Siegen. Hebamme Natascha Bellinger liebt ihren Job und hat ihre Berufswahl nicht einen Tag bereut. Was macht den Beruf zum Traum?
„Ich erinnere mich noch an den Moment, als ich zu einer eiligen Geburt gerufen wurde. Der Rettungswagen stand vor dem Klinikum, und die werdende Mutter schaffte es nicht mehr zum Kreißsaal. Ich bin nach unten gerannt und habe geholfen, das Kind im Rettungswagen zur Welt zu bringen.“ Natascha Bellinger aus Brachthausen (27) hat in ihrer Ausbildung gelernt, Geburten mithilfe von Medikamenten einzuleiten oder einen Kaiserschnitt zu begleiten.
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„Doch am schönsten ist es, wenn die Natur es einrichtet, dass die Geburt ohne Eingreifen gelingt. Man muss ihr nur etwas Zeit und Zuwendung geben“, sagt Natascha Bellinger. Anders als in anderen Kliniken haben die Hebammen im St. Marien-Krankenhaus in der Kampenstraße in Siegen mehr Zeit, Patientinnen zu betreuen. Der Betreuungsschlüssel liege bei ein bis zwei Patientinnen pro Hebamme, sagt Natascha Bellinger. „Das ist aber nicht immer die Regel. Normalerweise ist eine Hebamme für mehrere Patientinnen gleichzeitig zuständig.“ Um mit der werdenden Mutter zu sprechen und sie zu bestärken oder zu beruhigen, hat Natascha Bellinger (27) aber meistens immer genügend Zeit.
Im St. Marien-Krankenhaus Siegen finden wenige Kaiserschnitte statt
Die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe im St. Marien-Krankenhaus Siegen hat insgesamt vier Kreißsäle. Außer dem Chefarzt Dr. Badrig Melekian gibt es insgesamt sieben Oberärztinnen und -ärzte, drei Funktionsoberärztinnen und -ärzte und 13 Assistenzärztinnen und -ärzte sowie 16 Hebammen. Grundsätzlich muss bei einer Geburt immer eine Hebamme anwesend sein. Treten Komplikationen auf, ist die Hebamme verpflichtet, eine Ärztin/einen Arzt hinzuziehen. „Bei uns ist es jedoch so geregelt, dass immer ein Arzt oder eine Ärztin bei der Geburt dabei ist, auch wenn es keine Notwendigkeit gibt.“
Das Verhältnis zwischen Ärzten und Hebammen sei sehr gut, erzählt Natascha Bellinger. „Wir schätzen uns gegenseitig und die Ärzte wenden sich auch mal bei Fragen an uns.“ Bei den Kaiserschnitten liege das St. Marien-Krankenhaus konstant bei etwa 25 Prozent, was in unserer Region eine geringe Anzahl darstellt, erzählt Christian Stoffers, Sprecher der Marien Gesellschaft Siegen.
Siegen: Angst vor der Geburt ist eines der größten Probleme der Frauen
Die Angst vor der Geburt und vor den Risiken gehört zu den größten Problemen der Frauen. „Bevor wir eine Geburt gut betreuen können, nehmen wir den Frauen erst einmal die Ängste, indem wir Vertrauen aufbauen.“ Natascha Bellinger hat ihren Traumberuf gefunden. Die 27-Jährige hat schon Geburten im dreistelligen Bereich durchgeführt. „Als ich das erste Mal eine schwangere Frau sah, war mir klar, das ist doch ein spannender Beruf! Ich möchte gerne mehr über die Schwangerschaft lernen.“ Seit vier Jahren ist Natascha Bellinger am St. Marien-Krankenhaus beschäftigt. Neu für sie war die Beckenendlagengeburt.
Die meisten Babys drehen sich gegen Ende der Schwangerschaft mit dem Kopf nach unten – aber nicht alle. Bei Kindern, die im Bauch der Mutter „sitzen“, spricht man von einer Beckenendlage. „Das kannte ich vorher noch nicht. Als ich solch eine Geburt zum ersten Mal durchgeführt habe, war ich schon sehr nervös.“ Was viele Schwangere nicht wissen: Die Vorsorge mit den vorgeschriebenen regelmäßigen Kontrollen kann anstatt beim Gynäkologen von Hebammen durchgeführt werden.
