüber zu sprechen“, räumt die Expertin ein. Das „Hörst Du mich?“-Team hilft auch dabei, die richtigen Worte zu finden – altersgerecht, denn Jugendliche könnten die Lage in der Regel besser und weitreichender einordnen und verstehen als kleinere Kinder. Doch die Frage danach, wie Eltern und Kinder miteinander über das Thema reden können, ist bei weitem nicht das einzige Problem, das die Familien bewältigen müssen; denn „der Alltag läuft auch weiter“, betont Katharina Jung. Aber mit körperlichen Einschränkungen wegen einer Erkrankung, zwischen Arztbesuchen und vielleicht Chemotherapie-Terminen funktioniere Vieles einfach nicht mehr. Es können ganz praktische Dinge sein, vermeintliche Banalitäten: Wer kann den Sohn oder die Tochter von der Kita abholen? Kann die Radtour stattfinden? Können Freunde der Kinder zu Besuch kommen?
Siegen: Kinder todkranker Eltern brauchen einen Raum, um ihre Gefühle offen auszudrücken
In einem ersten Gespräch lernen sich „Hörst du mich?“-Mitarbeitende und Familie zunächst kennen. Das Team gewinnt einen Eindruck von Bedürfnissen, Konflikten, Problemen, logistischen und organisatorischen Schwierigkeiten. Wenn ein Elternteil aus gesundheitlichen Gründen aus- und damit gegebenenfalls ein Einkommen wegfällt, kann es auch finanziell schwierig werden. Das Zentrum gibt also auch Hinweise auf weitere Hilfs- und Unterstützungsangebote, wobei immer zu beachten sei, „wie viel Hilfe die jeweilige Familie verträgt“, erklärt die Leiterin. Es treten immerhin Menschen von außen hinzu, und das kann Einfluss auf die Dynamik im Inneren haben.
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Nach der Erstberatung finden Termine ohne die Eltern statt. Die Fachleute stehen mit diesen natürlich in Rücksprache, aber die Kinder sollen unbedingt einen sicheren Raum erhalten, in dem sie frei über ihre Gefühle, Gedanken und Ängste sprechen können. Es geht oft auch um Wege, „wie Gefühle Ausdruck finden können“, sagt Katharina Jung, etwa durch kreative Aktivität. Die emotionale Bandbreite ist groß. Der Umgang damit ist in der Familie oft nicht einfach, weil Beteiligte ihre Gefühle verbergen aus der Befürchtung heraus, andere sonst zu belasten. „Traurigkeit zu zeigen ist nicht schlimm“, sei eine der Botschaften, die sie Betroffenen mitgebe, sagt Katharina Jung. Doch das Spektrum reicht viel weiter. „Es gibt auch Kinder und Jugendliche, die unglaublich wütend sind. Viele haben auch Schuldgefühle, weil sie denken, sie müssten eigentlich viel trauriger sein. Auch darüber sprechen wir.“
Siegen: Beratungszentrum „Hörst Du mich?“ hilft Familien mit todkranken Eltern auch im Alltag
Ein Augenmerk der Arbeit liegt darauf, dass trotz aller Traurigkeit das Leben weiterlaufen können muss. Hobbys, Freunde treffen, Auszeiten – die Familien sollen wissen, dass diese Dinge auch in der momentanen Lage ohne schlechtes Gewissen stattfinden dürfen und sollten. Das Beratungszentrum hat dafür ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die sich an dieser Stelle einbringen, indem sie beispielsweise etwas mit den Kindern unternehmen und so auch Normalität ermöglichen. Katharina Jung schildert ein sehr eindringliches Beispiel aus der Praxis: Ein Junge hat gerade seine Mutter verloren, als seine Einschulung ansteht. Der Vater ist im Schichtdienst, er kann aus finanziellen Gründen nicht freinehmen. Die Familienbegleiterin springt ein, organisiert den Ranzen, packt eine Schultüte, damit der Kleine diesen wichtigen Tag in einem angemessenen Rahmen erleben kann.
Das Beratungszentrum „Hörst du mich?“ des Caritasverbands Siegen-Wittgenstein ist in der Numbachstraße 30, Telefon 0271/2360268, Email hoerstdumich@caritas-siegen.de, Online: caritas-siegen.de/home/kinder-jugend-familie/hoerst-du-mich/
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