Hebamme in Siegen: Ein Beruf mit viel Verantwortung und Dankbarkeit
Einer der schönsten Momente war eine Zwillingsgeburt, sagt Natascha Bellinger. Ihre Kollegin wird immer besonders emotional, wenn Väter anfangen zu heulen, sagt Maria Kulikov. „Jede Geburt ist etwas Besonderes für uns“, erzählt Natascha Bellinger. Die beiden Hebammen erzählen, dass sie viel Anerkennung von den Patientinnen bekommen. Mit manchen haben sie bis heute noch Kontakt. „Wir kriegen viel Dankbarkeit von den Leuten zurück und manchmal gibt es auch kleine Geschenke, über die wir uns natürlich immer sehr freuen.“
Überstunden sind für die beiden ganz normal. „Es ist ein Beruf mit Schichtdienst und Überstunden, wenig Pausen – dafür muss man ein Typ sein.“ Den Feierabend sollte man nicht schon vorplanen, sagt Natascha Bellinger, „meistens klappt es nicht und man muss seinen Freunden wieder absagen.“ Die Schichtdienste auf der Geburtshilfe-Station sind um 6 Uhr, 14 Uhr und 22 Uhr. Es sollen immer zwei Hebammen im Dienst sein. „Überstunden abzubauen ist beim Klinikum kein Problem“, sagt Natascha Bellinger.
Duales Studium vs. Ausbildung: Siegenerin „Praxis geht verloren“
Vor zwei Jahren hat der Bundesrat das Gesetz zur Reform der Hebammenausbildung gebilligt. Das bedeutet: Das duale Studium ersetzt seitdem die Ausbildung an einer Hebammenschule. Der Beruf wurde also akademisiert. Das finden Natascha Bellinger und Maria Kulikov nicht so gut. „Wir erleben eine gute Zusammenarbeit mit Studierenden, jedoch merken wir, dass die Praxis im Studium verloren geht.“ Natascha Bellinger hat auf Wunsch der Station eine Weiterbildung zur Praxisanleiterin absolviert. Sie ist nun mit vier weiteren Mitarbeitenden für die Auszubildenden und Studierenden zuständig. Es sind aber immer noch zu wenige Praxisanleiter, sagt Natascha Bellinger. „Wir kooperieren mit den Hochschulen und das funktioniert gut. Ich kann sagen, dass aktuell viel im Umbruch ist, was die Arbeitsprozesse und Lehrinhalte angeht.“
Besonders ältere Mitarbeitende haben es schwer, den Beruf der Hebamme auszuüben. „Viele schaffen es irgendwann körperlich nicht mehr“, sagt Natascha Bellinger. Burnout-Ausfälle sind schon lange keine Einzelfälle mehr. Vor allem freiberufliche Hebammen sind davon betroffen. Die Zahl freiberuflicher Hebammen in Deutschland lag nach Angaben der Marien Gesellschaft 2023 mit circa 18.700 so hoch wie nie. Allerdings bietet hiervon mit circa 4.300 Personen nur ein kleiner Teil auch Geburtshilfe an, teilt Pressesprecher Christian Stoffers mit.
Siegen: Kein Fachkräftemangel, sondern Mangel an guten Arbeitsbedingungen
Der Deutsche Hebammenverband spricht nicht von einem Fachkräftemangel, sondern von einem Mangel an guten Arbeitsbedingungen. Freiberufliche Hebammen haben besonders mit höheren Haftpflichtprämien und dem persönlichen Haftungsrisiko zu kämpfen, sagt Christian Stoffers, Pressesprecher der Marien Gesellschaft Siegen. Das sind Gründe, warum Hebammen sich aus dem Beruf zurückziehen. „Ich habe auch mal bei einer freiberuflichen Hebamme gearbeitet. Wir schaffen einfach einen Hausbesuch in 20 Minuten nicht. Abgerechnet wird aber nur für diese Zeit, egal wie lange der Hausbesuch wirklich dauert“, sagt Maria Kulikov.
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„Damit sich etwas ändert und sich mehr Frauen und Männer für den Ausbildungsweg der Hebammen entscheiden, müssen die Entlohnung sowie die Besetzung auf den Stationen und den Kreißsälen besser werden“, sagt Natascha Bellinger. Doch all das ist kein Grund für Natascha Bellinger aufzuhören. Es ist ihr Traumberuf.
Unternehmenspass: Hebamme am St. Marien-Krankenhaus in Siegen
- Mitarbeitende: 25 Hebammen (2.500 Mitarbeitende Gesamtunternehmen)
- Standort: St. Marien-Krankenhaus Siegen, Kampenstraße 51, 57072 Siegen (neben Krankenhaus 30 weitere Einrichtungen)
- Branche: Gesundheitswesen
- Tarif: AVR
- Arbeitszeit: 3-Schicht-Dienst
- Arbeitsplatz: Geburtshilfe mit vier Kreißsälen
- Kooperation: Universitätsklinikum Bonn, katholische Hochschule Köln und Hochschule Bochum
- Benefits: betriebliche Altersvorsorge und Krankenzusatzversicherung, betriebliches Gesundheitsmanagement, Urban Sports Club, Bike-Leasing, Betriebskindergarten, Job-Ticket und breites zusätzliches Weiterbildungsangebot
- Weiterbildungen: gemäß Hebammengesetz (Notfallmanagement)